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Rückblick auf G20-Gipfel
Ischinger: Das war ein Vermeidungsgipfel

Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hätte sich vom G20-Gipfel deutlichere Zeichen gewünscht. So sei vermieden worden, das saudische Vorgehen im Fall Khashoggi zu verurteilen. Auch Russlands Präsident Putin hätte "ordentlich einen übergebraten" bekommen müssen, sagte Ischinger im Dlf.

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Dirk Müller | 03.12.2018
    Wolfgang Ischinger spricht auf der Konferenz "The Hamburg summit"
    Wolfgang Ischinger hatte mehr vom G20-Gipfel in Buenos Aires erwartet (dpa/ Christian Charisius)
    Dirk Müller: Wieder ein Megagipfel, der wohl kaum etwas Substanzielles gebracht hat: Die G20-Staaten an diesem Wochenende in Buenos Aires. Mit Donald Trump, mit Wladimir Putin, mit Emmanuel Macron, mit Xi Jinping, mit Mohammed bin Salman und auch mit einer verspäteten Angela Merkel. Handelskrieg war ein Thema, der Ukraine-Krieg, der Fall Kashoggi offenbar nur am Rande. Die Erwartungen waren so niedrig gehängt, dass eine Enttäuschung schon fast ausgeschlossen werden konnte. Die Lenker der Welt und nichts bewegt sich, nichts wird besser, vielleicht die Tatsache, dass es diesmal eine gemeinsame Abschlusserklärung gegeben hat. Vielleicht gibt es darüber ein bisschen Optimismus. Alles Problematische, Schwierige, Gefährliche bleibt ungeklärt, sagen jedenfalls die Kritiker. – Am Telefon ist nun Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz und viele Jahre Spitzendiplomat, unter anderem als Botschafter in Washington. Guten Morgen.
    Wolfgang Ischinger: Ja, guten Morgen.
    Müller: Herr Ischinger, sind Sie schon froh, wenn so ein Gipfel nicht offiziell scheitert?
    Ischinger: Sie haben ja das Stichwort gerade selbst schon gegeben. Die Erwartungen waren vorher schon vergleichsweise niedrig gehängt. Man weiß ja, dass vorangegangene Gipfel dieser Art überhaupt kein Abschlussergebnis gebracht haben. Also ist es vielleicht schon mal eine positive Nachricht wert, dass es überhaupt ein Abschlussdokument gibt.
    Lassen Sie mich dieses Ergebnis, wenn man es kritisch liest, als einen Vermeidungsgipfel bezeichnen. Es ist die Eskalation von Handelskriegen zwischen China und USA und zwischen USA und Europa erst mal vermieden worden, vermutlich nur aufgeschoben worden. Es ist vermieden worden, dass der saudische Kronprinz sozusagen exkommuniziert wird von der internationalen Gemeinschaft oder bestraft wird.
    "Saudis können berichten: Alles in Butter"
    Müller: Wäre das ein Fehler gewesen?
    Ischinger: Ich würde sagen, im Interesse einer internationalen Rechtsordnung wäre es schon gut, wenn ein deutliches Zeichen – ich bin ja praktizierender Diplomat; ich erwarte jetzt nicht, dass man unrealistische Erwartungen bestellt. Aber ein deutliches Zeichen, dass es so nicht geht, und zwar weder dieses Vorgehen der saudischen Seite in Istanbul, noch beispielsweise das Vorgehen der russischen Seite in Salisbury in England und so weiter. Das scheint, ja um sich zu greifen.
    Müller: Aber das ist nicht passiert, wenn wir das richtig verstanden haben, gegenüber Saudi-Arabien jetzt zumindest.
    Ischinger: Zumindest werden die Saudis nachhause fahren können und berichten können, dass eigentlich alles in Butter ist und dass er ungehindert an seinem Plätzchen unter den führenden Mächten dieser Welt sitzen konnte.
    Ischinger: Ärgert Sie das? Ärgert Sie das, obwohl Sie Diplomat sind?
    Ischinger: Na ja, ich bedauere es. Ich bedauere es, weil es einem Trend Nachschub gibt, der in Richtung Ein-Mann-Herrschaft geht, in Richtung Auflösung einer liberalen, auf Institutionen und Rechtsordnung begründeten internationalen Ordnung. Das ist für ein Land wie Deutschland, das von Ordnung in der Welt lebt – wie wollen wir denn sonst unsere Rechnungen im Ausland bezahlt bekommen, unsere Schiffe durch die Meerengen fahren lassen, wenn wir uns nicht mehr auf die internationale Rechtsordnung verlassen können.
    Genauso bedauerlich, Herr Müller, ist es, dass dieser Gipfel zu Ende ging, ohne dass beispielsweise Präsident Putin ordentlich einen übergebraten bekommen hat, sage ich jetzt mal ganz salopp, wegen der, aus meiner Sicht von Russland zumindest mitverursachten Eskalation der Lage in der Ukraine-Krise.
    Wie wenn zwei Pfadfinder sich treffen
    Müller: Wie sieht so was denn auf dem internationalen Parkett, wo Sie sich ja bestens auskennen, auch gerade für die Weltöffentlichkeit, wenn Sie sagen, überbraten? Wir haben zwei schwarze Kandidaten, Wladimir Putin und Mohammed bin Salman. Was hätten die Staatslenker machen können, öffentlich "ohrfeigen", bloßstellen?
