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Romandebüt
Räuberpistole mit Schauplatz Frankreich

DDie Rumänin Irina Theodorescu lebt seit 1998 in Frankreich. In ihrem Debüt "Der Fluch des schnauzbärtigen Räubers" geht es um die Nachkommen der Hauptfigur Georghe Marinescu, die früh zu Tode kommen. Die Schriftstellerin spielt mit Ost-Klischees und ihr gelingt ein kleines, durchtriebenes Schelmenstück.

Von Jörg Plath | 02.03.2016
    Aufgeschlagenes Buch
    Aufgeschlagenes Buch (imago / blickwinkel)
    So liebevoll hat sich lange niemand in einem Roman des Schnauzbarts angenommen. Der Bandit trägt einen, der Kleinbürger auch. Der eine Schnauzbart ist lang, voller Reste des Lieblingsgerichts weiße Bohnen und daher ranzig riechend. Der andere ist kurz, sauber und duftend. Beide begegnen einander beim Frisör, wo der saubere mal wieder gepflegt wird, der unsaubere nicht - dessen Träger verlangt statt einer Rasur die schärfste Klinge, um seinem Wirken als Robin Hood eines ungenannten Landes Nachdruck zu verleihen, also den Reichen zu nehmen und den Armen zu geben, jedenfalls den größten Teil der Beute. Der mit dem sauberen Schnauzbart namens Georghe Marinescu wird den mit dem schmutzigen ohne Namen in einen Keller locken und dem von den Ordnungshütern gehetzten Mann die ersehnte Erholung versprechen, dazu eine stärkende Mahlzeit.
    "Doch Georghe ist kein Mann von Wort! Zwar kann sich der schnauzbärtige Mann ausruhen, aber weder Wasser noch Speisen werden gebracht! Während der langen nachfolgenden Stunden isst er zuerst die in seinem Bart deponierten Bohnenreste, dann schlichtweg die Barthaare selbst, und darauf gibt er Georghe gegen eine einzige Schale Wasser den geheimen Verbleib seiner Goldtruhen preis. Doch während der junge Marinescu sich auf Schatzsuche begibt, dürstet ihn erneut, aber nichts wird gebracht, niemand hört sein Schreien und sein Flehen, da leckt er die Schale aus, isst sie auf, lutscht seinen Schweiß, trinkt seine Tränen und säuft seine eigene Pisse. Drei Tage später stirbt er schließlich und verflucht Georghe Marinescu und seine gesamte Nachkommenschaft bis ins Jahr 2000."
    Fluch auf den Erstgeborenen
    Prompt währt das Leben von Georghe Marinescu, dem Mann mit dem sauberen Schnauzbart, nur einen Absatz lang: Mit 27 Jahren rafft ihn eine verirrte Kugel auf einer Jagdpartie dahin.
    Georghe bleibt nicht der Einzige. In schneller Folge und auf unterschiedlichste Weise gehen sämtliche Erstgeborenen der Marinescus in die ewigen Jagdgründe ein, mit und auch ohne Schnauzbart. Irina Theodorescu, 1979 in Bukarest geboren und seit 1998 in Frankreich lebend, hat in der Sprache ihrer Wahlheimat eine rechte Räuberpistole verfasst. "Der Fluch des schnauzbärtigen Räubers", so der Titel ihres Romandebüts, bleibt trotz diverser Sühneversuche ungebrochen. Eine der verzweifelten Marinescu-Mütter, die um ihren ältesten Sohn fürchtet, pilgert zwar nach Jerusalem, befördert dort aber einen Pater ins Jenseits und bestiehlt ihn zudem, weshalb der Fluch in Kraft bleibt. Ein anderer Marinescu wird auch durch seine ins Kloster gegebene Schwester nicht gerettet, weil das Mädchen zu einer lockend schwellenden Masochistin mit zudem bisexuellen Neigungen heran-, also aus dem Kloster allerförmlichst herauswächst.
    Theodorescus Typenparade der Marinescus und ihrer Ehefrauen Maria die Versaute, Maria die Hässliche und Maria, genannt Margot, hat Witz und Charme und – nicht zuletzt – Moral und durchpflügt das 20. Jahrhundert, als gäbe es in ihm nur Nebenschauplätze, als da wären Erster Weltkrieg und Zweiter Weltkrieg, Faschisten und Kommunisten, außerdem Zigeuner- und Judenhass. Das Wichtigste ist immer die Geburt und der vorzeitige Tod des ältesten Sohnes. Zartfühlender kann man ein traditionelles Männerbild nicht lächerlich machen.
    Kursive Einschübe
    Wäre nicht einmal im Roman die Rede vom "kollektiven Imaginären", gäbe es nicht eingeschobene Partien in kursiver Schrift, deren Figuren, ein Paar, der Ich-Erzählerin offenbar so intim bekannt sind, dass der Leser fast ausgeschlossen bleibt, wäre dieses Buch eine hübsche Fingerübung in Exotismus: Eine Wahlfranzösin schüttete, klug und rasant Ost-Klischees verwebend, über ihrem Herkunftsland Hohn und Spott aus, vielleicht, um sich literarisch zu integrieren. Doch in den kursiven Einschüben ruht der 32tel-Takt der Schnauzbart-Räuberpistole, hier spielt eine andere Musik, werden vertrackte Stolpersteine ausgelegt:
    "Später gab es vielleicht eine Tischdecke auf dem Küchentisch, selbstverständlich hätte sie diese erstanden, von ihrem ersten Gehalt, und wegen ihrer Phobien und Grillen hätte sie eine geblümte Wachstuchdecke genommen. Vielleicht hat es genau an diesem Tisch gemeinsam verbrachte Donnerstagabende gegeben, an denen er gelacht und sie gelächelt hat. Oder Samstagabende, an denen ein Kuchen und eine Flasche brav auf das verspätete Freundespaar gewartet haben, mit dem sie verzehrt und geleert werden sollten. Aber noch einmal, all das sind lediglich Vermutungen.
    Selbstverständlich kann man lange so weitermachen, sich bessere Tage vorstellen, die es in einer hypothetischen Vergangenheit gegeben hätte, ja genau, warum eigentlich nicht?"
    Auch dieses Paar wird ein Kind verlieren, und erst im Nachhinein wird deutlich, dass die Verweigerung des Familien- und 20.-Jahrhundertromans durch die Räuberpistole durch diesen Verlust motiviert ist. Wie genau Irina Theodorescu diese Volte schlägt, wie derb sie mit Hohn und Tempo gegen den Schmerz zu Felde zieht, wie zart sie die kräftige Textur der Volkssage und Typenparade mit der Mythologie des Verlusts durchzieht, wird nicht verraten. Ihr ist ein kleines, durchtriebenes Schelmenstück gelungen.
    Irina Theodorescu: "Der Fluch des schnauzbärtigen Banditen", Roman, aus dem Französischen von Birgit Leib, Wagenbach Verlag, Berlin 2015, 144 Seiten, 15,90 Euro