Archiv


„Rot-grün startet in die zweite Regierungsrunde“

Das war gestern Abend bis in die tiefen Nachtstunden hinein der wohl spannendste Wahlkrimi seit vielen Jahren. Entsprechend knapp dann auch das Ergebnis: Rot-Grün kann weiter regieren – trotz erheblicher Verluste der SPD. Die Union kann ihre Stimmengewinne nicht in einen Regierungswechsel ummünzen. Das hat ihr die FDP vermasselt. Es war das knappste Wahlergebnis seit der Wiedervereinigung und brachte Verluste für SPD und PDS, aber Gewinne für CDU/CSU, die Grünen und die FDP. Mit einem Plus von elf Mandaten will die rot-grüne Koalition die nächsten vier Jahre weiter regieren. Dass sie das kann, ist vor allem das Verdienst der Grünen, die um knapp zwei Prozentpunkte zulegten, während die SPD ein Minus von 2,4 verbuchen musste. Dieter Roth von der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen macht denn auch klar:

Gode Japs und Frank Capellan |
    Das war gestern Abend bis in die tiefen Nachtstunden hinein der wohl spannendste Wahlkrimi seit vielen Jahren. Entsprechend knapp dann auch das Ergebnis: Rot-Grün kann weiter regieren – trotz erheblicher Verluste der SPD. Die Union kann ihre Stimmengewinne nicht in einen Regierungswechsel ummünzen. Das hat ihr die FDP vermasselt. Es war das knappste Wahlergebnis seit der Wiedervereinigung und brachte Verluste für SPD und PDS, aber Gewinne für CDU/CSU, die Grünen und die FDP. Mit einem Plus von elf Mandaten will die rot-grüne Koalition die nächsten vier Jahre weiter regieren. Dass sie das kann, ist vor allem das Verdienst der Grünen, die um knapp zwei Prozentpunkte zulegten, während die SPD ein Minus von 2,4 verbuchen musste. Dieter Roth von der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen macht denn auch klar:

    Die Grünen haben dazu gewonnen und insgesamt haben sie dafür gesorgt, dass die rot-grüne Koalition noch einmal weitermachen kann.

    Das gute Ergebnis der Grünen, das hat sich allerdings erst in den letzten Tagen vor der Wahl herauskristallisiert. Die Forschungsgruppe Wahlen konnte im Endspurt sehr deutliche Veränderungen von der SPD hin zu den Grünen registrieren. Der Grund:

    Es sind taktische Wähler gewesen, die eigentlich der SPD viel näher stehen, das heißt richtig nahe stehen, denn sie identifizieren sich mit der SPD, die aber jetzt ganz zum Schluss dann doch die Grünen gewählt haben, weil sei eine rot-gelbe Koalition auf jeden Fall verhindern wollten.

    Aber auch Joschka Fischer hat einen großen Anteil an dem guten Abschneiden der Grünen:

    Joschka Fischer ist zwar vielleicht nicht die totale Repräsentation grüner Ideen, aber er ist ein ganz starkes Zugpferd.

    Der Wahlkampf war selten so stark auf Personen zugeschnitten wie in den zurückliegenden Wochen und Monaten. Und unbestritten ist auch, dass Gerhard Schröder tüchtig für die SPD gepunktet hat. Dieter Roth:

    Ohne Schröder hätte die SPD diese Wahl gewonnen.

    Hieraus allerdings die Schlussfolgerung zu ziehen, dass Personen – und nicht Programme und Inhalte – die gestrige Wahl entschieden haben, lässt Meinungsforscher Dieter Roth nicht gelten. Er ist sicher, dieser Einfluss von Personen wird ...

    ... in der Regel von den Parteien selbst, aber auch vor allen Dingen von den verstärkenden Medien überschätzt. Wäre wirklich der Einfluss so groß, dann hätte die SPD ein fulminantes Ergebnis erreichen müssen.

