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Rosen aus Ecuador
Pestizide fördern Depressionen bei Jugendlichen

Viele Pflanzenschutzmittel töten nicht nur Pflanzenschädlinge. Sie könnten den Hirnstoffwechsel von Kindern und Jugendlichen verändern und möglicherweise Depressionen fördern. US-Forscher haben erstmals eine Studie vorgelegt, die diese vermuteten Zusammenhänge mit realen Messdaten unterfüttert.

Von Lucian Haas | 16.07.2019
In der Rosenzuchtplantage "Rose Success" im Andenhochland im Norden Ecuadors wachsen verschiedene Rosensorten ganzjährig unter Folienzelten wegen des ausgeglichenen Klimas in Äquatornähe - die geschnittenen Rosen werden frisch gewässert, aufgenommen am 15.10.2016.
Rosenzucht im Andenhochland Ecuadors: Hier wachsen verschiedene Rosensorten ganzjährig unter Folienzelten wegen des ausgeglichenen Klimas in Äquatornähe (dpa / Reinhard Kaufhold)
Ecuador ist der drittgrößte Exporteur von Rosen weltweit. Beim Anbau der Blumen werden große Mengen an Pestiziden eingesetzt, darunter Organophosphate und Carbamate. Schon länger gibt es anekdotische Berichte, wonach Jugendliche in den Anbauregionen häufiger an Depressionen leiden. Und es gibt den Verdacht, die Belastung mit Pestiziden könnte dabei eine Rolle spielen. Der Epidemiologe Jose Ricardo Suarez von der University of California in San Diego erforscht seit Jahren solche Zusammenhänge.
"Unsere Sorge ist, dass Kinder, die in der Nähe der Blumenfelder leben, einer Vielzahl von Chemikalien ausgesetzt sind. Darunter auch Pestizide, die bekanntermaßen als neurotoxisch gelten und das cholinerge System beeinflussen."
Pestizide wie Organophosphate und Carbamate
Das cholinerge System - das ist ein Stoffwechselmechanismus im Zentralen Nervensystem. Dort dient ein Stoff namens Acetylcholin als Botenstoff, der schnell auf- und wieder abgebaut werden muss. Dabei spielt ein Enzym namens Acetylcholinesterase, kurz AChE, eine zentrale Rolle. Es gibt aber bestimmte Pestizide wie die schon genannten Organophosphate und Carbamate, die die Wirkung dieses Enzyms hemmen können. Eine Forschergruppe um Jose Ricardo Suarez hat nun erstmals in einer groß angelegten Studie bei mehr als 500 Jugendlichen im Alter von 13 bis 17 Jahren in Ecuador Blutproben gezogen und darin die Aktivität von AChE bestimmt.
"Die Aktivität von Acetylcholinesterase kann man als physiologischen Marker nutzen. Daran lässt sich erkennen, ob ein einzelner Mensch in Kontakt mit Pestiziden gekommen ist, weil das die Aktivität des Enzyms reduziert. Und das haben wir gemessen."
Höhere Pestizidbelastung, höherer Depressions-Score
Neben der Analyse von Blutproben führten die Wissenschaftler bei den Jugendlichen auch psychologische Scoring-Tests durch, aus denen sich Hinweise auf Depressionen ableiten lassen. Und dann suchten sie nach Korrelationen: Geht eine reduzierte AChE- Aktivität, als Hinweis auf eine Pestizidbelastung, mit verstärkten Anzeichen für Depressionen einher?
"Das überraschendste Ergebnis ist die Robustheit, mit der wir den Zusammenhang mit Depressionen beobachtet haben. Das hatten wir zwar zuvor schon vermutet. Aber jetzt konnten wir das in eindrucksvoller Weise belegen: Jene Jugendliche in der Studie, deren Biomarker im Blut eine höhere Pestizidbelastung anzeigten, hatten auch beim Depressions-Score höhere Werte als Jugendliche mit geringerer Pestizidbelastung."
Auswirkung von Neonicotinoiden kaum erforscht
Dieser Zusammenhang zeigte sich bei Mädchen deutlicher als bei Jungen und bei Mädchen unter 14 Jahren insgesamt am stärksten. Eine eindeutige Erklärung für die Geschlechterunterschiede haben die Forscher noch nicht. Genauso wenig können sie bisher differenzieren, welche spezifischen Pestizide depressive Stimmungen am stärksten fördern. Der Verdacht mit den Organophosphaten und Carbamaten, die bekanntermaßen als AChE-Hemmer wirken, liegt zwar nahe.
Aber Jose Ricardo Suarez merkt auch an: "Es gibt noch viele andere Pflanzenschutzmittel, über die wir bisher nur sehr wenige epidemiologische Studien an Menschen haben, um deren Toxizität abschätzen zu können. Wir sprechen hier von Pestiziden wie den Neonicotinoiden, die mittlerweile die weltweit am häufigsten eingesetzten Insektizide sind, aber auch andere Herbizide oder Fungizide."
Chemikalien im Urin aufspüren
All diese Pflanzenschutzmittel landen auf den Rosenfeldern von Ecuador und könnten die Kinder, die in der Nähe leben, ebenso belasten. Jose Ricardo Suarez plant deshalb schon weitere Studien. Darin will er die Abbauprodukte verschiedenster Agrarchemikalien im Urin der jungen Studienteilnehmer aufspüren. Die Messwerte will er dann unter anderem wieder ins Verhältnis zu den Depressions-Scores setzen.
"So wollen wir versuchen herauszufinden, welche spezifischen Chemikalien am stärksten mit Depressionen in Zusammenhang stehen."