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Roy McLoughlin: Britische Inseln unter dem Hakenkreuz. Die deutsche Besetzung der Channel Islands.

Großbritannien war eines der wenigen europäischen Länder im Zweiten Weltkrieg, die Hitlers Soldaten erfolgreich die Stirn bieten konnte. Doch dieses Kapitel ist mit einer kleinen "Fußnote" versehen: Die Channel Islands, eine Inselgruppe zwischen Großbritannien und der französischen Küste, war die einzige britische Region, die von der deutschen Wehrmacht von 1940 bis 1945 besetzt werden konnte. Aufgrund ihrer strategischen Lage spielten die Kanalinseln eine wichtige Rolle für Hitlers Kriegspläne.

Rezensiert von Petra Tabeling | 03.11.2003
    Über dieses Kapitel der deutschen Okkupationspolitik und deren Reflektion in der englischen Geschichte ist hierzulande bisher kaum etwas bekannt. Um so erfreulicher ist nun die Aufarbeitung dieses "Nebenkriegsschauplatzes" im Berliner Christoph Links Verlag. Zugrunde liegt dem Buch "Britische Inseln unterm Hakenkreuz" die 1995 erschienene englische Publikation des Journalisten Roy McLouglin, der selbst von den Kanalinseln stammt. In Zusammenarbeit mit Olaf Schröter wurde der Text überarbeitet und übersetzt und mit reichlich Bildmaterial versehen - nicht ohne den Band mit kritischen Nachgedanken abzuschließen.

    In chronologischer Reihenfolge erfährt der Leser anschaulich, was die einzelnen Kriegsjahre für die Bewohner der Channel Islands bedeuteten. McLoughlin schildert das Zusammenleben mit den deutschen Besatzern, die Sorgen und Nöte der Inselbewohner. Und die beginnen vor allem mit der Entscheidung des britischen Premiers Winston Churchill, den kleinen Außenposten des englischen Königreiches letztlich nicht zu verteidigen. So schildert ein Bewohner:

    Wir waren vollkommen durcheinander. Unserer Meinung nach mußten wir nur die Frauen und Kinder herausbringen, um ihnen dann später selber zu folgen, denn wir erwarteten nicht besetzt zu werden.

    Doch nach einem Luftangriff im Juni 1940 landeten erste deutsche Einheiten auf den Inseln. Für Hitler ein enormer Propagandaerfolg. Ihm war die Besetzung durch die Wirren der Zuständigkeiten in der Verteidigungspolitik Großbritanniens leicht gemacht worden – und das ganz ohne Verluste in den eigenen Reihen. Mit einer Okkupation hatten weder die Behörden der Channel Islands noch die des Festlandes gerechnet, und militärisch gesehen war man nicht vorbereitet. Zwar konnte ein Teil der Bevölkerung - Frauen, Kinder und junge Männer in wehrfähigem Alter - rechtzeitig nach England flüchten, doch war der Rest der Bewohner von nun an auf sich allein gestellt.

    In den ersten zwei Jahren versuchten die Bewohner mit dem Feind ein Auskommen zu finden. Und Roy McLoughlin verschweigt nicht, dass sie zum Teil sogar ein gutes Verhältnis zu den deutschen Besatzern pflegten, die sich wiederum ihnen gegenüber ebenso wenig feindselig gaben. Fotos aus dieser Zeit zeigen fröhliche Soldaten am Strand, musizierende Militärkapellen. Inselbewohner und Besatzer hatten ein zwiespältiges Verhältnis zueinander.

    Ende 1941 entscheidet Hitler schließlich, die Inseln zu seinem größten Verteidigungsposten aufzurüsten. 38 Festungsanlagen werden errichtet, unterirdische Betonbunker, durchzogen von Tunneln und Depots, die heute noch zu besichtigen sind. 16.000 Zwangsarbeiter werden zu diesem Zweck auf die Inseln gebracht und unter barbarischen Umständen in Lagern mit Namen wie "Sylt" oder "Helgoland" gepfercht. Otto Spehr, ein deutscher Gefangener, berichtet über brutale Vorkommnisse aus dieser Zeit:

    Oft gab es Prügel und andere Grausamkeiten. Zum Beispiel entfernte sich ein Mann einmal ein paar Schritte von seinem Arbeitsplatz. Er wurde dem Kommandanten gemeldet und bekam dafür am Abend 20 Hiebe oder 25 Schläge. Die SS-Männer waren äußerst brutal. Ein Russe wühlte im Abfallhaufen herum und fand dabei eine Kartoffelschale. Aber er wurde von der SS gesehen. Sie schlugen ihm mit dem Gewehrkolben den Schädel ein.

