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Rüstungsexporte
Schwan: Keine Waffenlieferungen an Saudi-Arabien

Wenn man in der internationalen Politik das Spannungsfeld zwischen Moral und Realpolitik aufhebe, sei man als Demokratie verloren, betonte die SPD-Politikerin Gesine Schwan im Dlf. Nach Saudi-Arabien sollte man keine Waffen liefern. Umso wichtiger sei es, sich als Land nicht von der Waffenlobby abhängig zu machen.

Gesine Schwan im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 27.10.2018
    Gesine Schwan
    Nicht nur der Fall Khashoggi, vor allem der Krieg im Jemen unter Beteiligung Saudi-Arabiens ist für Gesine Schwan Grund, keine Waffen an das Land zu liefern. (dpa)
    Jürgen Zurheide: Der Fall Khashoggi ist der Ausgangspunkt einer interessanten Debatte, die wieder heftig geführt wird. Es wird über Waffenexporte gesprochen, es wird über Waffenexporte diskutiert, und nicht nur das, die Handelsbeziehungen insgesamt stehen auf dem Prüfstand. Kurz gefasst lautet die Frage: Moral oder Geschäft, Moral oder Geld, Fragezeichen, was ist hier wichtiger? Auch der Bundeswirtschaftsminister zum Beispiel bei seiner Reise jetzt in die Türkei wurde mit dieser Frage konfrontiert, hier eine Antwort im Interview mit dem Deutschlandfunk:
    O-Ton Peter Altmaier: Ich bin hier in der Türkei zusammengekommen auch mit Vertretern der Zivilgesellschaft, ich habe hier in der Türkei auch Gespräche geführt mit Personen, die der Regierung nicht unbedingt nur nahestehen. Aber die Türkei ist Mitglied der NATO, die Türkei ist ein stabilisierender Faktor in der Region und die Türkei hat beispielsweise dazu beigetragen, dass Tausende von Menschenleben gerettet wurden, weil sie einen Waffenstillstand in der Region um Idlib vermittelt hat. Es ist immer eine Gratwanderung.
    Zurheide: Genau über diese Gratwanderung wollen wir sprechen, was geht, was kann man machen, was sollte man besser lassen. Die Frage wollen wir wägen mit Gesine Schwan von den Sozialdemokraten, die ich ganz herzlich am Telefon begrüße. Guten Morgen, Frau Schwan!
    Gesine Schwan: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Saudischer Kronprinz handelt "außerhalb aller Moral"
    Zurheide: Frau Schwan, Waffenexporte zu den Saudis, geht das oder geht das nicht aus Ihrer Sicht?
    Schwan: Prinzipiell geht das eigentlich nicht, weil die im Jemen zum Beispiel praktisch Krieg führen. Und das war ja auch schon auf einen niedrigen Stand reduziert. Was sich jetzt aber noch mal abgespielt hat, verschärft natürlich die Problematik, weil sich, wenn man das richtig verfolgt, offenbar der saudische Kronprinz jedenfalls außerhalb aller Moral gestellt hat. Und man kann da keine ganz prinzipiellen Äußerungen tun, man kann nur prinzipiell sagen … Man muss die Moral immer beachten, wenn man sie einfach zynisch beiseiteschiebt, ist das verheerend. Man kann aber kein Rezept ein für alle Mal daraus schließen.
    Zurheide: Was sind denn sozusagen die Leitplanken bei so einer Frage, Moral oder Geschäft, Moral oder Geld, geht das, geht das nicht? Wir alle erinnern uns natürlich an die Debatte in den 70er-, in den 80er-Jahren, ich habe es vorhin angesprochen, da wurde ja genau auch die Frage gestellt: Können, dürfen, müssen wir mit Russland verhandeln? Ihre Partei hat Ja gesagt und die Debatte damit eigentlich beherrscht. Ist es vergleichbar, was wir jetzt machen, oder sehen Sie da Unterschiede?
    Schwan: Da sehe ich schon Unterschiede und deswegen war auch diese Entspannungspolitik, meine ich, anders legitimiert. Natürlich war die Sowjetunion ein diktatorischer Staat und man musste da auch diese moralische Frage stellen, aber die Entspannungspolitik lief ja darauf hinaus, einerseits zu kooperieren, um Alltagsprobleme eventuell zu lösen und auch eben Handel fortzutreiben, um einfach den Kontakt zu halten, aber auf der anderen Seite darauf zu dringen, dass sich allmählich dieses Regime ändert. Nicht indem man ihm einen Regimewechsel oktroyiert, sondern indem man alle möglichen Transparenzen und eben auch Vorteile anbietet, um der Sowjetunion es zu ermöglichen, das Gesicht zu wahren und, ohne sofort den Zusammenbruch befürchten zu müssen, sich zu ändern und Freiheiten zu gewähren. Das heißt, es hatte von vornherein die Entspannungspolitik eine Stoßrichtung in Richtung auf Freiheit, auf Menschenrechte, auf Demokratie, auch wenn man das natürlich der großen Sowjetunion nicht einfach aufs Auge drücken konnte.