    Zugelegt um 3,4 Prozentpunkte - und das Wahlziel dennoch nicht erreicht zu haben, das ist das bittere Los der Union. Wahlsieger ist ohne Frage die CSU mit ihrem Parteivorsitzenden Edmund Stoiber als Unions-Kanzlerkandidat. Allein in Bayern hat die CSU fast 11 Punkte gewonnen und kommt bundesweit auf neun Prozent. Das ist ein Plus von 2,3 Prozentpunkten gegenüber 1998 – ein Drittel mehr Stimmen als vor vier Jahren. Dass die Union nicht den Bundeskanzler stellt, das hat sie in erster Linie den Wählern in den neuen Bundesländern zu verdanken, wo sie nur ganz geringfügig sich verbessern konnte. War Stoiber vielleicht der falsche Kandidat für den Osten der Republik? Noch einmal Dieter Roth:

    Man kann ja für den Osten keinen anderen Kandidaten wählen als für den Westen. Deshalb musste sich die Union entscheiden. Sicherlich wäre Frau Merkel der bessere Kandidat gewesen. Tatsächlich ist der Herausforderer im Osten sehr viel schlechter eingeschätzt worden als im Westen, aber auch da gibt es ein Nord-Süd-Gefälle. Also Stoiber ist ein Mann, der politisch im Süden äußerst große Unterstützung findet, aber eben nicht im Osten und auch nicht im Norden.

    Dieser Gesichtspunkt hat heute sicherlich auch bei den Beratungen der Unions-Parteien eine gewichtige Rolle gespielt. Erste neue Personalwünsche wurden angemeldet – nicht nur bei der CDU, auch bei der SPD. Und die FDP darf sich einen neuen Vize-Parteivorsitzenden suchen, die PDS möglicherweise eine oder einen neuen Vorsitzenden. Über den "Tag danach in Berlin" Frank Capellan aus unserem Hauptstadtstudio:

    Halb eins, vergangene Nacht, Gerhard Schröder lässt sich feiern, die letzten Hochrechnungen geben Gewissheit: die rot-grüne Mehrheit steht. Der alte und neue Kanzler gelöst, so gelöst, dass er gleich seinen Vize mitbringt:

    O.K., aber Leute, jetzt darf man auch mal in den heiligen Hallen der Deutschen Sozialdemokraten, einem solchen Grünen das Wort geben, bitte: (Schröder)

    Ich möchte mich aber bei Ihnen allen, bei Euch allen auch recht herzlich bedanken. Gerhard Schröder wird mir nicht böse sein und Sie werden mir nicht böse sein, wenn ich natürlich diesen einen Punkt, dass es für uns hätte weniger sein dürfen etwas anders sehe und auch sage, habe hart darum gekämpft, deswegen entschuldige ich mich dafür jetzt auch nicht. Aber es gab auch eine klare Ansage, nämlich dass wir für die ökologische und soziale Eneuerung unseres Landes vier weitere Jahre... (Fischer)

    Hör mal, dass ist ein Fehler, den hier auftreten zu lassen. (Schröder)

    Gute Laune auch am Tag danach, Schröder ganz der Alte, vom Wahlkämpfer zurück zum Staatsmann. Zu Scherzen aufgelegt, schlagfertig, immer einen lockeren Spruch auf den Lippen.

    Ne wunderbare Frage, wie war ihr Name? Den muss man sich merken.

    Schröder albert herum, gibt sich in gespielter Naivität. Frage: Wann beginnen eigentlich die Koalitionsverhandlungen?

    Ach so, haben wir heute gar nicht so sehr drüber geredet, aber im Grunde haben wir die gestern Nacht schon begonnen. Man redet, dass Telefon ist empfunden und man sieht sich.

    Immerhin: ein paar Entscheidungen wurden heute doch getroffen. Ludwig Stiegler, der mit anti-amerikanischer Polemik im Wahlkampf übers Ziel hinaus geschossen war, muss den Stuhl des Fraktionsvorsitzenden räumen. Generalsekretär Franz Müntefering soll ihm folgen. Ihm traut Schröder am ehesten zu, die Abgeordneten zu disziplinieren:

    Ich gehe davon aus, dass damit die Abstimmung zwischen Koalition und Regierung noch ein Stück enger werden wird, als sie es in der Vergangenheit gewesen ist.

    Eine weitere Personalie ist geklärt. Hertha Däubler-Gmelin wird dem neuen Kabinett nicht mehr angehören. Weil sie Hitler und Bush in einem Satz erwähnte, muss die Justizministerin gehen:

    Wenn nur irgendetwas von dem richtig ist was vorgeworfen wird, dann wird man die Zusammenarbeit beenden müssen.

    Hatte der Kanzler bereits gestern angekündigt. Heute ist er froh, dass sich die Sozialdemokratin zumindest ein bisschen freiwillig - wenn auch auf seinen Druck hin – zurückzieht: Nachkarten in Richtung Rudolf Scharping, der seinen Sessel ja nicht aus freien Stücken räumen wollte:

    Da sieht man einfach, dass es in der deutschen Politik Menschen gibt, die aus eingetretenen Situationen auch Konsequenzen ziehen können.

