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Rückblick
Ein ganzes Jahr Pegida

Ende November 2014 ahnte ich noch nicht, dass mich diese Bewegung mit der merkwürdigen Abkürzung Pegida das ganze Jahr 2015 hindurch beschäftigen würde, sagt die DLF-Landeskorrespondentin in Sachsen, Nadine Lindner. Sie wurde angepöbelt, fotografierte einen symbolischen Galgen für Politiker und fragt sich bis heute, warum Bürger, die keine Nazis oder Ausländerfeinde sein wollen, Montag für Montag zu den Demonstrationen gehen.

Von Nadine Lindner | 31.12.2015
    Teilnehmer haben sich am 23.11.2015 auf dem Theaterplatz in Dresden (Sachsen) während einer Kundgebung des Bündnisses Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) versammelt.
    Teilnehmer haben sich am 23.11.2015 auf dem Theaterplatz in Dresden (Sachsen) während einer Kundgebung des Bündnisses Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) versammelt. (pa/dpa/Burgi)
    Rückblick – 25. November 2014.
    Mein erster Beitrag über diese neuen Demos am Montagabend in Dresden läuft in der Sendung "Deutschland Heute" in diesem Programm:
    "Ich bin kein Nazi. Aber..."
    "Endlich sagt es mal jemand."
    Oder auch "Dann kommt wieder die Lügenpresse mit der Nazi-Keule!".
    Das waren einige der gängigen Floskeln mit denen auf der Kundgebung gestern Abend in Dresden viele Sätze angefangen haben.
    Der Anmelder und Wortführer Lutz Bachmann: "Auch heute wieder unter dem Motto, Friedlich engagiert gegen Glaubenskriege."
    Ende November 2014 ahnte ich noch nicht, dass mich diese Bewegung mit der merkwürdigen Abkürzung Pegida das ganze Jahr 2015 hindurch beschäftigen würde.
    Rückschau in einer kleinen Chronologie:
    Anfang Januar 2015 kann Pegida über 25.000 Menschen mobilisieren. Darunter Neonazis, Hooligans, normale Bürger. Sie hören Reden über Feindbilder wie Asylsuchende, Muslime, politisch Andersdenkende, Politiker, Journalisten. Doch bei den verbalen Angriffen gegen Medienvertreter allein bleibt es nicht.
    Mit den Worten Pfui, Pfui landet ein Spuckefaden von einer Gruppe Hooligans hinter mir und meinem Kollegen als wir mit Mirkos während einer Demo an ihnen vorbei gehen.
    Interviews mit Pegida-Teilnehmern können zu sehr widersprüchlichen Ergebnissen führen. Manchen merkt man ihr Redebedürfnis an, sie sind froh, wenn mal jemand zuhört.
    "Hier sind bestimmt die meisten nicht ausländerfeindlich. Ich auch nicht. Aber die Asylpolitik läuft schief. Und so denken viele hier, aber es gehen nicht so viele auf die Straße, weil sie auch Angst haben."
    "Pegida" in Dresden: Symbolischer Galgen für Merkel und Gabriel.
    "Pegida" in Dresden: Symbolischer Galgen für Merkel und Gabriel. (Deutschlandradio / Nadine Lindner )
    Andere machen aus ihrem Hass keinen Hehl: "Wir reden nicht mit der Presse. Nein Lügenpresse. Sie verdienen schmutziges Geld, wenn sie für die Presse arbeiten. Ihr Geld hat den gleichen Stellenwert, wie das von Drogendealern. Auf Wiedersehen."
    Trotz des Rufs "Lügenpresse", folgen mehrere Ende Januar mehrere medienwirksame Auftritte des sogenannten Orga-Teams.
    Wie die Pressekonferenz in der Landeszentrale für politische Bildung nach einer Terror-Warnung mit anschließendem Demo-Verbot:
    "Wir wollen den Dialog und hoffen, dass es wieder eine Zeit in Deutschland geben wird, in der die Presse objektiv berichtet."
