Freitag, 19. April 2024

Archiv

Rosneft-Engagement
"Schröder hat nicht verstanden, wo es rote Linien gibt"

Der Direktor des Instituts für bedrohte Völker, Ulrich Delius, hält das Engagement von Altkanzler Gerhard Schröder beim russischen Ölriesen Rosneft für unanständig und moralisch verwerflich. Der Staatskonzern versuche, über eine Internationalisierung seines Aufsichtsrats die Sanktionen gegen Russland zu kippen, sagte Delius im Dlf.

Ulrich Delius im Gespräch mit Peter Sawicki | 29.09.2017
    Altbundeskanzler Gerhard Schröder ist Mitglied im Aufsichtsrat von Rosneft ( 29.7.17)
    Es sei keine Privatsache von Herrn Schröder, was er als ehemaliger Bundeskanzler mache, findet Ulrich Delius. (AFP PHOTO / Olga MALTSEVA)
    Peter Sawicki: Die Kritik am neuen Posten von Gerhard Schröder, die ist in Deutschland besonders laut. Eine dieser kritischen Stimmen gehört Ulrich Delius, er ist Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker, und er beobachtet zum Beispiel intensiv die politische Lage auf der Krim. Mit ihm haben wir vor der Sendung über den neuen Job von Gerhard Schröder gesprochen. Guten Abend, Herr Delius!
    Ulrich Delius: Schönen guten Abend, Herr Sawicki!
    Sawicki: Hat Gerhard Schröder kein Recht auf Berufsfreiheit?
    Delius: Er hat eine spezielle Rolle als ehemaliger Bundeskanzler, und er scheint sich dessen gar nicht bewusst zu sein, sondern zu denken, er ist wie jeder Rentner, er kann noch mal schnell einen Nebenjob machen.
    Sawicki: Wie sieht die Rolle aus?
    Delius: Na ja, also das wird jetzt noch interessant. Er soll ja eigentlich einen Konzern überwachen, der in viele, auch recht dubiose Aktivitäten verwickelt ist, und das wird sehr spannend zu sehen, wie er diese Überwachungsrolle wahrnimmt. Was wir nur sagen ist: Es ist keine Privatsache von Herrn Schröder, was er da macht als ehemaliger Bundeskanzler. Er ist nicht wegen seines privaten Wirtschaftswissens in diese Position gekommen, sondern wegen seiner Kontakte als früherer Bundeskanzler, und das geht eben nicht.
    Schaden an dem Ansehen deutscher Politiker
    Sawicki: Das ist also moralisch verwerflich Ihrer Meinung nach.
    Delius: Es ist unanständig, es ist moralisch verwerflich, und der Mann hat einfach nicht verstanden, wo es rote Linien gibt, und es muss eben auch für jeden Politiker klar sein, bestimmte Jobs kann man nicht annehmen, wenn man sich dann auch der Gefahr aussetzt, dass man jegliche Glaubwürdigkeit verliert und letztlich auch nationalen Interessen Deutschlands vielleicht damit noch schadet.
    Sawicki: Also es geht um Rosneft konkret. Das ist das, was Sie kritisieren, dass es um diesen Konzern geht.
    Delius: Ja, also wir sind keine Moralwächter grundsätzlich. Wir sind auch nicht Transparency International, die sich anschauen, was machen ehemalige Politiker, sondern wir gehen hier in den Einzelfall rein. Wir beobachten Rosneft seit vielen Jahren, was machen sie in Russland, was machen sie sonst in der Welt, wofür sind sie verantwortlich und beobachten hier vor allen Dingen Rosnefts Haltung zu den EU-Sanktionen gegen Russland, und das sehen wir als sehr problematisch an, welche Rolle da dann letztlich Schröder kommt und sich selber quasi auch hineingelobt hat in diese Rolle, und er darf einfach nicht letztlich zum Lakaien Putins werden. Da müsste er eigentlich auch so viel Distanz haben als Politiker, dass er sagt, da verliere ich dann auch jede Glaubwürdigkeit, und ich schade letztlich auch dem Ansehen deutscher Politikerinnen und Politiker in der Öffentlichkeit.
