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Romanwerkstatt für Schüler
80 Seiten für das Selbstvertrauen

Einen eigenen Roman schreiben – für die Schüler einer Bremer Brennpunktschule ist das Realität geworden. Die Geschichte, die auch verlegt wird, entwickeln die Achtklässler zusammen mit dem Poetry Slammer Bas Böttcher. Das Projekt des Bremer Literaturhauses soll ihr Sprach- und Textverständnis stärken.

Von Felicitas Boeselager | 13.02.2020
Schüler der Neckar-Realschule schreiben am 08.07.2013 in Nürtingen (Baden-Württemberg) während des Unterrichts. Foto: Franziska Kraufmann/dpa | Verwendung weltweit
Mit dem Projekt "Schulhausroman" will das Bremer Literaturhaus Schüler aus bildungsfernen Familien für Literatur begeistern (picture alliance / dpa / Franziska Kraufmann)
"Wer würde das jetzt mal vorlesen? Dilara?" "Ja, ok." "Am Nachmittag rief Amara Cem an und fragte, ob er ihr bei einem Rätsel helfen kann. Sie treffen sich vor Amaras Haus und gehen am Elbstrand lang. Amara hatte die Idee sich von draußen Inspiration zu suchen."
Dilara besucht die achte Klasse der Oberschule in den Sandwehen in Bremen Lüssum. Gemeinsam mit zwei Klassenkameradinnen brütet sie an zusammengeschobenen Pulten über einem selbstgeschriebenen Text. Poetry Slammer Bas Böttcher hilft ihnen dabei:
"Ich glaube das reicht, ich würde nur noch einmal schreiben warum sie die Idee hatte nach draußen zu gehen und sich Inspiration zu suchen. Ich glaube, jeder würde gerne wissen, wie sie sich fühlt und warum sie jetzt das Verlangen hat, ja, Inspiration zu haben."
Defizite im Sprach- und Textverständnis
Gemeinsam mit Böttcher hat die Klasse seit vergangenem Dezember einen Roman erarbeitet. Schulhausroman nennt sich dieses Projekt, das ursprünglich aus der Schweiz kommt. Mit der Hilfe von Schriftstellern schreiben Jugendliche einen Roman, der später in einem Verlag veröffentlicht wird. Das Bremer Literaturhaus hat diese Idee übernommen , erzählt Heike Müller, vom Literaturhaus:
"Weil wir eben sehen, dass es für Kinder und Jugendliche viel zu wenig Angebote im literarischen Schreiben gibt an den Schulen, eigentlich wenig bis gar nicht, muss man sagen. Und wir wollten dieses Angebot unbedingt ausbauen und uns grade auch an die Jugendlichen wenden, die eben auch mit Sprachdefiziten und Defiziten im Textverständnis und im Schreiben im Deutschunterricht sitzen und vieles was dort behandelt wird, sie nicht erreicht."

Die Schule in den Sandwehen liegt in einer strukturschwachen Region, viele der Schülerinnen und Schüler wachsen in sogenannten bildungsfernen Familien auf. Außerdem stünden Lesen und Deutschunterricht bei vielen Schülern nicht besonders hoch im Kurs. Gerade deshalb sei dieses Projekt eine Bereicherung, sagt ihre Deutschlehrerin Anna Schwiers:
"Weil wir merken und ich auch total freudig fest stellen kann, dass Schülerinnen und Schüler total aufblühen und ihre eigenen Stärke entdecken und unglaublich kreative Texte verfassen. Auf diese Ideen würde man vielleicht gar nicht kommen und das alles wird aber verwendet und das alles findet Eingang in diesen Roman."

"Wir haben eine wunderschöne Beschreibung von dem Tag an dem alles schief läuft. Und zwar haben das Jason, Joho und Chantal gemacht."
"Intensiver und anstrengender Prozess"
Böttcher fasst die Ergebnisse des Tages zusammen, heute ist die letzte von zwölf Einheiten, an denen sie gemeinsam an dem Roman gearbeitet haben. Es gab nur noch einzelne Puzzlestücke, die in der Geschichte gefehlt haben. Inzwischen umfasst der Roman fast 80 Seiten, das sah Anfang Dezember noch ganz anders aus, erinnert sich Böttcher:
"Also rückblickend erscheint das alles leicht, aber wenn man in so ein Projekt rein geht und noch gar nicht weiß in welche Richtung sich das entwickelt, dann ist das ein riesengroßer Nervenkitzel und eine Rechnung mit so vielen Unbekannten. Und im Laufe der Zeit ist es einfach ein starker Prozess, sowohl in der inhaltlichen Entwicklung des Buches, aber auch in der Zusammenarbeit mit den Teilnehmenden. Auch wie die sich langsam immer mehr trauen, wie die immer mehr von sich preisgeben."
Es sei ein intensiver, auch ein anstrengender Prozess gewesen, sagen Lehrer und Schüler, dabei mussten sie auch lernen, eigene Ideen wieder zu verwerfen, Kompromisse zu finden. Besonders lang hätten sie zum Beispiel über den Namen der Protagonistin gerungen – Amara heißt sie jetzt. Dass ihr Roman tatsächlich in einem Verlag veröffentlicht wird, freut die Jugendlichen besonders, sagt die Schülerin Ecem:
"Am Anfang dachten ich und auch viele andere, dass es so sein wird, dass wir nicht im Vordergrund sind. Dass der Autor mehr schreibt als wir und dass wir nur helfen, sozusagen. Aber wir haben fast alles gemacht, er hat uns geholfen, aber ich fand das gut, dass wir so involviert waren darin."
Wenn alles fertig ist, dann macht die Klasse mit ihrem Roman eine kleine Lesereise und vielleicht werden sie Amaras Geschichte auch verfilmen.