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Rücktritt statt Rausschmiß

In Lausanne trifft sich dieser Tage das IOC-Exekutivkomitee zur letzten Sitzung des Jahres. Mit großer Spannung wird die Pressekonferenz am Donnerstagabend erwartet, auf der IOC-Präsident Jacques Rogge das Urteil der Ethikkommission gegen drei Mitglieder bekannt geben dürfte. Es geht um den ISL-Bestechungsskandal – und im Mittelpunkt der Anklage steht das dienstälteste IOC-Mitglied: der Brasilianer Joao Havelange.

Von Jens Weinreich | 04.12.2011
    Joao Havelange ist ein Jahrhundert-Sportfunktionär, und zwar im doppelten Sinne. Havelange, geboren 1916, nahm 1936 als Schwimmer an den Olympischen Sommerspielen in Berlin teil, 1952 noch einmal als Wasserballer. Havelange ist seit 1963 IOC-Mitglied und damit der Doyen des IOC. Er war von 1974 bis 1998 Präsident des Fußball-Weltverbandes FIFA – und ist seither FIFA-Ehrenpräsident. Havelange zählt zu jenen Figuren, die das weltumspannende Bestechungssystem der einstigen Sportmarketing-Agentur ISL geprägt haben.

    Und er hat selbst viele Millionen kassiert – meist über Tarnfirmen, eine davon, Renford Investments, unterhält er gemeinsam mit seinem einstigen Schwiegersohn Ricardo Teixeira. Teixeira gehört dem FIFA-Exekutivkomitee an, ist seit Ewigkeiten Präsident des brasilianischen Verbandes und auch Chef des WM-Organisationskomitees 2014.

    Das ISL-Bestechungssystem ist kein Fall für den History Channel, sondern hochaktuell. Auch wenn der ISL-Konzern schon 2001 mit einem Milliardenloch pleiteging und die Aufarbeitung der kriminellen Aktivitäten nun schon ein Jahrzehnt andauert. Mit mehr als 140 Millionen Schweizer Franken hat die vom Deutschen Horst Dassler gegründete ISL-Gruppe einst hochrangige Sportfunktionäre im IOC, in der FIFA und etlichen anderen Weltverbänden geschmiert, um an milliardenschwere TV- und Marketingverträge zu gelangen. Diese gerichtsfest dokumentierten 140 Millionen sind nur die Spitze des Eisberges.

    Havelange, Teixeira und die FIFA haben im vergangenen Jahr 5,5 Millionen Franken an die Justizkasse des Kantons Zug gezahlt, um im im Deal mit der Staatsanwaltschaft die Namen der Schmiergeldempfänger geheim zu halten. Da aber Journalisten auf Herausgabe dieser Einstellungsverfügung drängten und die Justiz dem Drängen bald nachgeben wird, gerieten die Korruptionsverheimlicher unter Druck. FIFA-Präsident Joseph Blatter kündigte an, das Papier Mitte Dezember zur nächsten Exekutivsitzung in Tokio zu veröffentlichen. Parallel aber hatte die IOC-Ethikkomission längst Ermittlungen gegen Havelange aufgenommen – und gegen zwei andere IOC-Mitglieder, die kleinere Summen erhalten haben: Lamine Diack aus dem Senegal, Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF, und Issa Hayatou aus Kamerun, Afrikas Fußballchef und FIFA-Vizepräsident.

    Was Havelange, Hayatou und Diack eint ist die unverbrüchliche Nähe zum Franzosen Jean-Marie Weber, jenem Mann, der über Jahrzehnte das ISL-Schmiergeld verteilt hat, meist in Bar. Weber feiert alljährlich im Mai mit Havelange dessen Geburtstag in Zürich. Weber arbeitet für Hayatous afrikanischen Verband CAF und für Diacks IAAF. Er taucht bei allen großen Sportterminen auf und ging bis vor Kurzem auch im IOC-Hauptquartier ein und aus. Vor sechs Jahren hatte Blatters Anwalt für Weber einen weiteren Korruptionsverdunklungsvertrag geschlossen, um die Namen der bestochenen Funktionäre geheim zu halten. Dafür flossen 2,5 Millionen an den ISL-Konkursverwalter – wahrscheinlich haben Havelange und Teixeira bezahlt.

    Nach Informationen des Deutschlandfunks wird das IOC Hayatou und Diack nun verwarnen. Gegen Havelange, der viele Millionen mit Teixeira und einmal 1,5 Millionen allein erhalten hat, sollte der Ausschluss verfügt werden. Ein solches Votum wäre geradezu ungeheuerlich in dieser Branche. Zumal die Olympischen Sommerspiele 2016 im Joao-Havelange-Stadion in Rio de Janeiro eröffnet werden sollen, zur Feier des 100. Geburtstages von Havelange – so hatte es der damalige Staatspräsident Lula versprochen, als Rio vor zwei Jahren die Spiele erhielt.

    Wie schon in anderen Fällen – etwa beim Mexikaner Ruben Acosta oder beim Koreaner Kim Un Yong oder kürzlich in der FIFA beim Vizepräsidenten Jack Warner – wird Havelange wohl eine goldene Brücke gebaut. Es wird erwartet, dass er seinen Rücktritt aus dem IOC bekannt gibt. IOC-Präsident Jacques Rogge wird dazu am Donnerstag in Lausanne Stellung beziehen.

    Das entscheidende Dokument gegen Havelange ist eine Zahlung von 1,5 Millionen Franken, die am 3. März 1997 irrtümlich auf einem FIFA-Konto landete – und von dort auf sein Privatkonto weiter geleitet wurde. Ein Dreivierteljahr zuvor hatte die FIFA die WM-Fernsehverträge 2002 und 2006 unter dubiosen Umständen für 2,8 Milliarden Franken an die ISL-Gruppe und den Münchner Mogul Leo Kirch verkauft. Bei dieser Vergabe hat der damalige Generalsekretär Blatter ebenfalls eine zwielichtige Rolle gespielt. Blatter soll dann auch den Transfer der Havelange Million angeordnet haben – was er stets bestritt.

    Insofern könnte das Verdikt – oder der Deal: Rücktritt statt Rausschmiss – im Fall Havelange auch Folgen für Blatter haben. Denn der FIFA-Präsident ist selbst IOC-Mitglied – nun müsste eigentlich ein Verfahren gegen ihn eröffnet werden.

    Es bleibt spannend in diesem Krimi. Denn da Blatter sich von den alten Kameraden und Ganoven um Teixeira, Havelange, Grondona, Makudi und von anderen trennen will und sich allen Ernstes als Reformer der FIFA verkauft, sinnen die auf Rache. Die Folgen sind unabsehbar.