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Roman "Nackt über Berlin“
Axel Ranisch gewinnt den Debütpreis der Lit.Cologne

Axel Ranisch ist Filmregisseur, er inszeniert Opern und hat kürzlich seinen ersten Roman veröffentlicht: "Nackt über Berlin". Für die Coming–of-age-Geschichte bekam er nun den Debütpreis des Festivals Lit.Cologne. "Filmemachen kommt mir dagegen absurd vor", sagte er im Dlf.

Axel Ranisch im Corsogespräch mit Susanne Luerweg | 19.03.2018
    Regisseur und Schauspieler Axel Ranisch
    "Wenn man nicht mehr experimentiert, dann ist auch alles tot": Regisseur, Schauspieler und Nachwuchsschriftsteller Axel Ranisch (dpa picture alliance/ Hendrik Schmidt)
    Susanne Luerweg: Jetzt haben Sie auch noch den Debütpreis der Litcologne gewonnen und da denkt man sich - oder denken Sie das vielleicht auch mal zwischendurch: Gelingt Ihnen immer alles, oder gibt es eine künstlerische Disziplin, bei der Sie sagen, die kann ich nicht? Oder gelingt Ihnen immer alles, was Sie anfassen?
    Axel Ranisch: Also, dass ich einen Roman schreiben könnte, kam mir nicht von selber in den Sinn. Da sind dann zwei Lektorinnen zu mir gekommen, die hatten einen Film von mir gesehen und haben dann zu mir gesagt: "Herr Ranisch, Sie sollten mal einen Roman schreiben." Und mit dem Gedanken bin ich dann sehr lange schwanger gegangen, bis ich eine Geschichte hatte, die groß und breit und lang genug war, um daraus einen Roman zu machen.
    So ein Buch ist nochmal was anderes als eine DVD von so einem fertigen Film. Ja, keine Ahnung, Film ist ja immer ein Gemeinschaftsprodukt. Es ist ja nie ein Film von Axel Ranisch, sondern es ist ja immer ein Film von vielen, und man hat so ein bisschen die Leitungsfunktion inne, wenn man vielleicht die Vision im Kopf hat. Aber so einen Roman hätte ich mir selber nicht zugetraut. Staune ich noch immer.
    "Eine Figur emanzipiert sich während so eines Schreibprozesses"
    Luerweg: Der Roman erzählt die Geschichte von Jannik und Tai, "Fetti" und "Fidschi" genannt. Zwei 17-jährige Jungs, die in Berlin in die gleiche Klasse gehen, so ein bisschen Außenseiter sind. Erinnert so ein wenig auch an Geschichten Ihrer Filme wie "Alki Alki", "Ich fühl mich Disco". Der Roman war später, wen ich es richtig verstehe. Zunächst sollte es doch ein Film werden, oder?
    Ranisch: Ja, zunächst sollte es ein Film werden. Obwohl das, was als Film als erstes da war, war der zweite Erzählstrang rund um den Schuldirektor Jens Lamprecht, der von den beiden Jungs in seiner eigenen Wohnung eingesperrt wird. Der Ursprungsgedanke war schlicht und ergreifend, dass ich den großartigen Schauspieler Thorsten Merten einsperren wollte. Und dann kamen halt so viele Fragen, als ich mich mit dem Stoff beschäftigt habe, dazu. Wer hat den eigentlich entführt? Irgendwann dachte ich, vielleicht war ich es ja selber oder ein Alter Ego von mir, ein kleiner, dicker, 17-jähriger Junge, der klassische Musik liebt, es immer allen recht machen will und mit seiner Homosexualität kämpft.
    Luerweg: Also: Wie viel Axel Ranisch ist jetzt in Jannik? 100 Prozent?
    Ranisch: Na, in Jannik ist viel Axel Ranisch. So eine Figur emanzipiert sich auch während so eines Schreibprozesses. Die Geschichten, die im Buch sind, sind alle erfunden, also nichts ist eins zu eins irgendwie erlebt, aber der Kosmos, der stimmt. Mein Professor Rosa von Praunheim hat zu uns immer gesagt, dass wir Filme machen sollen von Themen, von denen wir Ahnung haben - um authentisch zu sein. Das habe ich gefressen. Das ist eine Botschaft, die ist bei mir angekommen, und die spricht mir auch aus dem Herzen. Ich muss irgendwie Ahnung haben von den Geschichten, die ich erzähle. Und insofern war es mir wichtig, eine Figur wie Jannik zu haben, die mir nah ist.
    "Ist denn der Satz jetzt Literatur?"
    Luerweg: Filmemachen ist etwas ganz anderes, das passiert im Team. Bücher schreiben ist eine ziemlich einsame Geschichte. Ist Ihnen das sehr schwer gefallen?
    Ranisch: Am Anfang ist mir das sehr schwer gefallen. Dann sitzt man da vor dem Computer und das Leerzeichen blinkt, man schreibt einen Satz hin und macht ihn wieder weg. Und schreibt ihn wieder hin und macht ihn wieder weg. Am Anfang habe ich für zwei Seiten einen ganzen Tag gebraucht.
    Und irgendwann war ich im Schreibprozess drin und dann entwickelt man so einen Rausch und so eine Lust, dass man dann nicht mehr ständig hinterfragt: Ist denn der Satz jetzt Literatur, den ich da geschrieben habe, oder ist das einfach nur ein Satz? Ich bin da so reingerauscht, und dann war es toll. Dann war es viel toller, als so ein Drehbuch schreiben oder nur einen Film drehen, weil es so einfach ist. Es kommt einem plötzlich so absurd vor, das Filmedrehen. Wenn man da so sitzt und man schreibt einen Satz auf - und den können Sie dann lesen.
