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Rückkehr des Rudeltiers
Sachsen streitet um den Wolf

Der Wolf ist zurück in Sachsen - und sorgt für hitzige Diskussionen. Viele Bürger fühlen sich bei dem Thema von der Politik allein gelassen. Sie fordern kleinere Wolfsbestände und mehr regionale Entscheidungsbefugnisse. Naturschützer plädieren hingegen für mehr Schutz von Weidetieren.

Von Alexandra Gerlach | 23.07.2018
    Ein Wolf schaut hinter Bäumen hervor.
    Das Thema Wolf birgt in Sachsen politischen Sprengstoff. (picture alliance / Klaus-Dietmar Gabbert)
    Die Stimmung ist gereizt an diesem Abend im Gasthaus "Sweet Water Station" nahe Niesky in der Lausitz.
    "Sachsen sagt, Bundesregierung, Bundesregierung sagt Europa! Man versteckt sich ganz einfach vor der höheren Instanz und das kann so nicht weitergehen."
    Die anwesenden Bürger sind wütend, wollen sich in der Wolfsfrage nicht mehr vertrösten lassen. Sie fordern kleinere Wolfsbestände, mehr regionale Entscheidungsbefugnisse, wenn es um so genannte Problemwölfe geht und manche verlangen sogar das Recht auf Selbstverteidigung. Bislang ist der Wolf strikt geschützt über das Bundesnaturschutzgesetz und die europäische FFH-Schutzrichtlinie. Seit Jahren schon wird dies als Haupthemmnis für eine Begrenzung der Wolfspopulation angeführt. Manch ein Bürger im Saal will das nicht mehr hinnehmen:
    "Tun Sie doch einfach mal! Frankreich hat es gezeigt, 250 Stück Wolf maximal in Frankreich bis 2020 und wird einfach eine Quote ausgegeben, so und so viel Stück, aber Deutschland hat einfach – ich will es mal so sagen – nicht den Arsch in der Hose!"
    Die runden Banketttische im Festsaal sind fast vollständig besetzt. Die Mehrheit der Gäste sind Männer mittleren Alters oder Rentner. Nur wenige Frauen haben sich eingefunden. Ganz vorne stehen, an weiß behussten Stehtischen vier Herren im dunklen Jackett, mit Schlips und Kragen, schauen konzentriert ins Publikum. Einer ist Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer:
    "Ich bin hierher gekommen, weil mir an einer ernsthaften Diskussion und Lösung liegt. Und ich wiederhole hier, was ich zuletzt schon einmal gesagt habe: wir kriegen bis August nichts hin. Jetzt können Sie mich dafür schlagen, aber ich bin trotzdem der Meinung, ich sage Dinge zu, die ich halte und ich halte, und die halte ich dann auch. Es ist nicht möglich bis August eine Lösung zu bringen für dieses Thema!"
    "Dieses Thema" heißt: Leben im Wolfsland. In Der Region um Niesky sorgt das Thema und die Frage, wie mit dem Wolf in der Zivilisation umgegangenen werden soll, seit 1996 für Ängste bei den Bürgern sowie für Streit unter Jägern und Naturschützern, Politik und Forschung, Land und Bund sowie zwischen den Parteien. Viele Bürger – das wird auch an diesem Abend deutlich – fühlen sich ausgeliefert und von der Politik allein gelassen.
    "Jagdverband Sächsische Schweiz, Böhme, guten Abend! Ich muss sagen, auch bei uns im Verbandsbereich ist der Wolf allgegenwärtig, er breitet sich rasant aus und wir merken, dass er zunehmend auch Städte und Dörfer besiedelt und besucht. Also wir haben Aufnahmen am helllichten Tage. Das Problem brennt!"
