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Rotes Wien

Wie sein Freund und Rivale Helmut Qualtinger ist Gerhard Bronner längst ein österreichischer Kabarett-Klassiker. Seine Mundart-Ballade vom "Gschupften Ferdl" gehört ebenso zum Kanon austriakischer Kleinkunst wie manches andere, was Bronner in einem halben Jahrhundert zu Papier und zum Vortrag gebracht hat.

Von Günter Kaindlstorfer | 19.07.2004
    In der Deutschen Verlags-Anstalt hat der 81jährige jetzt unter dem Titel "Spiegel vorm Gesicht" seine Memoiren vorgelegt. In wehmütig-ironischem Tonfall blickt der Großmeister der Wiener Kleinkunst auf sein Leben ein bewegtes Leben zurück. Ein Anpassler, ein Opportunist war Bronner nie.

    Wenn man gegen den Strom schwimmt, dann bekommt man starke Arme. Und eine gewisse Ausdauer und eine Zähigkeit, die mir in meinem Leben ziemlich gut getan hat.

    Als Gerhard Bronner im Oktober 1922 im Wiener Arbeiterbezirk Favoriten zur Welt kommt, ahnt niemand, dass der Sohn einer jüdisch-proletarischen Familie dereinst Karriere als Kabarettist und Chansonnier machen würde. Die Not im Elternhaus ist groß: Die Mutter arbeitet als Näherin, der Vater als Tapezierer. Das Klima im Bezirk ist rau, der kleine Gerhard muss sich seinen Platz unter den rauflustigen Straßenjungen im Kiez erst mühsam erkämpfen. Aber es gibt auch so etwas wie Geborgenheit im proletarischen, im "Roten" Wien jener Zeit.

    Der zehnte Bezirk war damals ein Proletarierbezirk mit einer sozialistischen Majorität, die man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann. Und selbstverständlich war ich auch bei den "Pfeiferlbuam", bei den "Roten Falken", und mein Bruder war bei der Sozialistischen Arbeiterjugend, und mein Vater stand regelmäßig auf der Liste von den sozialistischen Gemeinderäten, ist aber nie gewählt worden.

    Favoriten war in den zwanziger und dreißiger Jahren stark von der Kultur der böhmischen Ziegelarbeiter geprägt. Ein Gutteil der 150.000 Einwohner des Bezirks war aus den tschechischen Teilen der Habsburgermonarchie zugewandert.

    Gegenüber von dem Haus, in dem ich geboren bin, befand sich ein Gasthaus. Darauf stand ein Schild mit der Aufschrift ,Gasthaus¹. Und darunter stand: ,Hostinec". Auf der einen Seite stand: ,Biere¹. Und drunter stand: ,Pivo". Das war selbstverständlich. Favoriten war zweisprachig. Es gab eine tschechische Schule, und es gab einen eigenen tschechischen Fußballverein, der hieß Slovan. Die meisten Leute, mit denen ich mich damals unterhalten habe, haben mit einem starken tschechischen Akzent gesprochen.

    Anekdotenreich und pointensicher schildert Gerhard Bronner in seiner Autobiographie die Jahre der Kindheit. Einmal, erinnert er sich, habe ihm ein Freund seines Bruders ein Gedichtlein beigebracht, einen kessen Zweizeiler, den sich Bronner bis heute gemerkt habe. Das Gedicht geht so: "Ich bin kein Jud, ich bin kein Christ./ Ich bin ein kleiner Sozialist." Der Freund des Bruders hieß Bruno Kreisky. Im März 38 Bronner ist gerade fünfzehn nimmt sein Leben eine drastische Wendung.

    Dann sind die Nazis dahergekommen, und ich musste flüchten. Als einziger meiner Familie. Mein Vater konnte nicht mehr flüchten, der war im KZ, ebenso mein älterer Bruder. Meine Mutter konnte mich nicht mehr ernähren, da hab ich mir gedacht: Ich versuche was anderes. Ich habe mir eine Ausflugskarte von "Freytag und Berndt" besorgt und habe mir überlegt, wie man über die tschechische Grenze kommen könnte. Dann bin ich schwarz über die Grenze gegangen und landete in Brünn, wo es damals schon an die 20.000 Flüchtlinge gab.