    Ischinger: Nein! Und sie können natürlich in ein Abschluss-Kommuniqué immer nur das reinschreiben bei so einer Veranstaltung, wo alle zustimmen. Das heißt, Sie können nicht reinschreiben, wir haben uns allesamt darauf geeinigt, das saudische Vorgehen in Istanbul zu verurteilen. Das ist eine unrealistische Erwartung. Aber es wäre ja schon ein Schritt in die richtige Richtung, denke ich, wenn aus Argentinien die Nachricht gekommen wäre, dass man es dem Mann in der Sitzung schwer gemacht hätte. Die Bilder, die ich gesehen habe – ich war ja nicht dabei, aber die Bilder, die ich gesehen habe, zeigten eigentlich eher in die andere Richtung. Da gab es, wie als wenn zwei Pfadfinder sich treffen, ein fröhliches Händeklatschen zwischen MBS, wie er genannt wird, der saudische Kronprinz, und Präsident Putin. Das war alles andere als ein schwieriger Auftritt für beide. Und es geht hier ja auch um Körpersprache und um die Art und Weise, wie wir insgesamt miteinander umgehen. Also Vermeidungsgipfel!
    Müller: Da hätten Sie sich diesmal vielleicht Herrn Trump gewünscht, Donald Trump, auch als "böser Bube" häufig so dargestellt. Der hätte diesmal auf den Tisch hauen sollen, was er sonst ja schon ganz oft gemacht hat gegenüber diesen beiden.
    Ischinger: Na ja. Es kommt dann auch immer darauf an, ob das dann ein Vorgehen ist, das man gemeinsam mit anderen, mit der großen Mehrheit überlegt und vorträgt. Das auf den Tisch hauen eines Einzelnen, dessen Glaubwürdigkeit ohnehin schon schwer beschädigt ist, das bringt bei der Gipfeldiplomatie so furchtbar viel nicht. Ich sehe wie gesagt bei diesem Gipfel vor allen Dingen die Vermeidung von Krisen, die Vermeidung von Bestrafungen, die Vermeidung von Lösungen anderer internationaler Krisen. Aber immerhin zusammenfassend: Besser als gar nichts ist es schon.
    Müller: Hört sich ein bisschen so an, Herr Ischinger, als gibt es eine ganz klare Machtlosigkeit gegenüber den Mächtigen?
    Ischinger: Ja, das ist so. Und es gibt natürlich daraus resultierend die Frage, was machen wir Europäer eigentlich, angesichts dieser Auflösungserscheinungen einer, auf den Rechtsfrieden setzenden internationalen Ordnung. Und die Antwort darauf kann aus meiner Sicht nur lauten, wir brauchen ein Europa, das mit einer Stimme spricht. Wir brauchen ein Europa, das eine China-Politik hat. Wir brauchen ein Europa, das eine Russland-Politik hat und das die Interessen von 500 Millionen Menschen mit einer Stimme entschlossen vertreten kann. Sonst, Herr Müller, fürchte ich, werden wir als Europäer, wir als Deutsche, Österreicher, Spanier oder was immer wir sind, zunehmend untergebuttert werden.
    "Wir Deutsche haben uns selber den Blick verstellt"
    Müller: Das haben einige von uns, Herr Ischinger, in meiner Generation schon im ersten Semester des Studiums gelernt: gemeinsame Sprache, gemeinsame europäische Interessen. War jetzt in meinem Fall 1986/87/88. Hat sich immer noch nicht viel verändert in der gesamten Zeit.
    Ischinger: Na ja. Die Notwendigkeit schien ja nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und nach der deutschen Wiedervereinigung, als wir uns alle gegenseitig diese wunderbare Schlaftablette verabreichen konnten, wir Deutschen insbesondere, als wir sagten, jetzt ist ja alles gut, jetzt sind wir nur noch von Freunden umgeben, wunderbar – Friedensdividende. Gerade wir Deutschen haben natürlich dadurch uns selber den Blick dafür verstellt, dass außerhalb unseres unmittelbaren Freundeskreises die Konflikte bereits tobten und immer schlimmer wurden. Jetzt sind sie dann schließlich bei uns angekommen.
    Wir merken das mit Millionen von Flüchtlingen. Wir merken das mit grausamsten Kriegen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, mal von dem Konflikt in der Ukraine ganz abgesehen, sterbende Kinder im Jemen. Nichts ist in Argentinien passiert, was diesen, aus meiner Sicht vermeidbaren Konflikt jetzt beenden müsste, und zwar vor Weihnachten, wenn es geht. Das zwingt uns jetzt, anders als vor 20 Jahren nach der Wiedervereinigung, das zwingt uns jetzt dazu, endlich Tacheles zu reden und Europa zu einem glaubwürdigen Akteur zu machen. Das setzt voraus, dass wir künftig mit Mehrheitsentscheidungen operieren in Brüssel, dass nicht jeder bei jeder Frage ein Veto hat. Sonst sind wir nichts anderes als eine Quatschbude, außenpolitisch betrachtet. Und wir müssen auch in den für viele relativ sauren Apfel beißen und unsere militärischen Fähigkeiten stärken, es bringt alles nichts.
    Müller: Entschuldigung, Herr Ischinger. Sie hören auch die Musik. Das ist für uns das Zeichen, dass jetzt die Nachrichten hier im Deutschlandfunk auf uns warten.
    Ischinger: Die sind auch wichtig.
    Müller: Wolfgang Ischinger war das, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Danke, dass Sie wieder für uns Zeit gefunden haben. Ihnen noch einen schönen Tag. Auf Wiederhören nach München!
    Ischinger: Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.