    Die vormals "sanfte Okkupation" wich nunmehr drastischen Maßnahmen, schildert McLoughlin. Maßnahmen, die auch für die übrigen von Hitler besetzten Länder galten: Juden, die nicht rechtzeitig emigrieren konnten, wurden schikaniert. Insbesondere auf das Schicksal dreier jüdischer Frauen, die in die deutschen Konzentrationslager deportiert wurden, geht McLoughlin in diesem Zusammenhang ein. Aber auch die anderen Inselbewohner lebten immer gefährlicher: Wer einen Radioempfänger besaß oder entflohenen Häftlingen Unterschlupf gewährte, riskierte, deportiert zu werden. So berichtet McLoughlin auch von mutigen Inselbewohnern, die auf ihre Art versuchten, Widerstand zu leisten. Und dafür ohne Umschweife in deutsche Konzentrationslager deportiert wurden.

    Die Schilderung des letzten Kriegsjahres ist besonders erschütternd und überraschend: Die Inselbevölkerung erhoffte sich durch die Landung der alliierten Truppen in der Normandie eine baldige Befreiung, die aber auf sich warten ließ. Von da an war der Feind für Besetzte und Besatzer gleichermaßen der Hunger – denn durch den Stopp des Lebensmittelnachschubes vom europäischen Festland brach eine große Hungersnot aus. Bilddokumente aus dieser Zeit zeigen, wie deutsche Soldaten sogar Katzen zum Essen zubereiteten. Die erwarteten Kämpfe zwischen Deutschen und Alliierten fanden niemals statt. Auf den von Festungsanlagen zerfurchten Inseln fiel bis zum Kriegsende kein einziger Schuss.

    Nach der Befreiung durch die Alliierten im Mai 1945 kam es – wie auch in den anderen ehemals von den Nazis okkupierten Ländern – zu einzelnen Racheakten der Bewohner untereinander. Freundinnen der Soldaten wurden schikaniert, ihre Köpfe kahl rasiert. Nach dem Krieg wurden häufig Vorwürfe laut, die Inselbewohner hätten mit den deutschen Besatzern einen allzu freundlichen Umgang gepflegt, Vorwürfe, die bis heute anhalten.
    Sowohl der McLoughlin als auch der Verleger Christoph Links, der die Publikation auf der diesjährigen Buchmesse präsentierte, beziehen hierbei klar Stellung:

    Es stellt sich heraus, dass die britische Regierung seinerzeit die Inselbewohner sehr allein gelassen hat. Sie haben die Insel nicht verteidigt, sie haben alle Militärs abgezogen und haben die dort lebenden dazu verdammt, mit den deutschen Okkupanten irgendwie klarzukommen umzugehen und da sie auf einer Insel saßen und nicht weg konnten, mussten sie ein Modus Vivendi des Überlebens finden, so dass es oft einfach eine schlichte Existenzfrage war, dass man sich mit den deutschen Herren arrangieren musste. So dass der pauschale Vorwurf der Kollaboration so nicht aufrecht erhalten werden kann und man genau gucken muss wer hat sich angedient, wer hat versucht und wo hat es auch Formen des aktiven Widerstandes gegeben.

    Roy McLoughlins überarbeitetes Buch "Britische Inseln unterm Hakenkreuz" ist eine lebendige und faszinierende, dokumentarische Darstellung, die vor allem Zeitzeugen zu Wort kommen lässt und verständlich verfasst ist. Die vielen Abbildungen machen es zu einem wertvollen Nachschlagewerk, die mit Fotos des Verlegers über die heute noch existierenden Wehranlagen ergänzt wurden. Der ausführliche Anhang, der sogar eine Auflistung der Kriegsmuseen beinhaltet, ist vorbildlich. Das Buch schließt eine Lücke im Bereich der zeithistorischen Publikationen über die Okkupationspolitik Hiltlers. In Deutschland ist "Britische Inseln unterm Hakenkreuz" somit die erste zusammenfassende Darstellung eines kaum bekannten Kapitels des Zweiten Weltkriegs und der deutsch-britischen Geschichte.

    Petra Tabeling über: Roy McLoughlin: Britische Inseln unter dem Hakenkreuz. Die deutsche Besetzung der Channel Islands. Veröffentlicht im Christoph Links Verlag Berlin. 144 Seiten im Großformat mit zahlreichen Abbildungen für 24 Euro und 90 Cent.