    Zurheide: Aber genau das ist ja die Frage, was machen wir jetzt? Die Türkei ist das eine Beispiel, aber die Saudis, bleiben wir vielleicht bei denen im Moment … Kann man irgendeine Hoffnung haben, dass so ein Prinz, wie wir ihn da gerade sehen – und der Fall Khashoggi ist ja nur das eine, den Jemen haben Sie auch angesprochen, da wird ein Krieg geführt, der entsetzliches Leid mit sich bringt, und eigentlich hätte man da ja auch schon sagen müssen … Kann man den zum Wandel bewegen?
    Schwan: Ich glaube nicht, dass man die Person läutern kann oder irgend so was, den Eindruck habe ich nicht. Man kann auch nicht kurzfristig was erreichen. Aber man kann glaube ich schon langfristig etwas erreichen, indem man ihm zeigt – und das ist offenbar doch auch schon geschehen –, dass die Kosten einer solchen Brutalität höher sind, als er gedacht hat. Solche Leute kalkulieren völlig zynisch und deswegen muss man da auch die Kosten so hoch treiben, dass man einerseits nicht abbricht, andererseits aber eben deutlich macht, das geht nicht umsonst. Was da noch mal speziell das Waffengeschäft, das ja mit Saudi-Arabien besonders groß ist, angeht, und dieses Waffengeschäft ist eben mit diesem Regime noch viel verheerender, so ist es auch wichtig, dass wir uns intern weniger vom Waffengeschäft abhängig machen. Es ist ja auch nicht selbstverständlich, dass unsere Waffenschmieden so groß sind. Das verweist wieder darauf, dass wir in Europa uns mehr zusammentun sollten und müssten, um nicht so viel Waffenproduktion nötig machen zu müssen. Also das sind auch wiederum Wege, sich da unabhängiger zu machen, wenn man von einer solchen Waffenproduktion, was die Arbeitsplätze angeht, so abhängig ist, ist man natürlich auch verwundbarer selbst.
    Keine Waffenlieferungen an Saudi-Arabien
    Zurheide: Wo sind denn für Sie Grenzen von Zusammenarbeit? Gibt es die auch? Sie bleiben ja vorsichtig, selbst bei Waffen auch in Saudi-Arabien sagen Sie ja: Ganz raus dann vielleicht doch nicht?
    Schwan: Nein, zu Waffen schon immer schon raus, weil das ja unabhängig jetzt von dem akuten Kriminalfall sozusagen, wegen des Jemen unmöglich ist. Ich ging jetzt also über die Waffenfragen hinaus. Aber ich habe eben selbst, in der Tat, für Saudi-Arabien die Waffenproduktion angegangen, und ich finde eben, mal unabhängig von dem Fall Khashoggi ist das eine Abhängigkeit, in die wir selbst auch durch die Lobby immer mehr geraten, intern in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern – die Reaktion des Präsidenten Macron ist ja auch vielsagend in dieser Hinsicht –, dass man da auch einen Hebel selbst hat, für sich selbst. Aber ich glaube, in meiner Sicht ist Saudi-Arabien in der gegenwärtigen Zeit kein Land, an das man Waffen liefern sollte.
    Zurheide: Welche Wege des Protestes und der Grenzsetzung haben wir denn dann noch? Haben wir welche, oder am Ende, wenn wir diese Konferenz sehen, die gerade stattgefunden hat, da werden dann am Ende 50-Milliarden-Deals wieder verkündet und dann heißt es, Siemens, der Chef ist zwar nicht dagewesen, das war ein kleines Zeichen, aber dann fährt er eben ein bisschen später hin und dann werden die Deals anschließend unterzeichnet … Oder ist die Fragestellung grundsätzlich falsch?
    Schwan: Nein, die Frage ist gar nicht falsch, aber das heißt nicht, dass man immer eine befriedigende Antwort auf die Frage findet. Und ich denke, hier muss man realistischerweise damit rechnen, dass alle die, die sich ein Riesengeschäft erwartet haben, andere Mittel und Wege finden, einerseits das öffentliche Image zu wahren und andererseits dann doch irgendwie an die Gelder zu kommen. Man wird auch immer bei allen Boykotts oder Rückzugsentscheidungen sich selbst einräumen müssen, dass man immer wieder auch einen Weg zurückfinden wird und muss. Aber ich glaube, in diesem Fall nicht zu reagieren, wie das der Präsident Macron praktisch vorgeschlagen hat, finde ich nicht vertretbar, denn das würde heißen, auch öffentlich im Grunde – und das ist ein wichtiger Punkt –, ob man die Moral öffentlich einfach blamiert oder ob man sie doch, selbst wenn die Maßnahmen hinterher das wieder etwas relativieren, erst mal ganz klar hochhält und sagt, das geht nicht. Wenn man anfängt zu sagen in der internationalen Politik, es herrscht nur noch Zynismus, und man hebt das Spannungsfeld zwischen Moral und Realpolitik einfach auf, dann ist man verloren als Demokratie. Deswegen kann man gar nicht anders als diese Spannungsfelder immer wieder neu zu entscheiden, es gibt keine Lösung ein für alle Mal, und darauf zu achten, dass man eine längerfristige Strategie dabei hat. Und da betone ich noch mal, gerade wenn man es mit Diktaturen zu tun hat, darf man diesen Handel nicht so treiben, dass man selbst in Abhängigkeit gerät. Man muss sehen, wie man ihn trotzdem aufrechterhält als Kontakt, aber man darf sich selbst nicht abhängig machen.
