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Rosinenbomber der Nachkriegszeit

Am 24. Juni 1948 blockierte die Sowjetunion alle Zugangswege auf Schiene, Straße und Wasserwegen nach Berlin. Damit wollte sie die Alliierten von ihren Plänen für die Gründung eines Weststaates abbringen. Doch die Alliierten versorgten die West-Berliner neun Monate aus der Luft. Die von den Berlinern liebevoll genannten Rosinenbomber sind in die Geschichte eingegangen.

Von Volker Ullrich | 24.06.2008
    "Infolge einer technischen Störung an der Eisenbahnstrecke war die Transportverwaltung der sowjetischen Militäradministration gezwungen, sowohl den Passagier- als auch den Güterverkehr auf der Strecke Berlin-Helmstedt ab morgen früh 6 Uhr in beiden Richtungen einzustellen."

    Diese Meldung der Ost-Berliner Nachrichtenagentur ADN vom Abend des 23. Juni 1948 schreckte die Welt auf. Wenige Stunden später wurden alle Zugangswege nach West-Berlin gesperrt und die Versorgung der Stadt mit Lebensmitteln, Elektrizität und Kohle aus der sowjetischen Besatzungszone unterbunden. Die Blockade hatte begonnen.

    Ganz überraschend kam sie nicht. Denn die Einheit der Siegermächte war 1948 längst einem tiefen gegenseitigen Misstrauen gewichen. Am 20. März 1948 hatten die Sowjets ihre Vertreter aus dem Alliierten Kontrollrat zurückgezogen und damit die gemeinsame Viermächte-Verwaltung Deutschlands beendet. Am 16. Juni stellten sie auch ihre Mitarbeit in der Alliierten Kommandantur in Berlin ein. Zugleich suchten sie seit Ende März durch allerlei Schikanen den Berlin-Verkehr zu behindern.

    Der Auslöser für die Blockade war schließlich die Währungsreform vom 20. Juli in den Westzonen. Stalin wollte mit der Abriegelung der Stadt die anderen Alliierten zwingen, ihre Pläne für eine Weststaatsgründung aufzugeben. Für die Politiker des Westens war von Anfang an klar, dass sie dieser Erpressung nicht nachgeben durften.

    "Wir sind in Berlin, und da bleiben wir, punktum",

    entschied der amerikanische Präsident Harry S. Truman am 28. Juni. Zuvor hatte der amerikanische Militärgouverneur in Berlin, General Lucius D. Clay, bereits damit begonnen, eine Luftbrücke zu organisieren, um die Versorgung der über zwei Millionen West-Berliner sicherzustellen.

    Über drei Luftkorridore flogen amerikanische und britische Transportmaschinen von west-deutschen Flugplätzen die dringend benötigten Güter in die blockierte Stadt. Anfang Juli begleitete ein Reporter eine viermotorige amerikanische Militärmaschine auf ihrem Flug von Frankfurt am Main nach Berlin:

    "Auf Rheinmain ist alles vorzüglich organisiert. In langen Zügen wird das Mehl herangefahren. Das Mehl wird in Lastwagen an die einzelnen Flugzeuge herangebracht, und in einer Dreiviertelstunde ist so ein Flugzeug mit 190 Sack Mehl beladen. Das sind nahezu sieben Tonnen Nahrungsmittel, die ein einziges Flugzeug allein nach Berlin bringt."

    Die Leistungen wurden von Woche zu Woche gesteigert. Die Maschinen, von den Berlinern liebevoll Rosinenbomber genannt, flogen rund um die Uhr. Alle neunzig Sekunden landete und startete ein Flugzeug in Tempelhof oder Gatow, seit Dezember 1948 auch auf dem eilig errichteten neuen Flughafen Tegel - eine bewundernswerte technische und logistische Leistung!

    Dennoch bedeuteten die Monate der Blockade für die West-Berliner eine Zeit großer Entbehrungen. Zur Seele des Widerstands wurde der Sozialdemokrat Ernst Reuter, der gewählte, vom sowjetischen Stadtkommandanten aber nicht bestätigte Ober-Bürgermeister. In einer Kundgebung vor mehr als 200.000 Menschen auf dem Platz der Republik vor der Reichstagsruine am 9. September 1948 fasste er das Freiheitsverlangen der Berliner in die berühmten Sätze:

    "Ihr Völker der Welt, Ihr Völker in Amerika, in England, in Frankreich, in Italien, schaut auf diese Stadt und erkennt, dass Ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft, nicht preisgeben könnt. Es gibt nur eine Möglichkeit für uns alle, gemeinsam so lange zusammenzustehen, bis dieser Kampf gewonnen, bis dieser Kampf endlich durch den Sieg über die Feinde, durch den Sieg über die Macht der Finsternis besiegelt ist."

    Anfang 1949 begann Stalin einzulenken. Im März nahmen amerikanische und sowjetische Diplomaten Geheimverhandlungen auf. Das Ergebnis war der Abbruch der Blockade West-Berlins und der Gegenblockade, die der Westen über die Sowjetische Besatzungszone verhängt hatte. Am 4. Mai 1949 fuhr ein RIAS-Lautsprecherwagen durch die Straßen West-Berlin, um die frohe Nachricht zu verkünden:

    "Achtung, Achtung! Hier ist RIAS-Berlin... In den Hauptstädten der vier Großmächte wurde um 14 Uhr offiziell bekanntgegeben, dass die Blockade Berlins und die Gegenblo-ckade ab 12. Mai aufgehoben werden."

    322 Tage hatte die Blockade gedauert. Für die Sowjetunion war sie ein totaler Fehlschlag. Sie hatte die Gründung der Bundesrepublik nicht verhindern können, sondern sie im Ge-genteil eher beschleunigt. Nicht nur für die West-Berliner, sondern auch die West-Deutschen hatte die Luftbrücke eine enorme psychologische Bedeutung. Sie verwandelte die Besatzungsmächte in Schutzmächte.