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Rückkehr zum Dipl.-Ing.

2010 ist das Jahr, in dem der Bologna-Prozess - also die Umstellung der Studiengänge an europäischen Universitäten auf die Abschlüsse Bachelor und Master - abgeschlossen sein sollte. Doch noch krankt es an vielen Stellen. Ein Rückblick.

Von Kerstin Ruskowski | 31.12.2010
    Schon im November 2009 beginnt der Bildungsstreik an deutschen Hochschulen. Die Studenten fordern grundlegende Änderungen an der Bologna-Reform - unter anderem die Abschaffung oder zumindest eine grundlegende Überarbeitung der Bachelor- und Masterstudiengänge.

    "Dieses Bachelor-System sollte alles vereinfachen, macht es aber eigentlich viel komplizierter. Das heißt, es gibt für jedes Bundesland unterschiedliche Studienbedingungen - an jeder Uni sogar gibt es unterschiedliche Studienbedingungen und das ist einfach nicht haltbar."

    Im Januar stellen sich auch die "TU9", also die größten neun Technischen Universitäten, gegen die Bologna-Reform: Sie wollen den akademischen Grad "Diplom-Ingenieur" zurück. Die Umstellung auf das zweistufige Studienmodell habe gut funktioniert, erklärt Ernst Schmachtenberg, Rektor der RWTH Aachen und Präsident der TU9, in der Tageszeitung taz - aber der Abschluss Diplom-Ingenieur sei ein deutsches Qualitätsprodukt, das man erhalten müsse.

    Das findet auch Christoph Niemann, der an der Universität Rostock Elektrotechnik auf Bachelor studiert:

    "Ich würd' auf jeden Fall auf Diplom studieren. Ich glaub', der Verzicht aufs Diplom wär wie verzichten auf "Made in Germany". Das ist einfach totaler Irrsinn auf so eine Marke zu verzichten."

    Nach der Vorstellung der TU9 sollen Studenten nach drei Jahren Bachelor- plus zwei Jahren Masterstudium auch den Abschluss Diplom-Ingenieur kriegen können. Die Diskussion um die Wiedereinführung des Diploms beginnt.

    Die Idee hinter der Umstellung auf Bachelor und Master war eigentlich, die Studienzeiten insgesamt zu verkürzen. Der Bachelor sollte zum Regelabschluss werden - und Studenten nach nur drei Jahren an der Uni fit fürs Berufsleben machen. Doch vielen Arbeitgebern und vor allem auch vielen Studenten reicht der Bachelor-Abschluss nicht.

    Im März tagen die deutschen Kultusminister in Berlin. Sie sind gegen eine Rückkehr zum Diplom. Dennoch räumen sie ein, dass die Bologna-Reform gewisse Probleme mit sich gebracht hat.

    Ebenfalls im März treffen sich die europäischen Bildungsminister in Wien zur Bologna-Konferenz. Im Abschlussdokument werden Fehler bei der Reform offen zugegeben. Sigrid Maurer, Vorsitzende der österreichischen Hochschülerschaft:

    "Für uns Studierende ist schon extrem wichtig, dass der längste Paragraf in diesem Dokument sich mit den Studierendenprotesten auseinandersetzt und für ein diplomatisches Dokument sehr deutlich sagt: Ja, wir haben Fehler gemacht."

    Ein Ende des Umstellungsprozesses ist 2010 nicht in Sicht. Der Aktionszeitraum der Bologna-Reform wird um ein weiteres Jahrzehnt verlängert.

    Wie schwierig die Vereinheitlichung der Abschlüsse sich in der Praxis gestaltet, zeigt sich an verschiedenen deutschen Unis: So hat beispielsweise die TU Dresden, eine der neun größten Technischen Universitäten, viele Studiengänge gar nicht erst auf Bachelor und Master umgestellt. Und kündigt im Sommer an, auch das Fach Informatik zum Winteresemester wieder mit dem Abschluss "Diplom" anzubieten.

    Und auch in Mecklenburg-Vorpommern wollen die Unis zurück zum Diplom: Dort beschließt der Landtag im Dezember, dass Studenten ingenieurwissenschaftlicher Studiengänge nach fünf Semestern aussuchen dürfen, ob auf ihrem Zeugnis "Diplom-Ingenieur" oder "Master of engineering" stehen soll. An anderen Unis, wie beispielsweise der TU Ilmenau, begnügt man sich indessen auf dem Masterzeugnis mit dem Hinweis, dass der Abschluss gleichwertig mit dem Diplom ist.