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Rückruf von Blutdruckmitteln
Vertrauen der Patienten ist beschädigt

Mehr als zwei Millionen Menschen in Deutschland nehmen Blutdrucksenker mit dem Inhaltsstoff Valsartan ein. Im Juli 2018 wurde fast die Hälfte der Chargen wegen krebserregender Verunreinigungen zurückgerufen. Experten fordern nun eine bessere Prüfung der pharmazeutischen Rohstoffe.

Von Hellmuth Nordwig | 16.10.2018
    Älterer Mann schaut auf sein Smartpone, das Blutdruckwerte anzeigt.
    Seit Jahren haben rund 900.000 Menschen in Deutschland ein mit Nitrosamin verunreinigtes Blutdruckmittel eingenommen. (imago )
    Seit Jahren haben rund 900.000 Menschen in Deutschland ein mit Nitrosamin verunreinigtes Blutdruckmittel eingenommen. Nach dem Rückruf hätten sich schätzungsweise die Hälfte von ihnen an Apotheker und Ärzte gewandt, berichteten Fachleute auf dem Deutschen Apothekertag. Zu Recht. Denn die Europäische Arzneimittelbehörde hat abgeschätzt, wie viele Menschen wegen der krebserzeugenden Substanz in Valsartan erkranken könnten, berichtet Manfred Schubert-Zsilavecz, der Leiter des Zentrallabors Deutscher Apotheker.
    Vermutlich 5.000 betroffene Patienten
    "Dass vermutlich bei 5.000 betroffenen Patienten, die verunreinigtes Valsartan eingenommen haben, irgendwann in mehreren Jahren ein zusätzlicher Todesfall auf Grund einer Tumorerkrankung eintreten könnte."
    Es geht also um schätzungsweise 180 Krebsfälle, die deswegen entstehen könnten. Da erscheint es fast nebensächlich, dass inzwischen wieder sauberes Valsartan lieferbar ist, nachdem es einige Wochen lang Mangelware war. Lediglich ein Kombinationspräparat ist zurzeit weiterhin nicht erhältlich, die Patienten müssen in diesem Fall zwei Medikamente schlucken. Fritz Sörgel vom Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung bei Nürnberg ärgert aber, dass die betroffenen Chargennummern bis heute von keiner offiziellen Stelle veröffentlicht worden sind.
    "Warum jetzt ausgerechnet die Behörden, die ja für die Arzneimittelsicherheit in erster Linie verantwortlich sind, solche Daten nicht veröffentlichen, das ist mir wirklich komplett schleierhaft. Und es ist auch gegenüber den Patienten nicht akzeptabel. Die heben sich die Schachtel auf, die warten darauf. Und das gehört zu einer offenen Gesellschaft dazu, dass man das publiziert."
    Krebsgefahr durch N-Nitrosodimethylamin
    Man findet zwar die Nummern der betroffenen Schachteln in diversen Internetquellen, doch die sind nicht unbedingt verlässlich. Ärgerlich ist auch, dass immer noch nicht alle Krankenkassen eine zusätzliche Rezeptgebühr oder Zuzahlung erstatten, falls eine neue Verschreibung nötig war. Es gibt also noch einiges zu tun, bis das Vertrauen der Patienten wieder hergestellt ist. Und es gilt aufzuarbeiten, was eigentlich schief gelaufen ist. Denn auch da ist einiges merkwürdig. Wie Manfred Schubert-Zsilavecz berichtet, "ist das einem anonymen Hinweis zu verdanken, dass diese Geschichte öffentlich wurde, was dann dazu geführt hat, dass eine ganze Kaskade von Aktivitäten losgetreten wurde bis hin zu den notwendigen Rückrufen. Aber es war eben nicht Teil eines Qualitätssicherungsprozesses, der dazu geführt hat, dass dieses Problem aufgezeigt wurde."
    Verursacht wurde es dadurch, dass der chinesische Erzeuger des Arzneirohstoffs seinen Herstellungsprozess verändert hat. Der Hersteller hat die Änderung zwar im Detail der zuständigen europäischen Behörde in Straßburg angezeigt. Aber dort ist niemand auf die Idee gekommen, dass deswegen plötzlich Krebsgefahr lauert, was eigentlich jeder Chemiker sehen müsste. Und die Substanz selbst ist nie überprüft worden, bevor sie auf den Markt kam. Fritz Sörgel:
    "Das ist mir auch heute erst in der Diskussion so klar geworden: Wir müssen versuchen, den pharmazeutischen Rohstoff auch prüfen zu lassen. Das haben wir bisher nicht gemacht, weil jeder gesagt hat - und fairerweise muss ich sagen, im Juni hätte ich das auch noch so gesagt - das ist fast nicht zu machen."
    Zu viele Wirkstoffe sind auf dem Markt, und zu oft werden Herstellungsverfahren geändert. Das hat auch mit der Preispolitik in Deutschland zu tun. Valsartan gehört zu den patentfreien Arzneimitteln, und die sind für uns Versicherte extrem billig. Die Experten plädieren dafür, dass wir ein klein bisschen mehr für sie bezahlen - und mit diesem Geld ein Qualitätssicherungssystem für Medikamente aufbauen, das den Namen wirklich verdient.