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Rot ist mein Name

Im dritten Jahr nach seiner Thronbesteigung sandte die Königin von England unserem Padischah eine mirakulöse Uhr, die ein blasebalgbetriebenes Musikinstrument enthielt. Die aus dem Schiff entladenen Teile, die Räder, Abbildungen und Statuen für die riesige Uhr und die englische Abordnung wurden auf einen Abhang im Inneren Garten mit Blick auf das Goldene Horn gebracht, wo man wochenlang mit dem Zusammensetzen des Werkes beschäftigt war. Die Menge, die sich zum Gaffen an den Hängen des Goldenen Horns versammelte oder in Booten herbeikam, sah staunend, wie die riesige Uhr geräuschvoll und in Begleitung einer schrecklichen Musik arbeitete, wie sich die menschengroßen Statuen und die Bilder mit sinnvollen Bewegungen und taktgerecht zur Melodie um sich selbst drehten, als seien sie von Allah selbst und nicht der Hand seiner Knechte geschaffen, und sie hörten, wie die Uhr mit glockengleichen Schlägen ganz Istanbul die Zeit verkündete. (...) Eines Nachts wachte Sultan Ahmet, der zukünftige Herrscher, von Allah inspiriert auf, griff nach seinem Morgenstern, begab sich vom Harem zum Inneren Garten und schlug die Uhr und ihre Statuen in tausend Stücke.

Astrid Roth | 12.02.2002
    Diese kurze Episode aus Orhan Pamuks Roman Rot ist mein Name, der wie eine Detektivgeschichte aus Tausendundeiner Nacht anmutet, illustriert mögliche Konsequenzen des Aufeinandertreffens der Kulturen von Okzident und Orient: Die gesamte darstellende Kunst bedeutet in den Augen Mohammeds eine Schmähung Allahs. Aus diesem Grund gibt es für den Sultan keine andere Möglichkeit, als das allahlästerliche Kunstwerk zu zerstören. Er glaubt, auf diese Weise den Einfluss Europas auf die islamische Welt aufhalten zu können.

    Auch die islamischen Miniaturmaler, um die es in Pamuks Roman geht, sehen sich mit diesem Umbruch in der islamischen Welt konfrontiert: Die islamische Kultur befindet sich 1000 Jahre nach der Auswanderung Mohammeds von Medina nach Mekka, nach Beginn der islamischen Zeitrechnung also, an einer Wegscheide zwischen dem klassischen und dem durch Europa beeinflussten Islam. Unter den Miniaturmalern entbrennt ein Streit, wie zu malen sei: ob nach "fränkischer" Manier, das heißt mit einem individuellen Stil, der auch perspektivisches Malen erlaubt, oder nach Allahs Willen. Das bedeutet, die Individualität des Künstlers der Kunst unterzuordnen und weiterhin die großen Meister der islamischen Miniaturmalerei zu imitieren. Je originalgetreuer das von dem Künstler geschaffene Werk, desto stärker zeigt sich dessen Verbundenheit mit Allah.

    Der Autor Orhan Pamuk, der in seiner Jugend selbst einmal hatte Maler werden wollen, zur Bedeutung der Malerei in der islamischen Kunst:

    Die Bedeutung von Illustrieren oder illustrierendem Malen oder allgemein Malen für die islamische Kultur ist, dass dies keine Bedeutung hat. Zwischen dem 14. und dem 16. Jahrhundert gab es in den Ländern wie der heutigen Türkei, Afghanistan, Iran und in einigen arabischen Ländern Maler, die einzelne Bücher illustriert haben. Sie waren keine wirklichen Maler, sondern Buchillustratoren, die die Ränder der einzelnen Textblätter mit Ornamenten verziert haben. Dann fingen sie an, einzelne Blätter mit kleinen Zeichnungen zu versehen, aber das war keine Malerei im eigentlichen Sinne, sondern es handelte sich um Miniaturen. Sie entwickelten die Miniaturmalerei immer weiter und wurden dabei auch nach und nach von anderen Kulturen beeinflusst, vor allem von der chinesischer Malerei. Sie illustrierten ausschließlich luxuriös ausgestattete, teure Bücher, die von den Padischahs und den Königen in Auftrag gegeben wurden. Und so sahen nur sehr wenige Menschen ihre Werke. Nur etwa 2000 Maler malten in der Art und Weise, wie ich das in meinem Buch beschrieben habe, schließlich wurden es immer weniger und sie verschwanden.

    Im Jahre 1591 geschieht im schneebedeckten Istanbul, der damaligen Hauptstadt des Osmanischen Reiches, ein Mord. Einer der besten Vergolder des Sultans wird heimtückisch umgebracht. In Verdacht geraten drei Meisterillustratoren. Sie hatten zusammen mit dem Getöteten an einem höchst prekären Buchprojekt für den Sultan gearbeitet: Ein Diplomat, der lange Zeit in Venedig verbracht hatte, überzeugte den Sultan davon, sich und sein Reich nach fränkischem Stil darstellen zu lassen. Das Buch sollte dem Dogen von Venedig als Zeugnis für die siegreiche Macht des Sultans überreicht werden. Nach dem Mord an dem Vergolder befürchtet der Diplomat, der die Anfertigung der Buches im Auftrag des Sultans betreut, als Nächster umgebracht zu werden. Aus diesem Grunde bittet er seinen Neffen Kara, einen ehemaligen Illustrator, den Mörder des Vergolders zu finden und mitzuhelfen, das geheime Buch zu beenden. In dem Haus des Oheim begegnet Kara Seküre wieder, der Tochter des Oheims, die er wie in früheren Jahren immer noch liebt und sich zur Frau wünscht. Die inzwischen verwitwete Seküre ist recht schnell bereit, Karas Frau zu werden. An eine Bedingung knüpft sie das allerdings: Zuerst muss der Geliebte den Auftrag ihres Vaters erfüllen.