    Kein Wort zum neuen Kabinett, natürlich mache er sich ständig Gedanken über Personalien, aber doch nicht öffentlich. Dass Schröder die baden-württembergische Landeschefin Ute Vogt für ministrabel hält, ist bekannt, denkbar aber auch, dass die erstarkten Grünen auf ein viertes Ressort pochen werden. Deren Parteichef Fritz Kuhn allerdings wiegelt ab:

    Wir führen bei uns jetzt keine Diskussion, über Anzahl von Ministerien. Wir sind mit der Konzentration auf Inhalte im Wahlkampf so gewählt worden und diese Konzentration auf die Inhalte werden wir auch zum Kernpunkt unserer Koalitionsverhandlungen machen.

    Diplomatisch, zurückhaltend auch Bundesaußenminister Joschka Fischer:

    Im Sieg muss man bescheiden sein und in der Niederlage muss man dann auch das Stehvermögen haben.

    Schröder:

    Bei mir war niemand, der irgendwas gefordert hat, also muss ich auch nichts ablehnen.

    Also: Die Grünen haben von Schröder noch keinen weiteren Posten gefordert. Ob es dabei bleibt, wird davon abhängen, wie weit sich der kleinere Partner in inhaltlichen Fragen durchsetzen kann, etwa bei der Forderung nach weiterem Anheben der Ökosteuer. Kein Kommentar dazu heute vom Kanzler. Einig dürfte sich die Koalition bei schnellen Maßnahmen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit werden. Die Hartz-Vorschläge sollen komplett übernommen werden.

    I can´t understand English please try it in German.

    Als Schröder von vielen ausländischen Kollegen danach gefragt wird, wie er das angeschlagene Verhältnis zu den USA wieder auf Vordermann bringen will, versucht der Kanzler erst einmal abzulenken. Lachen im Saal, als er damit kokettiert, kein Englisch zu verstehen.

    I fear, I didn´t understand…

    Auf die Frage einer US-Journalistin nach einer Botschaft ans Weiße Haus legt er noch einen drauf, dann endlich die Antwort:

    Do you have any message for the american administration today?

    Schröder:

    Also es ist so, ich würde niemals, dass was ich dem Präsidenten zu sagen habe in einer Pressekonferenz vorankündigen. Und seien sie mal sicher, dass was geschrieben worden ist über die deutsch-amerikanischen Beziehungen, dass wird sich schnell auflösen, weil diese Beziehungen in Takt sind.

    Als Blödsinn bezeichnet Schröder das Wort vom deutschen Sonderweg in der Außenpolitik, er versucht den Eindruck zu erwecken, als sei ihm die Diskussion über den Irak-Krieg von der Opposition aufgedrängt worden. Ein Vorwurf, der von Herausforderer Edmund Stoiber umgehend zurückgewiesen wird.

    Er wird jetzt nicht mehr mit irgendwelchen Sprüchen durchkommen, jetzt kommen die harten Fakten und diese Auseinandersetzung hat tiefgreifende Spuren in der amerikanischen Bevölkerung und auch in der amerikanischen Wirtschaft hinterlassen.

    Bei der Union ist die Feierlaune über Nacht gewichen. Sah es erst so aus, als habe sie die SPD überholt, bleibt sie nun doch nur zweitstärkste Kraft im Bundestag:

    Christian Wulff:

    Im Grundsatz gewonnen und trotzdem nicht gesiegt, das ist bitter, wenn man weis, dass die Politik Deutschlands sich ändern muss, im Verhältnis zu unseren Nachbarn, im Verhältnis zu Amerika, wir brauchen dringend belebende Signale für die wirtschaftliche Lage in Deutschland. Es warten viele darauf, das wird nur nicht kommen. Rot-grün hat vier Jahre Mist gebaut, kann nun weiter regieren, mit knappester Merhheit, dass ist des Bittere.

    So ein enttäuschter CDU-Vize Christian Wulff. Edmund Stoiber allerdings bleibt Kanzlerkandidat in Wartestellung. Für ein, zwei Jahre wäre er die Nummer 1, sollte rot-grün scheitern – und da zeigte sich der CSU-Chef gestern abend übrigens äußerst zuversichtlich:

    Ich werde alles tun, das CDU/CSU in einer hohen Geschlossenheit bleibt, damit wir auch die Regierung übernehmen können, sollte es jetzt nicht gelingen, dann sage ich Ihnen voraus, binnen Jahresfrist werde ich die Regierung neu bilden können.

