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Rücktritte und Entlassungen
Wird die Voice of America zu Voice of Trump?

Die „Voice of Amerika“ gilt als publizistisches Aushängeschild der USA. 350 Millionen Menschen auf der ganzen Welt hören den Auslandssender jede Woche. Nachdem US-Präsident Trump einen neuen Chef eingesetzt hat, herrscht Unruhe bei der „Voice of America".

Von Thilo Kössler | 08.09.2020
Das Gebäude des Voice of America in Washington
Das Gebäude des Voice of America in Washington (Alexey Agarishev/Sputnik/dpa)
Über zwei Jahre dauerte der Nominierungsprozess für den Posten des CEO der US Agency for Global Media – unter diesem staatlichen Dach sind sämtliche US-Auslandssender vereinigt: die Voice of America, die Stimme der USA im Ausland, ist der größte von ihnen. Michael Pack habe selbst republikanische Senatoren nicht so richtig überzeugt, hieß es im Kongress während der Anhörung. Doch dann, im April, zu Beginn der Corona-Krise, machte Donald Trump plötzlich Druck: "What we hear from Voice of Amerika is disgusting"
Es sei widerwärtig, was man von der Voice of America zu hören bekomme, empörte sich Trump: Der Sender habe den kompletten Lockdown der chinesischen Führung in Wuhan als beispielhaft für die Bekämpfung der Pandemie geschildert – er selbst, Trump, hatte gerade die Lockerung der Schutzmaßnahmen propagiert.
Rücktritte und Entlassungen
Plötzlich sollte es schnell gehen mit der Berufung von Michael Pack. Anfang Juni trat der ehemalige Filmemacher seinen Posten als CEO bei der Voice of America und ihren Partnern an. Sein Ruf als Trump-Verfechter und Vertrauter des nationalistischen America-first Vorkämpfers Steven Bannon war Pack längst vorausgeeilt: In Erwartung der absehbaren Entwicklung traten die Direktorin Amanda Bennet und ihre Stellvertreterin Sandy Sugawara zurück. An deren Rausschmiss habe er drei Jahre gearbeitet, meldete sich prompt Strippenzieher Bannon aus dem Off – Michael Pack werde das Großreinemachen in der Sendergruppe mit eisernem Besen betreiben, kündigte er an.
Kaum im Amt, entließ Pack die Chefs sämtlicher Auslandssender – Radio Free Europe/Radio Liberty, Radio Free Asia, Middle East Broadcasting Networks und so weiter.... Damit nicht genug, feuerte Pack auch gleich noch alle Mitglieder der einzelnen Aufsichtsgremien, versagte ausländischen Mitarbeitern die Verlängerung ihrer Arbeitsvisa und kürzte sogar die Mittel für die Anschaffung von Toilettenpapier.
Neuer Aufseher für US-Auslandssender Amanda Bennett, die Direktorin der "Voice of America", ist zurückgetreten. Donald Trump hat den US-Auslandssender mehrfach scharf kritisiert und nun seinen Wunschkandidaten für die zuständige Aufsichtsbehörde durchgesetzt.
"Sumpf trocken legen"
"Meine Aufgabe ist es, den Sumpf hier trocken zu legen", sagte Michael Pack Ende August in einem Interview mit der rechtslastigen Online-Plattform The Federalist. Er wolle die Korruption ausmerzen und der einseitigen Berichterstattung ein Ende machen. "My job really is to drain the swamp, to root out corruption and to deal with these issues of bias, not to tell journalists what to report."
Er werde aber den Journalisten keine Vorschriften machen, wie und was sie zu berichten hätten, fügte Pack hinzu. Das kann er auch nicht – oder: noch nicht. Denn die Voice of America wird zwar staatlich finanziert, aber nicht staatlich kontrolliert. Eine Charta aus dem Jahre 1976 verpflichtet den Sender auf wahrheitsgemäße, umfassende, objektive und ausgewogene Berichterstattung – errichtete aber einen Schutzwall vor staatlichen Eingriffen in die journalistische Arbeit. Dieses eherne Prinzip sehen die verunsicherten Mitarbeiter jetzt in Gefahr.
Die Atmosphäre in dem Sender ist zum Reißen gespannt. Niemand wagt es mehr, sich in dieser Ungewissheit öffentlich zu äußern. Außer Sean Powers – er war der Chefstratege von USAGM und wurde ebenfalls entlassen. Im Radiosender National Public Radio sprach er dieser Tage von einem schrittweisen, aber umfassenden Abbau der Institutionen, die der Unabhängigkeit und der Integrität des Journalismus dienen sollten. "What we're seeing now is the step by step and a wholescale dismantling of the institutions that protect the independence and the integrity of our journalism," sagt Powers.
Gegenstimme zur NS-Propaganda
Im Auftrag seines Präsidenten legt Michael Pack nun die Axt an die Grundfesten einer Institution, die sich seit ihrer Gründung im Jahre 1942 weltweit einen Namen gemacht hat als eine seriöse Nachrichtenquelle: "Hier spricht eine Stimme aus Amerika, aus Amerika im Krieg." Gegründet als Gegenstimme zur Propagandamaschine der Nazidiktatur, entwickelte sich die Voice of America binnen Jahrzehnten zu einem glaubwürdigen Leitmedium bei der Verbreitung von Demokratie und Meinungsfreiheit in der Welt. Doch aus dem Idealbild wahrheitsgemäßer Informationsvermittlung ist nach Eindruck von Michael Pack ein Abgrund aus Sicherheitslücken geworden:

"The security lapses are I think pretty shocking." Der Beruf des Journalisten sei schon immer eine gute Tarnung für Spione gewesen: "To be a journalist is a great cover for a spy." Allerdings blieb Michael Pack beim vagen Raunen: In seinem bisher einzigen Interview blieb er jeden Beleg für seine Mutmaßungen schuldig.
Wandel zum Sprachrohr Trumps?
Vergangene Woche bekam Pack einen geharnischten Brief von rund einem Dutzend Mitarbeitern der Voice of America, in dem sie ihrem CEO vorwerfen, strategische Interessen der USA im Ausland aufs Spiel zu setzen und das Leben von ausländischen Kolleginnen und Kollegen zu gefährden - weil sie nach Hause zurückkehren müssen, wenn ihre Arbeitsvisa nicht verlängert werden. Als Reaktion darauf wurden ihnen disziplinarische Maßnahmen angedroht.
Sean Powers sagte NPR, es stehe die Glaubwürdigkeit der Voice of America insgesamt auf dem Spiel: "What is at stake is the entirety of the credibility of the Voice of America – credibility that has been built up over decades."
Doch worum geht es Donald Trump und Michael Pack in seinem Gefolge eigentlich? Darüber kann nur spekuliert werden. Die bekannte Kolumnistin des Polit-Magazins The Atlantic, Anne Applebaum, mutmaßt, dass sich die Voice of America zu einem Sprachrohr für Trumps America-first-Ideologie entwickeln soll. Es dürfte künftig mehr gezielte politische Botschaften geben als seriösen Journalismus, vermutet sie. Und möglicherweise weniger international vernehmbare Einwände gegen die Versuche Russlands, in die US-amerikanische Politik einzugreifen.