    Macron (r.) mit Kronprinz bin Salman im April 2018 im Élysée-Palast in Paris 
    Macron (r.) mit Kronprinz bin Salman im April 2018 in Paris (MAXPPP)
    Zurheide: Wir haben ja gerade wieder einen neuen Fall in der Türkei, der auch in dieser Sendung schon eine Rolle gespielt hat, es gibt wieder ein Gerichtsurteil gestern, ein 29-Jähriger ist da zu über sechs Jahren Haft verurteilt worden. Wir können natürlich den Fall von hier aus nicht wirklich schlussendlich beurteilen, aber die Amerikaner haben an diesen Punkten – und das ist dann auch eine Seite von Trump – ganz hart reagiert. Als ein Staatsbürger ins Gefängnis gekommen ist in der Türkei, sind sie so hart vorgegangen, dass Erdogan am Ende, ich glaube, eingeknickt ist. Können wir dann wieder was lernen?
    Schwan: Na ja, einerseits sind die Vereinigten Staaten noch mal ein sehr viel mächtigerer Partner, als wir das wären, als Deutschland. Wenn die EU im Ganzen handelte, wäre es etwas anderes. Auf der anderen Seite ist auch da der Schaden zu beachten, denn diese Rabiatheit, mit der Donald Trump einfach verfährt, indem er dem Multilateralismus weitgehend Adieu sagt, hat ja auch ganz große Folgen. Selbst wenn er in diesem konkreten Fall jetzt diesen Mann rausbekommen hat: Das, was er an Unberechenbarkeit zugleich praktiziert, hat ja auch Folgen. Das ist eben das Problem in politischen Entscheidungen, dass Sie nie eine Schwarz-weiß-Entscheidung haben, sondern dass Sie immer eine Grau-Entscheidung haben und dann aber darauf achten müssen, dass die Folgen kompensiert werden. Und ich finde da das Vorgehen von Trump nicht zu rechtfertigen, weil er das gesamte internationale System, auch die Verlässlichkeit so torpediert hat inzwischen, dass wir gar nicht genau wissen, wie wir auf längere Sicht überhaupt noch wieder Frieden in verschiedenen Punkten bekommen können. Das ist ja auf Verlässlichkeit aufgebaut und auf Verträge. Und das geht, finde ich, gar nicht.
    Gemeinsame Prinzipien für Fragen des Waffenhandels
    Zurheide: Kommen wir noch mal ganz kurz zu Europa, Sie haben es gerade mehrfach schon angesprochen. Die Franzosen eben und Macron hat sich da einigermaßen erstaunlich für deutsche Ohren geäußert und es wird sogar über Rüstungskooperation diskutiert und infrage gestellt von französischer Seite, weil die Deutschen offensichtlich gesagt haben, wir bauen gerne zusammen mit euch Flugzeuge in diesem Fall, aber wenn ihr die dann exportieren wollt, ohne uns zu fragen, machen wir nicht mehr mit. Und dann sagen die Franzosen, ja, dann machen wir die Flugzeuge nicht zusammen. Also überall stoßen wir da wieder an Grenzen, oder?
    Schwan: Ja, die Franzosen haben da durchaus auch eine Tradition, auch aus der weniger rühmlichen Kolonialzeit, ziemlich zynisch damit umzugehen, das muss man schon sagen. Das ist eine Politiktradition und das macht eine der Schwierigkeiten aus. Wir müssten dann schon bei dieser Koproduktion miteinander auch über die Prinzipien des Waffenhandels noch mal neu sprechen, das ist nun mal nicht anders. Man kann auch nicht einfach sagen, um Europas willen exportieren wir jetzt besinnungslos Waffen. Solche Entweder-oder-Sachen gehen nicht, sondern man muss da mit den Franzosen – das gilt ja überhaupt für die militärische Zusammenarbeit, finde ich – sowohl strategisch sich überlegen, wie weit man eigentlich eine rein militärische Friedens- und Sicherheitsstrategie betreibt, wie weit man eine Vorbeugungsstrategie betreibt. Und man muss für solche Fragen des Waffenhandels auch für sich noch mal gemeinsam Prinzipien aushandeln.
    Zurheide: Gesine Schwan war das von den Sozialdemokraten zur Frage Moral und/oder Geschäfte. Es ist keine einfache Antwort, wir bedanken uns für die Antworten, die Sie uns gegeben haben. Auf Wiederhören, Frau Schwan!
    Schwan: Auf Wiederhören, Herr Zurheide!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.