    Karas kriminalistische Suche nach dem Mörder erinnert in vielem an Umberto Ecos Der Name der Rose. Wie dort mit großer atmosphärischer Dichte vor den Lesern die faszinierende und gleichzeitig düstere Welt der mittelalterlichen Klöster ersteht, breitet Pamuk in Rot ist mein Name vor unseren Augen die Welt der klassischen islamischen Miniaturmalerei aus und singt darauf ein Hohelied.

    Die Art und Weise, wie die Künstler in meinem Buch reden, hat etwas Nostalgisches, in ihnen ist Sehnsucht nach der Vergangenheit und Trauer über das Ende einer Tradition. In meinem Buch prallen Ost und West aufeinander, allerdings im Herzen meiner Künstler, die Kulturen finden zusammen, dann stirbt etwas in der Kultur, eine Art und Weise, die Welt zu sehen, die Art der Verwendung von Farben, Techniken und Papier.

    Kara, der Oheim, die Meisterillustratoren, Seküre, die Jüdin Ester, sie alle verfügen in Rot ist mein Name über eine eigene Stimme. In 59 Kapiteln erzählen sie jeweils aus ihrem Blickwinkel einen Teil der Geschichte und geben somit Einblick in ihre Motivationen und Geheimnisse. Auch Objekte sprechen, wie eine Münze, ein Pferd, die Farbe Rot oder ein Baum. Die Psychologie der Protagonisten hat etwas Scherenschnittartiges: Sie scheinen nicht wirklich lebendig, es ist eher so, als seien sie nach dem Prinzip der Miniatur Kopien älterer, schon einmal erzählter Geschichten. Diese Art der Darstellung wirkt manchmal etwas hölzern oder vielleicht besser einfach nur fremd - wie die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. Trotzdem zieht der Roman den Leser aufgrund der Spannung und der Exotik des Erzählten immer wieder in den Bann.

    Nach einer komplizierten Suche, die ihn in die Schatzkammern des Sultans führt, findet Kara den Mörder. Als Grund dafür, warum er den Vergolder und den Oheim umgebracht hat, gibt der Mörder an, dass er wollte, dass in den Buchmalerwerkstätten alles beim alten bleibt. Den Niedergang der orientalischen Miniaturmalerei kann er natürlich nicht aufhalten:

    So welkte die rote Rose der Lust an der Malerei und der Illustration, die vom Land der Perser beseelt ein Jahrhundert lang in Istanbul geblüht hatte. Der Zwiespalt zwischen den Methoden der alten Meister von Herat und denen der fränkischen Meister führte nur zu endlosen Streitereien und unlösbaren Fragen unter den Illustratoren, nie aber zu einer Einigung. Denn das Bild wurde aufgegeben, und man malte weder in östlicher noch in westlicher Manier: Die Illustratoren erhoben sich nicht im Zorn, sondern fanden sich ohne Aufsehen nach und nach traurig und ergeben mit dieser Lage ab, wie sich alte Menschen mit einer Krankheit abfinden.

    Noch heute hat die Türkei und die gesamte islamische Welt den Zwiespalt nicht überwunden, der sich aus dem schwierigen Verhältnis von Orient und Okzident ergibt. Orhan Pamuk, der in Istanbul aufwuchs und dessen Leben deshalb immer von westlichen und östlichen Traditionen gleichermaßen geprägt war, sieht sich als Fürsprecher für den Dialog zwischen Ost und West. Und so beinhaltet sein Roman "Rot ist mein Name" für ihn eine klare Utopie:

    Mein Buch ist gegen kulturellen Purismus, ich bin nicht auf der Seite der Künstler, die nur eine Tradition für gutheißen, einen Blick auf die Welt. Die guten Künstler und Maler sind diejenigen, die versuchen, westliche und traditionelle Elemente zu kombinieren und die davon überzeugt sind, dass diese sich vereinen lassen. Das bedeutet, dass etwas Schönes Drittes entsteht - wie meine Bücher. (...) Reichtum der Kulturen entsteht für mich da, wo verschiedene Zivilisationen aufeinander treffen.

    "Die Kunst des Malens ist die Stille der Vernunft, die Musik des Auges", heißt es an einer Stelle in dem Roman. Orhan Pamuk ist mit Rot ist mein Name ein beeindruckendes Porträt islamischer künstlerischer Traditionen gelungen. Es gibt uns die Möglichkeit, in eine exotische erscheinende Welt abzutauchen und dort, wo wir wieder auftauchen, der Verständigung zwischen Ost und West einen kleinen Schritt näher gekommen zu sein.