    Derlei Hoffnung ist heute allerdings schon eher Ernüchterung gewichen. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel richtet sich auf eine längere Zeit in der Opposition ein – und machte den Kollegen im Präsidium klar:

    ..dass ich glaube, dass dies Oppositionsarbeit in einer gebündelten Funktion von Partei und Fraktionsvorsitz besser und gut erledigt werden könnte.

    Merkel beansprucht Partei- und Fraktionsvorsitz in einer, in ihrer Hand. Schon morgen soll darüber entschieden werden. Noch-Fraktionschef Friedrich Merz jedenfalls will ihr keine Steine in den Weg legen:

    Ich glaube, dass es notwendig ist, dass wir jetzt mit einer Stimme sprechen, dass in größter Geschlossenheit die Union in die Opposition geht.

    Die Union wird jetzt versuchen, verstärkt über den Bundesrat ins Spiel zu kommen, CSU-Mann Horst Seehofer kündigt bereits eine Blockadestrategie in der Länderkammer an. Edmund Stoiber allerdings wiegelt ab, dazu werde es nicht kommen:

    Mit Sicherheit nicht, wir sind nicht Schröder und La Fontaine.

    Keinerlei Schuldzuweisungen kamen heute von der Union in Richtung FDP. Die Liberalen selbst hatten den Schuldigen des Wahldebakels schon gestern abend ausgemacht.

    Deswegen hat das Präsidium der freien Demokraten einstimmig Jürgen Möllemann gebeten, sein Amt als stellvertretender Parteivorsitzender zur Verfügung zu stellen.

    Kanzlerkandidat Guido Westerwelle, Chef der Spaßpartei, die nun zur Spottpartei zu werden droht, weil sie näher an 1,8 Prozent als an den angepeilten 18 liegt, kennt nur einen Verantwortlichen: Jürgen W. Möllemann.

    Um der FDP eine Zerreißprobe und eine weiter Beschäftigung mit sich selbst zu ersparen trete ich von meinem Amt als stellvertretender Bundesvorsitzender zurück.

    Der Erfinder von Projekt 18 und Kanzlerkandidatur beugt sich am Nachmittag dem Druck des Parteivorstandes, doch mit ihm könnte weiter zu rechnen sein. Sein Bundestagsmandat wird er antreten, und er will auch weiter Landeschef der nordrhein-westfälischen Liberalen bleiben. Die hatten ihn 1994 schon einmal entmachtet, Parteichef Westerwelle hofft nun, dass sich dies nun in Düsseldorf wiederholen könnte

    Warten wir mal ab, welche Beratungen es an anderer Ebene noch geben wird.

    Personelle Konsequenzen sind auch bei der PDS nicht ausgeschlossen. Noch allerdings bleibt die Führung der Postsozialisten im Amt. Die PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer wird sich auf dem Parteitag in Gera dem Votum der Basis stellen:

    Ich habe heute deutlich erklärt, dass ich für Kritik an meiner Verantwortung offen bin, und dass ich diese auch herausfordere und das es für uns in aller erster Linie darum geht, wir wollen um dieses Projekt PDS weiter kämpfen.

    Zu klären sei, warum die Partei im Osten soviel an Vertrauen verloren habe. Fest stehe aber: In vier Jahren werde um den Wiedereinzug in den Bundestag gekämpft. Und dann wird möglicherweise auch der große Sieger dieser Wahl wieder kämpfen. Bundeskanzler Gerhard Schröder jedenfalls hielt sich heute alles offen, als er gefragt wurde, ob es bei seiner Aussage bleibe, wonach zwei Amtsperioden genug seien.

    Nach dieser Wahlnacht kriege ich richtig Lust. Wie sagt Kaiser Franz: Schau´n mer mal, dann seh´n mer schon...

    Danke an Frank Capellan. Wir machen jetzt noch ein wenig weiter mit Dieter Roth von der Forschungsgruppe Wahlen und wollen zunächst der Frage nachgehen, woher die SPD-Verluste kommen? Das Ergebnis ist eindeutig: Vor allem enttäuschte Arbeiter haben der SPD überdurchschnittlich den Rücken gekehrt. Hier konnte die Union acht Punkte dazugewinnen. Noch deutlicher fallen die Verluste bei der SPD-Kerngruppe, nämlich bei den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern, aus – ein minus von sieben Prozentpunkten, während die Union neun Punkte gut macht. Verluste musste die SPD auch bei arbeitslosen Wählern einstecken.