    Bauern fürchten um ihr Vieh
    Die Jagdverbände führen an, dass mit der Ausbreitung des Wolfes in Sachsen ganze Wildbestände, wie etwa das Muffelwild verschwunden seien. Auch Rehwild könne in einigen Regionen gar nicht mehr "bewirtschaftet" sprich gehegt und gejagt werden. Stattdessen beobachten die Waidmänner neuerdings Anomalien im Verhalten der Wildtiere. Immer häufiger seien beim Rotwild Zwillingsgeburten zu verzeichnen, beim Schwarzwild kristallisiere sich heraus, dass die Bachen, die weiblichen Wildschweine, zwei Mal pro Jahr Frischlinge zur Welt brächten. Einen Bauern, geschätzt Anfang 60, plagen weitere Sorgen mit Blick auf seine Rinder- und Pferdeherden:
    "Seit 2005 haben wir ungeklärte Ausbrüche, Rinderherden sind auseinandergetrieben worden sind teilweise im Ort gelandet, bei Licht auf die Straße gerannt, zum Licht."
    Ein junger Schäfer im Nebenerwerb, Mitte 30 erhebt sich und ergreift das Wort. Er hat in den zurückliegenden vier Jahren rund 80 seiner Tiere nach Wolfsattacken eingebüßt, obwohl er umfangreiche Schutzmaßnahmen getroffen und 1,60-meter hohe Elektrozäune und Flatterband, wie empfohlen, eingesetzt hatte. Immer wieder haben Wölfe aus dem so genannten Rosenthaler Rudel seine Schafe angegriffen und getötet. Für ihn gehe es langsam ums Ganze sagt Schäfer Just:
    "Und Herr Kretschmer, was würden Sie in meiner Situation machen? Wenn Sie junger landwirtschaftlicher Unternehmer wären? Das geht in das vierte Jahr jetzt und Ihr Unternehmen ist davon bedroht! Soll ich meine Tiere jetzt in den Stall stellen, weil wir keine Lösung finden?"
    Der Angesprochene, Michael Kretschmer, ist nicht alleine an diesem Abend nach Niesky gekommen. An seiner Seite steht der aus Brandenburg stammende CDU-Bundestagsabgeordnete und Parlamentarische Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium, Michael Stübgen. Beide werben für die Überarbeitung einer Passage im Bundesnaturschutzgesetz, die den Schutz des Wolfes etwas lockern würde. Doch ohne den Koalitionspartner SPD gehe das nicht, sagt Stübgen, der sich wie Kretschmer auch für verbesserte Schadensausgleichleistungen an die geschädigten Tierhalter ausspricht.
    NABU kritisiert Bejagung
    Stübgen verweist auf den Berliner Koalitionsvertrag und betont, dass man in der Bundesregierung das Problem erkannt habe. Demzufolge sind vereinzelte sogenannte letale Entnahmen von Problemwölfen, erlaubt. Nach Ansicht des Wolfsexperten des Naturschutzbundes Deutschland, Markus Bathen ist das jedoch die falsche Maßnahme. Er ist gegen eine Bejagung, plädiert stattdessen für mehr Schutz für Weidetiere in Form flächendeckender Umzäunungen. Das sei nicht praktikabel für die Weidetierhalter, argumentiert CDU- Staatssekretär Stübgen und fügt hinzu:
    "Es ist Tatsache, wir müssen hier etwas tun, weiteres Zuwarten erhöht die Gefahr, auch von menschlichen Opfern und es ist absolut inakzeptabel, es ist die vornehmste Aufgabe eines Staates die Menschen zu schützen und dann natürlich auch Umwelt und Tiere, etc."
    Man müsse die Bundeslandwirtschaftsministerin in Berlin stärken, damit sie etwas bewegen könne in dieser Frage, appelliert Sachsens Regierungschef Kretschmer. Doch Schäfermeister Schmidt aus Horka sagt das nichts. In seinem Familienbetrieb hält er noch 600 Schafe. Eine Zukunft sieht er nicht.
    "Ich habe den Riss im Kopf, ich kann nicht mehr schlafen!"