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Roman
Berater-Gesellschaft im Visier

Gleich für seinen 2012 erschienenen Debüt-Erzählband erhielt Philipp Schönthaler den Clemens-Brentano-Preis. Jetzt ist sein erster Roman "Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn" erschienen. Es ist eine kubistische Sprachkomposition unserer heutigen Beratergesellschaft.

Von Michaela Schmitz | 04.12.2013
    Berater nennt man landläufig Menschen, die in "helfender Absicht Ratschläge erteilen". In unserer heute von Beratern dominierten Gesellschaft haben "Consultants" die Position von Halbgöttern eingenommen. Berater fungieren als Agenten eines Hochleistungssystems, das auf Glauben an unbegrenztes Wachstum aufbaut. Sie formulieren die Leitsätze und definieren die geltenden Sprachregelungen der vorherrschenden Optimierungsdoktrin.
    In Philipp Schönthalers neuem Roman klingt das dann zum Beispiel so: Hören wir die promovierte Philosophin Frau Dr. Posner, mit "Posner Consulting – Training – Coaching" freischaffender Coach, im akademischen "Career Center" vor hochqualifizierten Doktoranden und Postdocs verschiedenster Fachrichtungen ...
    "Es ist Tag zwei des Workshops: Der Sprung auf den freien Markt. "Was wir gezielt kommunizieren wollen, sind positive Botschaften", erklärt Posner. "In der nächsten Übung werden wir unsere Ziele in positive Sätze kleiden: Was wollen Sie erreichen? Wie wollen Sie dieses Ziel erreichen? Wo wollen Sie in einem Monat stehen, in einem Jahr, in drei, in fünf?"
    Ziele mobilisieren ungeahnte Kräfte der Selbstwirksamkeit
    Als Vorbereitungscheck für ein gewinnbringendes Gespräch dient EMMA:
    E für Erwartungen & Ziele
    M für Machtverhältnisse
    M für Mentale Vorbereitungen
    A für Aktionsplan"
    "Das Leben ist nach oben offen" – treffender lässt sich die zentrale "Message" dieser Beraterbranche wohl kaum formulieren. Es ist der Titel von Philipp Schönthalers Debüt mit Erzählungen. Dort vergleicht er Topmanager mit Extremsportlern. Sein erster Roman "Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn" führt dieses Thema jetzt fort. Im besonderen Fokus stehen die Berater als Propheten der Leistungsideologie.
    Dreh- und Angelpunkt der Geschichte: Das international erfolgreiche fiktive Kosmetikunternehmen Pfeiffer Beauty Kosmetik (PB). Einer seiner Leistungsträger ist der karrieresüchtige, adrenalingesteuerte Managing Director Erik Jungholz. Von der Firmenleitung hat Personalberaterin und Coach Pamela J. Smaart den Auftrag erhalten, das Leistungsprofil des "Highperfomers" nach dem Motto "Alles ist steigerbar" noch eine Stufe höher zu "tunen".
    "Sie sind mit dem Peter-Prinzip von Laurence Peter und Raymond Hull vertraut? In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen. Ob Sie an ihrer Unfähigkeitsgrenze scheitern, oder ob es danach weitergeht, liegt an Ihnen. Aber dazu müssen Sie an sich arbeiten. Ich habe mich deutlich ausgedrückt?!"
    Smaart lächelt kühl, streicht mit einer Hand ihre Unterlagen zusammen, richtet sich auf: "Ich denke, wir verstehen uns soweit, oder?"
    Ums Verstehen und Kommunizieren geht es hier also. Und zwar ganz im Dienste des Systems. Sprache wird als nur vermeintlich neutrales Werkzeug zur Verständigung entlarvt. "Kommunizieren" bedeutet hier das Lernen und Übernehmen vorher festgelegter Ziele und Werte. Sprechen als Einbahnstraße, Widerspruch ausgeschlossen.
    In Sachen Kommunikation: Könne man das auch immer ganz anders angehen, lautet dagegen der erste programmatische Satz von Philipp Schönthalers Roman-Prolog. Doch eine kritische Analyse aus objektiver Beobachterperspektive ist auch für den Autor unmöglich. Denn die herrschenden Diskurse dominieren sämtliche Lebensbereiche und Gesellschaftsschichten. Der Autor ist selbst Teil davon. Er kann nur protokollieren. Schönthaler lässt die Sprache daher selbst sprechen. Dabei führt er die herrschenden Sprachregelungen in ihrer eindimensionalen Vielfalt im doppelten Wortsinn vor. Der Sprachstil macht die Musik. Die Form ersetzt den Inhalt. Keiner weiß das besser als die Personalberater.
