Mittwoch, 24. April 2024

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Rossini Opera Festival in Pesaro
Königinnen, Propheten und eine Farce beim Rossini-Festival

Ein Drama um Liebe und Macht mit Anklängen an die Netflix-Serie „The Crown“, eine turbulente Komödie um Schulden und falsche Identitäten sowie hochkarätige Sängerinnen: Das 42. Rossini Festival bot Opern, die selten zu hören sind – und bewies dabei einmal mehr seine Vielseitigkeit.

Von Elisabeth Richter | 09.08.2021
Die Opernsängerin Karine Deshayes in einer Szene der Oper "Elisabetta, Regina d’Inghilterra" von Antonio Rossini auf dem Rossini Opera Festival in Pesaro.
Im Stil einer Fernsehserie: Die Opernsängerin Karine Deshayes in einer Szene der Oper "Elisabetta, Regina d’Inghilterra" beim Rossini Opera Festival in Pesaro (Rossini Opera Festival)
"Wir möchten auf jeden Fall eine Routine vermeiden, indem wir immer dieselben Regisseure einladen. Wir glauben, dass es nicht nur eine Wahrheit gibt. Wir laden traditionelle und innovative Regisseure ein und lassen uns von ihren verschiedenen Lesarten der jeweiligen Opern bereichern."
Ernesto Palacio, der Intendant des Rossini Opera Festivals in Pesaro, ist seinem Prinzip der Auswahl von Regisseuren für die jährlichen drei Opern-Produktionen auch in der 42. Festival-Ausgabe treu geblieben. Unterschiedlicher hätten die drei Regie-Arbeiten Regie-Arbeiten von Rossinis komischem Operneinakter "Il Signor Bruschino", seiner Opera seria "Elisabetta, Regina d’Inghilterrra" und der Grand Opéra "Moïse et Pharaon" nicht sein können.

Trubulenter Witz: Rossinis "Farsa"

Der über 90-jährige italienische Regie-Altmeister und ehemalige Architekt Pier Luigi Pizzi vermied bei der französischen Oper "Moïse et Pharaon" (Moses und Pharao) von 1827 jegliche Psychologisierung. Er setzte auf nüchterne gerade Formen in der Ausstattung, arbeitete mit kräftigen Farben, ließ aber doch ein wenig Bewegungsregie vermissen.
Ein wunderbarer Kontrast zur ästhetisierenden Sichtweise Pizzis war die zweite Produktion. Die nur fünfundsiebzigminütige "Farsa" "Il Signor Bruschino" von 1813 ist eine herrliche, turbulente Komödie um ein heiratswilliges Mädchen, dessen Vormund jedoch Probleme macht, Rivalitäten, Geldschulden, falsche Identitäten und mehr. Das Regie-Duo - André Barbe und Renaud Doucet – debütierte mit dieser Inszenierung in Pesaro. Es brachte sehr kurzweilig und unterhaltsam Rossinis Witz in Musik und Handlung auf den Punkt.
Die zweite große "Opera seria" dieses Jahres war "Elisabetta – Regina d’Inghilterra", 1815 Rossinis erste Arbeit für das Teatro San Carlo in Neapel.

Anleihen an Netflix-Serie "The Crown"

"Ich habe oft ein Problem mit dem Regietheater. Wenn die Partitur nicht respektiert wird, fühle ich mich wirklich beleidigt. Wir Regisseure müssen auf außerordentliche Weise die alten Geschichten der Opern für das heutige Publikum übersetzen, eine moderne Lesart anbieten und mit den Geschichten spielen, aber wir dürfen sie nicht für unsere intellektuellen Spekulationen missbrauchen."
Davide Livermore ist einer der renommiertesten italienischen Regisseure, häufiger Gast in Pesaro und Intendant des Teatro Nazionale in Genua. Wie er das fiktive Liebes-, Eifersuchts-, Macht- und Rachedrama um einen Geliebten der Königin Elisabeth I. aus dem 16. Jahrhundert inszenierte, bereitete pures Vergnügen. Davide Livermore:
"Das ist ein riesiges Drama mit vielen Aspekten, wie eine Fernseh-Serie heute. Wir spielen mit Elementen aus der beliebten Netflix-Serie "The Crown", die wirklich exzellent ist. Das ist uns in diesen Monaten der Vorbereitung klar geworden."
Davide Livermores "Elisabetta, Regina d’Inghilterra", also Elisabeth I., ist unverkennbar die heutige Queen, Elisabeth II. Die Kostüme erinnern an die so charakteristisch farbenfrohe Garderobe der Queen. Die typischen "Grenadier Guards" mit ihren roten Uniformen und den überdimensionalen Bärenfell-Helmen marschieren durch die Szene, die Queen singt eine Arie auch mal als eine Rundfunkansprache.
Bühnenbildner Giò Forma arbeitet viel und geschickt mit Video-Animationen. Blitzschnell wechseln große Palast-Foyers mit intimeren Räumen. Aber die Animationen zeigen auch Feuer- oder Meeresstürme analog zu den seelischen Turbulenzen der Personen und faszinierend synchron mit der Musik.

Hohes Niveau bei Sängerinnen und Dirigenten

Auch musikalisch bleibt das Rossini Opera Festival in Pesaro seinem sehr hohen Standard treu. Sängerisch waren alle drei Produktionen hochkarätig besetzt. Karine Deshayes lieferte als Königin Elisabeth brillante Rossini-Koloraturen, ebenso wie Sergey Romanowsky, ihr abtrünniger Liebhaber Leicester. In "Moïse et Pharaon" (Moses und Pharao) überzeugte etwa der kernige Bass Roberto Tagliavini in der Titelpartie, und in "Il Signor Bruschino" sang und spielte Pietro Spagnoli den Titelhelden mit hör- und sichtbarem Vergnügen. Das zu verheiratende Mündel Sofia wurde mit glitzernden Koloraturen und intimen Spannungsmomenten exzellent von Marina Monzó interpretiert.
Bei den Dirigenten überzeugte am stärksten der noch nicht 30jährige Michele Spotti am Pult der Filarmonica Gioachino Rossini bei "Il Signor Bruschino". Mit großer Sensibilität und vor allem Geschmack spürte er Rossinis rollenden dynamischen Crescendo-Wellen und -Rhythmen nach. Dagegen wirkte Giacomo Sagripanti bei "Moïse et Pharaon" sehr technisch distanziert, während man sich Evelino Pidò bei "Elisabetta Regina d’Inghilterra" weniger stürmisch, dafür aber differenzierter gewünscht hätte.