    Sawicki: Sie haben gesagt, dass Sie Rosneft beobachten, was sie in der Welt machen. Was genau macht der Konzern denn, was Sie kritisieren?
    Delius: Im eigenen Land ist er sehr aktiv, in den arktischen Gebieten, in Sibirien. Das ist für uns insofern problematisch, als dass das Wirken von Rosneft doch auch dazu beiträgt, dass die Ureinwohner dieser Region kaum eine Überlebensperspektive haben. Auch dazu müsste Schröder etwas sagen, weil wenn er jetzt dieses Unternehmen kontrollieren soll, wir rechnen aber nicht damit, dass er das tun wird, weil er sich für Menschenrechte selten interessiert hat. Die engen Beziehungen zu Venezuela und seinem autoritären Regime, die eben letztlich dann vom Kreml über Rosneft gepflegt werden, sind natürlich auch ein großes Problem, aber vor allen Dingen immer wieder das Auftreten des Konzerns hinsichtlich der EU-Sanktionen gegen Russland, und da sagen wir: Solange diese schweren Menschenrechtsverletzungen unter anderem an Krimtataren auf der Krim anhalten, ist es einfach nicht der Moment, um Russland zu beloben für dieses (Wort unverständlich, Anm. d. Red.).
    "Rosneft wird vorgeschickt vom Kreml, um Sanktionen zu kippen"
    Sawicki: Moment, aber was hat Rosneft mit Menschenrechtsverletzungen auf der Krim zu tun? Könnten Sie das noch mal konkretisieren?
    Delius: Rosneft hat insofern etwas damit zu tun … Es begeht natürlich nicht diese Menschenrechtsverletzungen, aber Rosneft wird vorgeschickt vom Kreml, um diese Sanktionen zu kippen, und das tun sie konsequent seit zwei Jahren. Sie versuchen es auf juristischem Weg, sind damit gescheitert, sie versuchen es jetzt durch eine Internationalisierung ihres Aufsichtsrates im Vorstand, holen sich da internationale Persönlichkeiten rein, von denen sie die Erwartung haben, dass einerseits dem Unternehmen geholfen wird, aber indirekt eben auch der russischen Politik, indem diese Sanktionen quasi verdammt werden und man alles Know-how dieser Leute und alle Kontakte dieser Leute einsetzen will, um diese Sanktionen zu kippen, und das ist in unseren Augen ein Problem, weil wir sagen, diese Sanktionen müssen bleiben, weil wenn man das Völkerrecht verletzen kann, und es hat keine Konsequenzen, dann muss man auch sehen, was dann die generellen Perspektiven des Völkerrechts sind, dass das nämlich dann langsam etwas wird, was von Diktatoren oder autoritären Regierungschefs immer mehr missachtet wird. Das sehen wir bei Trump, das sehen wir bei Putin, und das ist ein Problem.
    Sawicki: Herr Delius, die EU-Sanktionen in Bezug auf die Krim, die zielen ja vor allem auf die Annexion der Krim durch Russland. Wie soll Gerhard Schröder praktisch dazu beitragen, dass die aufgehoben wird?
    Delius: Er hat sich in den letzten Monaten ja sehr explizit immer wieder dazu geäußert, und er wird seine Kontakte in der Europäischen Union sicherlich nutzen, weil das ist eines der Hauptthemen, was Rosneft beschäftigt …
    Sawicki: Wie soll das praktisch funktionieren – wenn ich da kurz einhaken darf? Die SPD wird jetzt nicht mehr an der Bundesregierung höchstwahrscheinlich beteiligt sein. Auf welchem Wege kann Schröder da Einfluss nehmen und auf wen?
    Delius: Er hat natürlich seine langjährige Tätigkeit in führenden Positionen in der deutschen Politik viele Kontakte zur Europäischen Union hin zu verschiedenen Nationalstaaten, deren Regierungen, aber natürlich auch zur EU-Kommission et cetera, und wir gehen davon aus, dass die natürlich auch genutzt werden. Also worin soll denn ansonsten der Wert dieses Mannes bestehen? Warum bezahlt man ihm 500.000, 600.000 Euro im Jahr für eine Kontrolltätigkeit, die er nicht ausübt, weil da nichts zu kontrollieren ist letztlich in dieser Struktur. Also irgendwo muss ja der Mehrwert für das Unternehmen bestehen, und das kann nach unserer Einschätzung nur in seinen Kontakten bestehen.