    "Als Leitfaden dient die 55-38-7 Regel, erklärt Zander, Inhaberin und Trainerin der Lizenz A für berufsbezogene Eignungsbeurteilung nach DIN 33430 sowie Sprecherin der Fachgruppe Differentielle Psychologie und Persönlichkeitspsychologie in der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGP): Also die Frage, wie kommuniziere ich, wer ich bin. Zunächst ist da das gesprochene Wort, das heißt der Inhalt. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass der Inhalt weitgehend zu vernachlässigen ist. Das sind fünf, allenfalls zehn Prozent. 50 bis 60 Prozent – ist jedoch die Körperhaltung, Gestik, Blickkontakt, das muss absolut sitzen."
    "Alles ist messbar. Alles ist kalkulierbar. Alles ist trainierbar", lautet die Message der Leistungs- und Optimierungsgesellschaft. Ihre zentrale Botschaft schreibt sich sämtlichen Ausdrucks- und Sprachformen ein. Sie beherrscht selbst Körpersprache, Emotionen und sogar unsere Träume. Menschliches Verhalten wird reduziert auf das Reiz-Reaktions-Schema von Pawlows Hund und Skinners Tauben. Karrierist Erik Jungholz scheint dafür ein Paradebeispiel zu sein.
    Menschen wie Rike dagegen haben innerhalb des Systems keine Chance. In Panik flieht die Jobbewerberin aus dem PB-Haus, einem futuristischen Glasbau in Form einer gigantischen Puderdose, bevor das "Assestment Center" überhaupt begonnen hat. Rike leidet – signifikanterweise – unter einer psychosomatischen Sprachstörung. Wer die Systemsprache nicht beherrscht, muss draußen bleiben. Hier ein Ausschnitt aus dem Protokoll des behandelnden Arztes:
    "redeflusstörung mit stotter bindestrich schrägstrich phasenweiser polterkomponente neue zeile leerzeile die patientin berichtet über probleme mmhjaa im sprachfluss komma die in der persönlichen und insbesondere unterstreichen dick beruflichen entwicklung sagen wir komma ( ... ) so die patientin äußerst behindern ( ... ) neue zeile angststörung mit reaktiver eventuell rezidivierender depression."
    Im Stotter-Diktat des ärztlichen Gutachters schrumpft der Mensch zur Diagnose. Auch der Mediziner-Jargon reduziert den Patienten auf einen Systemdefekt.
    Es ist es die Sprache, die unser Menschenbild prägt und unser Menschsein definiert. Was die in Philipp Schönthalers Roman vorherrschenden Diskurse darüber aussagen, muss jeder Leser für sich selbst herauslesen. Der Autor hält der modernen Berater-Gesellschaft lediglich den Sprachspiegel vor. Jede seiner Figuren steht dabei für eine Spielform des herrschenden Diskurses, der Menschen in Sieger und Verlierer unterteilt. Persönlichkeit und Individualität sind unerwünscht. Genauso wie Körper und Tod, die immer wieder bizarr in die von Geld und Erfolg glänzende Consulting-Welt als das maximale Unkalkulierbare hereinbrechen; zum Beispiel, wenn der elegant von der rechten in die linke Hand geschwungene Aktenkoffer eines Detektivs versehentlich im Weichteil seines Kunden, Assistant Director of Human Ressources Dr. Frederick Quass, landet oder das Glasauge von Pamela J. Smaart jäh aufs Straßenpflaster aufschlägt.
    Philipp Schönthalers Debütroman "Ein Schiff das singend zieht in seiner Bahn" ist eine kühne Montage herrschender Diskurse. Statt einer geschlossenen Erzählung zeichnet der Autor eine kubistische Sprachkomposition unserer heutigen Beratergesellschaft. Seine Prosacollage bildet in hoch konzentrierten experimentellen Textfragmenten ihre Subdiskurse ab. Mit geschultem Blick für die systemeigene Ironie verdichtet Schönthaler die skurrilen Sprachformen bis an die äußerste Grenze der Absurdität. Genau das schafft die notwendige Distanz, die Sache mit der Kommunikation "auch einmal ganz anders zu sehen".
    Philipp Schönthaler: Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn, 280 Seiten, 19,90 €