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"Rot-Grün wird eine Koalition der Einladung bilden"

Der Weg für eine neue Politik ist frei, meint Michael Groschek, SPD-Generalsekretär in NRW, nach der Ankündigung von Jürgen Rüttgers, bei der Ministerpräsidentenwahl nicht gegen die SPD-Kandidatin Hannelore Kraft anzutreten. Er sei sich sicher, dass man bei wichtigen Abstimmungen auch Stimmen der Opposition bekommen werde.

Michael Groschek im Gespräch mit Silvia Engels | 21.06.2010
    Silvia Engels: Am Samstag hat der noch amtierende Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers, angekündigt, bei der Ministerpräsidentenwahl nicht gegen die SPD-Kandidatin Hannelore Kraft anzutreten. Die SPD-Landeschefin kann damit fast sicher sein, ab Juli als erste Frau das Land an Rhein und Ruhr führen zu können. – Michael Groschek ist der Generalsekretär der SPD in Nordrhein-Westfalen und nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Groschek.

    Michael Groschek: Guten Morgen!

    Engels: Verändert der Rückzug von Jürgen Rüttgers irgend etwas an Ihren Plänen für eine rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen?

    Groschek: Nein. Er bestätigt ja in Wirklichkeit unser beherztes Vorgehen. Jürgen Rüttgers hat erkannt, dass für ihn keine politische Zukunft mehr in diesem Land liegt, und deshalb zieht er sich ratenweise zurück. Die CDU ist offensichtlich bemüht, in möglichst großer Harmonie ihren Personalwechsel zu vollziehen. Insgesamt muss man feststellen, dass Jürgen Rüttgers eben gesehen hat, dass 67 Stimmen, auf die er sich noch verlassen kann, 114 Stimmen gegenüberstehen im Landtag, auf die er sich nicht verlassen kann, und deshalb macht er jetzt auch Zug um Zug den Weg frei.

    Engels: In den Sondierungsgesprächen mit der CDU war es ja für viele SPD-Anhänger ein Problem, dass Jürgen Rüttgers bleiben wollte. Nun stünde er eigentlich nicht mehr im Weg. Hat also die SPD doch zu früh die Sondierungen mit der Union für eine Große Koalition beendet?

    Groschek: Nein. Jürgen Rüttgers als Problem war ja nur ein Element von drei Elementen insgesamt, die für den Politikwechsel hätten stehen müssen. Wir haben ja mit allen Sondierungspartnern erörtert, wie ein kultureller Wechsel aussehen kann, nachdem der Wahlkampf ja sehr hart und schmutzig angelegt war, Stichwort Finanzaffäre. Wir haben dann überlegt, wie können inhaltliche Schwerpunktsetzungen aussehen. Da war die CDU offensichtlich nicht bereit und zum Teil auch nicht in der Lage, neue Antworten zu geben. Und dann war es drittens die Frage, welches Gesicht muss denn eine neue Politik haben, kann das noch das alte Gesicht sein. Dieses alte Gesicht hat jetzt erkannt, dass in Nordrhein-Westfalen neue Gesichter her müssen. Das ist zumindest für die CDU eine Chance, eine starke Opposition zu werden.

    Engels: Neue Gesichter, an die wird man sich in der Tat gewöhnen müssen, und möglicherweise als Mehrheitsbeschaffer werden diese Gesichter auch den Linken zugerechnet werden müssen. Für die Wahl als Ministerpräsidentin braucht Hannelore Kraft die nicht unbedingt, weil ja im 4. Wahlgang auch die einfache Mehrheit reicht und die könnte Rot-Grün stellen, aber danach. Wo kommen sie inhaltlich den Linken entgegen, damit sie überhaupt Beschlüsse umsetzen können?

    Groschek: Wir werden ja jetzt zusammen mit den Grünen einen Koalitionsvertrag aushandeln. Da ist der Politikwechsel Rot-Grün beschrieben. Und ich bin sicher: Bei den wichtigen inhaltlichen Abstimmungen wird es jeweils mindestens einen Abgeordneten oder eine Abgeordnete geben, die sagt, ja, das ist ein guter, ein kluger Lösungsansatz, dem stimme ich zu. Denn Rot-Grün hat ja 90 von 91 notwendigen Stimmen, sodass eine einzige zusätzliche Stimme ausreichen wird.

    Engels: Aber die FDP- und Unions-Abgeordneten zeigen sich ausgesprochen unwillig, da in die Bresche zu springen.

    Groschek: Ich glaube nicht, dass das ein so geschlossenes Bollwerk ist. Wir sehen ja, dass für viele Themenbereiche viel größere Schnittmengen im Parlament vorhanden sind, als dass die Fraktionsdisziplin nach außen erscheinen lässt. Ich glaube, für die wichtigen Anliegen, Nordrhein-Westfalen zum Mitbestimmungsland zu machen, eine gerechtere Bildungspolitik durchzusetzen, starke Kommunalfinanzen hinzukriegen, dafür wird es jeweils breitere Mehrheiten geben, als Rot-Grün alleine sie haben.