    Sawicki: Die Frage ist natürlich, wie realistisch das ist, dass dieses Ziel erreicht wird, denn die Sanktionen sind ja einstimmig verhängt worden. Die müssen auch einstimmig wieder aufgehoben werden können. Das heißt, Schröder müsste auf alle EU-Mitgliedsstaaten Einfluss ausüben können.
    Delius: Ja, aber wir sehen ja auch in der deutschen Politik, dass es da durchaus viel Diskussionen gibt, wenn man sich die Position von Herrn Lindner anhört, und da gibt es auch international durchaus andere Stimmen, die sich vorstellen könnten, dass man hier sozusagen Realpolitik betreibt und zur Tagesordnung übergeht. Also das halten wir nicht für so ein überwindliches Hindernis. Da, denke ich, kann sehr schnell Bewegung hineinkommen, wenn das einigen Staaten zu geboten erscheint, sie aufzuheben. Wir sehen ja jetzt schon allein dieser taktische Zug sozusagen, Schröder in diese Position zu bringen, bringt eine enorme Aufmerksamkeit für diese Sanktionen und auch für die Kritik an den Sanktionen, und das ist ja das, was Rosneft will. Sie wollen das problematisieren, sie wollen den Druck erhöhen, um dann zu erreichen, dass sie letztlich diese Entscheidung dann kippen können.
    "Ein Ausverkauf von Menschenrechten"
    Sawicki: Brauchen wir grundsätzlich bessere Beziehungen zu Russland?
    Delius: Gute Beziehungen zu Russland sind sicherlich positiv, aber darum geht es hier nicht, sondern es geht darum, dass ein ehemaliger Bundeskanzler am ehesten wissen muss, was er am Völkerrecht hat. Völkerrecht regelt die Beziehungen zwischen Staaten. Wenn ein Staat wie die russische Föderation dieses Völkerrecht systematisch mit Füßen tritt, dann muss das geahndet werden. Dann muss das Folgen haben, und wenn man das dann schnell wieder vergisst und diese Sanktionen wieder aufhebt, dann stellt man letztlich diese ganze Völkerrechtsordnung infrage, und das wird dann irgendwann ein Problem, weil wenn Putin die Überzeugung hat, egal, Völkerrecht, ich kann dieses Territorium oder jenes Territorium okkupieren, es gibt dann einen Sturm im Wasserglas, nach vier, fünf Monaten ist alles wieder vorbei, das wäre ein sehr, sehr ungutes Zeichen für unser Zusammenleben als Völker, als Nationen in Europa, weil es dann letztlich bedeuten würde, dass alle Karten neu gemischt werden und dass derjenige, der die Macht hat und die Waffen hat, das Sagen hat.
    Sawicki: Was sollte passieren, damit die Sanktionen aufgehoben werden?
    Delius: Auf jeden Fall müsste sich generell die Menschenrechtssituation auf der Krim ändern, und natürlich müsste die Besetzung rückgängig gemacht werden. Das ist mir auch bewusst, dass das eine weitgehende Forderung ist, aber wir stellen fest, dass jetzt, in den letzten Jahren zumindest, diese Position von der EU gehalten wurde, dass man nicht bereit ist, zur Tagesordnung überzugehen, selbst wenn Politiker wie Herr Lindner oder Herr Lambsdorff sich das vorstellen können jetzt. Unsere Rolle als Menschenrechtsorganisation, die sich für Rechte von Krimtataren einsetzt, ist dagegenzuhalten und deutlich zu machen, wenn ihr das tut, dann bedeutet das letztlich auch ein Ausverkauf eurer Interessen und ein Ausverkauf von Menschenrechten.
    Sawicki: Sagt Ulrich Delius, der Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.