    Diese Verluste insgesamt bei diesen doch eher der SPD zuneidenden Klientel lassen sich sogar regionalisieren, denn diese Verluste sind besonders groß auch in Nordrhein-Westfalen.

    Im Kernland der SPD, im Ruhrgebiet, hat die SPD diesmal denn auch die schlimmste Niederlage mit durchschnittlich 4,2 Prozentpunkten eingesteckt. Anders dagegen das Abschneiden in den neuen Bundesländern, wo die SPD um 4,2 Prozentpunkte zulegte und viele frühere PDS-Wähler um sich scharren konnte. Hilfreich war hier auch die Flutkatastrophe, meint Dieter Roth:

    Dieses ist ein ganz wichtiger Punkt, denn hier gelang es der Regierung, zu zeigen, dass sie handlungsfähig ist, wenn tatsächlich Probleme die Leute sehr stark belasten. Das hat der SPD enorm geholfen. Das hat gleichzeitig die PDS ziemlich ins Abseits gedrängt.

    Und die Gefahr eines Krieges im Irak, welche Rolle hat dieses Thema für die Wahlentscheidung gespielt?

    Das war sicher nicht initial für die Aufwärtsbewegung der SPD, aber es war auch verstärkend.

    Für viel Aufregung hatten in den letzten drei Tagen vor der Wahl noch angebliche antiamerikanische Äußerungen der Justizministerin Herta Däubler-Gmelin gesorgt. Doch dies sei vor allem von den Medien überschätzt worden, meint Dieter Roth von der Forschungsgruppe Wahlen:

    Wir sehen in unseren Daten keinen Hinweis darauf, dass dieses von großem Einfluss war.

    Das gilt auch für den heute zurückgetretenen FDP-Vize Jürgen Möllemann. Ihn zum alleinigen Sündenbock für das Wahlergebnis der FDP abzustempeln, wäre nach Ansicht von Dieter Roth nicht redlich:

    Sicherlich war es nicht förderlich für die Partei, dass hier zum Schluss noch einmal Möllemann diese antijüdischen Emotionen geweckt hat. Die Partei musste so handeln, wie sei gehandelt hat, nämlich mit Distanzierung. Dass diejenigen, die sich jetzt für die FDP entschieden hatten, dann da noch einmal wankelmütig geworden sind – wir können dies auf jeden Fall nicht erkennen. Wir hatten auch vor dieser Diskussion die FDP in der Größenordnung, die sie jetzt erreicht hat.

    Nämlich magere 7,4 Prozent, obwohl sie lange von einem zweistelligen Ergebnis geträumt hatte. Wahlforscher Roth führt das schlechte Abschneiden der FDP auf deren "verfehlten Strategie" zurück, keine Koalitionsaussage gemacht zu haben. Fast zwei Drittel aller Wähler und auch der FDP-Anhänger wollte eine Koalitionsaussage von der FDP. Und etwa 60 Prozent der FDP-Wähler setzten auf eine Koalition mit der Union:

    Selbst bei dem jetzt erzielten Ergebnis der FDP identifiziert sich aber immer noch ein Viertel ihrer Wähler mit der Union, stehen also dieser näher als der FDP. Wenn man dies mal so milde absieht, dann ist die FDP keine starke Partei in diesem Parlament.

    Besser schwach als gar nicht mehr als Fraktion im Bundestag vertreten zu sein. Dieses Schicksal hat die PDS ereilt. Hat Gregor Gysi durch seinen Rücktritt als Berliner Wirtschaftssenator das PDS-Aus zu verantworten. Nicht nur – aber auch, meint Dieter Roth:

    Dieser Verlust dieses Polit-Stars war sicherlich ein großer Verlust für die PDS. Aber es gibt auch andere Gründe. Die PDS hat nicht ihr altes Ergebnis erreichen können, weil es auch keine Proteststimmung bei dieser Wahl gab. Aus diesem Frust und aus dieser Unzufriedenheit gegenüber den Volksparteien hat die PDS in vorhergehenden Wahlen immer profitiert. Sie hat aber auch verloren, weil sie beim Krisenmanagement der Flutkatastrophe durch die SPD völlig in den Hintergrund gedrängt wurde.

    Es wird in den nächsten Tagen noch viel nachzuarbeiten sein. Zahlen müssen bis ins Detail analysiert werden, um dann möglichst die richtigen Schlüsse für die nächsten Wahl zu ziehen – bereits im Februar. Dann gibt es Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen. So viel für heute im Hintergrund. Guten Abend. Und auf Wiederhören.