    Wenige Tage später bricht das Organisationsteam auseinander. Oertel und andere steigen aus, nachdem Fotos von Bachmann in Hitler-Pose entstanden sind. Bachmann wirft offiziell hin, um wenige Wochen später wieder einzusteigen.
    Dieser Zickzackkurs, die plötzlichen Meinungswandel sind ein Element, das sich über die ganze Zeit bei Pegida fortsetzt. Hinzu kommt, dass sich die Islamfeinde nach dieser Pressekonferenz wieder Anfragen verschließen, abtauchen, Interviewbitten ignorieren, Journalisten namentlich auf Facebook an den Pranger stellen. Ein Kommentar im sozialen Netzwerk war so gewaltverherrlichend, dass ich Anzeige erstattet habe. Das, was sonst zum politischen Journalismus gehört, nämlich die Akteure mit ihren Aussagen zu konfrontieren, ist hier nicht möglich.
    Tausende Menschen stehen auf dem Domplatz in Erfurt während einer Kundgebung für Mitmenschlichkeit und Toleranz.
    Tausende Menschen nahmen in Erfurt an einer Kundgebung für Mitmenschlichkeit und Toleranz auf dem Domplatz teil. (picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert)
    In Dresden regt sich Widerstand. Mit sogenannten Montagskonzerten und Demos wollen die Dresdner Zeichen für Weltoffenheit und Toleranz setzen. Viele engagieren sich in der Flüchtlingshilfe. Und doch wirkt die Stadtgesellschaft, vor allem die bürgerliche Stadtgesellschaft desinteressiert und passiv.
    "Wir finden das immer noch so erschreckend, das ist so egal geworden. Das wird immer mehr toleriert auch hier in Dresden."
    Das wirkt sich auch auf das Alltagsleben in der Stadt aus. In der Straßenbahn oder montags auf der Straße ertappe ich mich dabei, dass ich die Leute mit Blicken abtaste, nach szenetypischen Klamotten schaue und mich frage, geht der oder die vielleicht auch dahin?
    Dieses Gefühls des Misstrauens bringt eine junge Dresdnerin gut auf den Punkt:
    "Man trennt jetzt halt. Wenn man neue Leute kennenlernt, dann ist das schon eine Sache, die man erst mal eruiert. Wenn man feststellt, dass der oder diejenige damit sympathisiert oder auch dorthin geht, dann distanziere ich mich und will mit der Person nichts mehr zu tun haben."
    Oft frage ich mich, wo sind sie denn alle? Wo sind die Parlamentarier, die Landtagsabgeordneten, Kommunalpolitiker die sich gegen die Angriffe wehren, das parlamentarische System oder das Recht auf Asyl erklären und verteidigen? Ja, es gibt die Landesminister der SPD, mittlerweile auch der CDU, die zu den Gegenkundgebungen gehen. Aber es sind oft immer die gleichen. Und es sind nicht viele.
    "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen."
    Seit dem sprunghaften Ansteigen der Flüchtlingszahlen im September steigen auch die Teilnehmerzahlen wieder an. Und die Rhetorik wird schärfer, Flüchtlinge heißen bei Pegida jetzt Invasoren. So wie Mitte Oktober bei der großen Kundgebung zum Einjährigen.
    Ende Dezember schließlich hat Pegida zum Weihnachtsliedersingen aufgerufen.
    Mit dieser widersprüchlichen Mischung aus Weihnachtsliedern, die an Herzenswärme und Nächstenliebe appellieren und einer schroffen Ablehnung von Asylsuchenden geht das Demo-Jahr zu Ende. Für Anfang Januar sind die nächsten Demos angekündigt.
    Noch immer kann ich nicht verstehen, warum Bürger, die steif und fest von sich behaupten, keine Nazis, Rechten oder Ausländerfeinde zu sein, Montag für Montag dorthin gehen.