    Luerweg: Aber normalerweise ist Ihre Arbeitsweise doch: Sie gelten als deutscher Vertreter des "Mumblecore" - also gar nicht eins zu eins aufgeschrieben, was dann passiert, sondern es wird zusammen mit den Schauspielern entwickelt, die Dialoge usw. Und da hätte ich jetzt gedacht: Ist vielleicht gar nicht so mühsam und das Aufschreiben des Buches sehr viel anstrengender, weil man eben nicht die anderen hat, mit denen man sich austauschen kann.
    Ranisch: Nee. Geschichten entwickeln ist ja für den Film, selbst wenn man ihn improvisiert, ganz ähnlich. Und ich improvisiere ja nicht aus Faulheit, weil ich keine Dialoge schreiben will oder weil ich kein Drehbuch schreiben will, sondern weil ich das nicht mag, wenn Schauspieler Text auswendig lernen.
    Ich habe nicht ein einziges Mal darüber nachgedacht: Was könnte diese Figur jetzt sagen? Das kommt dann immer. Man hat Vorbilder, und aus verschiedenen Figuren und Menschen, die einen so umgeben, wächst so eine Figur. Und dann hat man eigentlich ganz gut im Kopf, wie die so klingt, wie die sich so bewegt, was die macht und dann reden die von alleine.
    Wir haben noch länger mit Axel Ranisch gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Luerweg: Sie arbeiten ja gerne, haben Sie ja auch gerade schon angedeutet, mit einer Filmfamilie zusammen. Da gibt es echte Familienmitglieder wie Ihre Oma, mit der Sie immer drehen, Neffen, die auch gerne auftauchen und eben auch ein Kosmos von Schauspielern, der immer wieder in Axel-Ranisch-Filmen zu sehen ist. Klingt fast ein bisschen wie Fassbinder. Ich vermute, es ist ein bisschen netter bei Ihnen am Set?
    Ranisch: Ich hoffe doch. Und lustiger. Bei Fassbinder war es nicht so lustig, denke ich. Ging sicher sehr hart zu. Aber trotzdem ist mir die Art und Weise sehr vertraut. Ich bin ja ein sehr harmoniebedürftiger Mensch, und ich finde das ganz wunderbar immer wieder mit dem gleichen Team zu arbeiten, weil man sich einfach blind versteht und vertrauen kann. Und wenn so eine Vertrauensbasis erst einmal aufgebaut ist, dann schenkt man sich auch Dinge, die man jemand anderem nicht schenken würde.
    Auf die Titelseite der "Bild" geschafft
    Luerweg: Man hat so das Gefühl Sie sind das totale Sonntagskind. Sie schreiben ein Buch, das gewinnt gleich den Debütpreis. Sie machen Filme, die Welt ist begeistert. Nur beim "Tatort", da hat es nicht geklappt. Des Deutschen liebste Sonntagabendbeschäftigung und schon - zack - wollen sie das nicht sehen. Es gab mächtig Schelte für den ersten, der zweite wurde jetzt auch nicht gerade in den Himmel gelobt, der vor ein paar Wochen gelaufen ist.
    Ranisch: Aber, aber, beim zweiten gab es jetzt die absolute Polarisierung. Da habe ich tatsächlich doch auch in den Himmel lobende Kritiken gelesen. Da gab es ein paar, die waren echt beeindruckend, und dann gab es auch wieder die richtig bösen Verrisse. Also beim ersten Mal hat es noch weh getan, aber jetzt beim zweiten Mal... Ich bin schon nicht ganz ohne Stolz darüber. Beim ersten gab es ja die "Bild"-Schlagzeile: "Schlechtester Tatort aller Zeiten. Am Sonntag 20 Uhr 15 nicht die ARD einschalten." Das habe ich mir jetzt in den Flur gehängt. Wie oft schafft man es im Leben schon auf die Titelseite der "Bild"? Also im Nachhinein habe ich mir gedacht: Na ja.
    Luerweg: Und wie oft schafft man es, dass die ARD-Verantwortlichen sich zusammensetzen und sagen: "Wir möchten gar keine Experimente mehr." Da hatten Sie, glaube ich, schon den Auftrag für den zweiten, oder?
    Ranisch: Ja, die ARD soll sich mal zusammenreißen. Wenn man nicht mehr experimentiert, dann ist auch alles tot. Es muss ja nicht immer jedes Experiment auch was werden. Aber wichtig ist, glaube ich, dass wir authentische und mutige Filme abgeben und so, jetzt hatten die den Mut und haben mich geholt und ich habe dann halt meinen Stiefel durchgezogen, und das hat jetzt halt vielen Leuten nicht gefallen. Ja, gut. Das ist dann halt so. Aber alle hatten was zu diskutieren, und man hat mal was ausprobiert. Ist doch besser als wenn wir vor dem Fernseher einschlafen.
    Luerweg: Das Buch "Nackt über Berlin" ist auch ein Filmstoff, muss man schon sagen. Arbeiten Sie schon daran, oder haben Sie es zumindest im Kopf?
    Ranisch: Ja, ja, habe ich. Vielleicht wird es ein bisschen breiter. Zum Beispiel eine Miniserie. Das wäre doch schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Axel Ranisch: "Nackt über Berlin"
    Ullstein fünf Verlag, Berlin 2018. 384 Seiten, 20 Euro.