    Engels: Aber sie werden sich dabei auch manchmal zumindest auf die Linken stützen, beispielsweise beim Stichwort Abschaffung der Studiengebühr. Das wollen FDP und Union nicht, aber die Linken werden bestimmt einem Angebot von ihnen da positiver gegenüberstehen.

    Groschek: Das mag so sein, aber ich weiß gar nicht, ob wirklich alle Freidemokraten und alle Christdemokraten Nein sagen zur Abschaffung der Studiengebühren. Ich glaube das nicht und ich bin gespannt, wie diese inhaltlichen Diskussionen und Abstimmungen dann vollzogen werden. Noch mal: Rot-Grün wird eine Koalition der Einladung bilden. Wir laden alle Gruppen und Abgeordneten im nordrhein-westfälischen Landtag ein, mitzugestalten und nicht zu blockieren. Dann können wir auch ein neues Kapitel der politischen Kultur aufschlagen.

    Engels: Aber gerade Hannelore Kraft hat ja die Sondierungen mit den Linken schnell und rasant beendet, gemeinsam mit den Grünen. Von mangelnder Abgrenzung von der DDR bei den Linken war da die Rede und der Unzuverlässigkeit. Nun wird man sich zumindest fallweise doch auf sie stützen. Wie begegnet die SPD dem Vorwurf der Unglaubwürdigkeit?

    Groschek: Für uns war ja die Glaubwürdigkeit das höchste Gut bei all diesen Gesprächen, neben unseren inhaltlichen Eckpfeilern. Wir haben gesagt, wir schließen eine Minderheitsregierung nicht aus, aber wir streben sie zum damaligen Zeitpunkt nicht an. Das hat sich dann über Nacht geändert, als Professor Pinkwart als Chef der Freien Demokraten in Nordrhein-Westfalen formal gesagt hat, die Koalition mit der Union ist beendet, für uns gilt nur noch die Geschäftsordnung des Landtages und wir werden im Landtag wechselweise abstimmen und diskutieren. Damit war klar: Jürgen Rüttgers war als Geschäftsführer einer abgewählten Landesregierung alleine, er hatte allenfalls noch 67 Stimmen hinter sich, die der Union selbst. 114 Stimmen standen gegen ihn und das war die instabilste Regierungsform, die man sich nur vorstellen konnte.

    Engels: Die FDP hat das zurückgewiesen, das so zu interpretieren. Aber schauen wir dann nach vorne, beziehungsweise auf Zitate noch der letzten Woche. Sie haben dem Norddeutschen Rundfunk da nämlich gesagt, "Wir brauchen jetzt nicht das Streben nach einer Minderheitsregierung, die ja auch nicht für stabile Verhältnisse steht".

    Groschek: Unter den damaligen Umständen stimmte das ja auch. Da schien ja, eine relativ stabile Koalition von 80 Stimmen im Landtag gegen eine Minderheitenposition von 90 Stimmen zu stehen. Professor Pinkwart hat dann gesagt, nein, diese Koalition existiert nicht mehr, und wir haben schon zum damaligen Zeitpunkt gesagt, spätestens wenn im Bundesrat wichtige Entscheidungen anstehen, Stichwort Atomkraftverlängerung, oder aber auch das Stichwort Kopfpauschale, müssen wir neu überlegen, um das Land vor unsozialem Unsinn zu schützen. Diese Situation ist vorgezogen worden, weil Professor Pinkwart im Grunde eine Weichenstellung in diese Richtung vollzogen hat.

    Engels: Eine rot-grüne Minderheitsregierung wird einige Gesetze möglicherweise durchbringen können. Aber was ist zum Beispiel, wenn Rot-Grün keinen neuen Haushalt für Nordrhein-Westfalen zu Stande bekommt?

    Groschek: Warten wir doch erst mal die Koalitionsverhandlungen ab, die Wahl der Ministerpräsidentin, die Etablierung der neuen Regierung, und dann, bin ich sicher, wird sich diese Frage so überhaupt gar nicht mehr stellen.

    Engels: Das klingt ein wenig so, lieber ein instabiles Nordrhein-Westfalen, als eine Bundesratsmehrheit, die noch schwarz-gelb wäre.

    Groschek: Nein! Die 90-Stimmen-Koalition ist ja eine deutlich stabilere Konstellation als die 67 Stimmen, die Dr. Rüttgers jetzt zu bieten hat, zumal seine Inhalte, für die er steht, abgewählt wurden von den Wählerinnen und Wählern. Unser Bestreben ist, eine möglichst stabile Regierungskonstellation hinzubekommen, und deshalb sagen wir, alle einzelnen Abgeordneten und alle Fraktionen im Parlament sind eingeladen, mitzugestalten, nicht zu blockieren.

    Engels: Michael Groschek, der Generalsekretär der SPD in Nordrhein-Westfalen. Vielen Dank für das Gespräch.

    Groschek: Bitte schön!