    Gerhard Bronner hatte Glück: Auf abenteuerliche Weise konnte er sich nach Constanta in Rumänien durchschlagen. Von dort ging es per Schiff weiter nach Palästina. Daß er sich der Verfolgung durch die Nazis entziehen konnte, verdanke sich letztlich einer Gesetzwidrigkeit, räsoniert Bronner heute: dem illegalen Übertritt der österreichisch-tschechischen Grenze.

    Die Kunst des Überlebens, die habe ich sorgfältig studiert. Die bloße Tatsache, dass ich überlebt habe, als einziger meiner Familie, habe ich eigentlich der Tatsache zu verdanken, dass ich eine illegale Handlung begangen habe wider das Gesetz. Jahre später, wenn ich so Revue passieren ließ, was mir widerfahren ist, wurde mir klar: Die größten Verbrechen, die wirklich großen Verbrechen, sind nie von Verbrechern begangen worden, sondern immer nur im Namen des Gesetzes.

    Über den Holocaust will Gerhard Bronner nicht sprechen. Sein Bruder Oskar wurde 1938 im KZ Dachau ermordet, die Spur seiner Eltern verliert sich im Oktober 1943 im Ghetto von Minsk. Gerhard Bronner überlebt die Shoa in Palästina. Dort schlägt er sich als Musiker durch, er gibt Klavierunterricht, arrangiert musikalische Shows für die britischen Truppen... Im Februar 1948 kehrt der inzwischen 26jährige nach Wien zurück. Eigentlich wollte Bronner damals nur kurz Halt machen in seiner Geburtsstadt, um dann weiter nach England zu reisen. Der Zwischenstopp in Wien dauerte insgesamt vierzig Jahre.

    Man hätte es auch leichter haben können. Aber andererseits: Ich glaube, wenn es mir leichter gemacht worden wäre, dann wäre nicht so viel herausgekommen. Ich habe mir alles erkämpfen müssen, gegen widrige Umstände. Da lernt man sehr viel dabei.

    Es war das Wien des "Dritten Mannes", in das Gerhard Bronner zurückkehrte. Rasch startete er eine Karriere als Kabarettist und Chansonnier, als Rundfunkmacher und Theaterprinzipal. Zusammen mit Helmut Qualtinger und Georg Kreisler, mit Carl Merz und Peter Wehle steigt Bronner zu den Fixsternen des Wiener Nachkriegs-Kabaretts auf. Wie war sein Verhältnis zu Qualtinger?
    Jahrelang sehr, sehr gut. Bis dann eines Tages der Oscar Fritz Schuh sich eine Vorstellung von uns angeschaut hat, und dann auf uns zugekommen ist und gesagt hat: ,Hören Sie, Qualtinger, ich übernehme nächstes Jahr das Schauspielhaus Köln und möchte, dass Sie bei mir Richard III. spielen. Von dem Moment an war der Qualtinger nicht mehr zu brauchen... Er hat NIE Richard III. gespielt, ich glaube auch nicht, dass er¹s zusammengebracht hätte. Aber bis an sein Lebensende hat er erzählt, er würde demnächst Richard III. spielen. Er war ein genialischer Kabarettist, aber als Schauspieler, na ja. Ich habe ihn in etlichen Rollen gesehen, aber ich habe immer das Gefühl gehabt, ein Berufsschauspieler hätte das genauso gut oder besser machen können.

    Gerhard Bronners Memoiren enden Mitte der 80er Jahre. Nach der Wahl Kurt Waldheims zum österreichischen Bundespräsidenten übersiedelte der Künstler nach Florida, wo er auch heute noch einen Zweitwohnsitz hat. Mit seiner Heimatstadt Wien verbinden Bronner, nun ja - ambivalente Gefühle.

    Gerhard Bronner
    Spiegel vorm Gesicht Erinnerungen
    DVA, 268 S., EUR 19,90