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Ruhrtriennale-Projekt "#nofear"
"Angst als Motor, den man positiv nutzen kann"

Caroline Wolter begleitet das Projekt "#nofear" auf der Ruhrtriennale, in dem Jugendliche sich kreativ mit ihren Ängsten auseinandersetzen. Die 18-jährige Sonja Vallot, die an "#nofear" beteiligt ist, sagte im Dlf: "Ich finde es wichtig, weil ich mich persönlich durch die Kunst äußern kann".

Caroline Wolter und Sonja Vallot im Corsogespräch mit Juliane Reil | 17.04.2018
    Ein Graffiti mit dem Wort "Angst" auf einer Backsteinwand eines Hauses
    Für die Aktion #nofear stellen sich 40 Jugendliche ihren Ängsten zum Thema Sexualität (dpa picture alliance/ Wolfram Steinberg)
    Juliane Reil: Im August beginnt die Ruhrtriennale. Dieses Jahr unter der neuen Intendanz von Stephanie Carp. Ebenfalls neu ist in diesem Jahr das Projekt "#nofear". Rund 40 Jugendliche aus dem Ruhrgebiet setzen sich mit ihren Ängsten auseinander. Ihre Erfahrungen fließen in ein kreatives Projekt ein. Dieses Jahr ist das Thema "Sexualität". Caroline Wolter begleitet die Jugendlichen, Sonja Vallot ist eine von ihnen. Vor der Sendung habe ich mit beiden gesprochen. Meine erste Frage an Carolin Wolter war: Was hat Angst mit Kunst zu tun?
    Caroline Wolter: Ich denke, Angst kann sehr, sehr viele Prozesse auslösen, erst mal bei einem selbst. Und ich finde, sobald man sich mit Ängsten konfrontiert und auch darüber spricht und auch darüber Kommunikation entsteht, kann auch ganz viel angestoßen werden. Und Ängste, die man persönlich mit sich rumträgt und nicht nach außen trägt, und die dann aber in einer Gruppe von gleichgesinnten Gleichaltrigen bespricht, kann daraus Kunst werden. Und ich finde, das ist fast schon eine Art von Motor, den man positiv nutzen kann.
    Ein Thema: "Die Angst vor dem eigenen Körper"
    Reil: Frau Vallot, Sie sind 18 Jahre alt – haben Sie das Thema mitbestimmt, "Sexualität"?
    Sonja Vallot: Ja, also ich würde auf jeden Fall sagen, dass ich das mitbestimmt habe. Weil ich denke, jeden aus meiner Generation interessiert das, jeder beschäftigt sich damit. Und man unterhält sich natürlich auch ganz viel da drüber, deswegen ist das für uns alle ein Riesenthema. Und es gibt ja auch so viele Facetten davon: Zum Beispiel Geschlechtsidentitäten. Und da gibt es vieles, was wir noch nicht wussten und was wir jetzt natürlich auch weitertragen wollen, damit so viele Leute wie möglich das auch wissen.
    Reil: Geschlechtsidentitäten – das ist ein Aspekt. Können Sie uns noch weitere nennen, mit denen Sie sich da auseinandersetzen?
    Vallot: Wir setzen uns auch auseinander mit den Unterschieden zwischen früher und heute – also zum Beispiel wie unsere Großeltern aufgeklärt wurden, wie die ihr erstes Mal hatten zum Beispiel. Oder auch wie eine Beziehung funktioniert, die erste Liebe – oder wir machen zum Beispiel auch was mit einer Dragqueen, Pansy heißt die. Das sind zum Beispiel Themen, mit denen wir uns auch beschäftigen.
    Reil: Und was ist da genau die Angst?
    Vallot: Die Angst davor ist natürlich erst mal, sich zu öffnen seinen Freunden und Eltern gegenüber. Oder auch zum Beispiel Homosexuelle, sich zu outen – das ist natürlich auch ein ganz großes Thema. Aber auch einfach die Angst vor dem eigenen Körper oder so was halt.
    "Es wird viel zu spät mit jungen Menschen darüber gesprochen"
    Reil: Aber nun gibt es eigentlich auch Angebote, über Sexualität zu sprechen. Warum finden Sie dieses Projekt wichtig, Frau Vallot?
    Vallot: Ich finde es wichtig, weil ich mich auch persönlich äußern kann durch die Kunstform. Und weil wir ja auch auf die Straße gehen und Bürger aus Essen-Katernberg, wo wir das Projekt noch machen, Bürger da interviewen zu ihren Erfahrungen und das dann natürlich auch verarbeiten können.
    Reil: Ist das eine Spur sozusagen, die Interviews, oder wie gehen Sie überhaupt ganz konkret an dieses Projekt ran?
    Vallot: Ja, die Interviews sind so eine Art Vorarbeit – und natürlich auch erst mal, dass wir uns selbst informieren, über unsere eigenen Erfahrungen reden. Wir machen ja zum Beispiel auch einen Podcast zum Thema "#nofear", und da reden wir auch über das Thema.
    Reil: Frau Wolter, wie unterstützen Sie da die Jugendlichen? Wie wird aus diesem Projekt dann schließlich Kunst?
    Wolter: Wir arbeiten mit einer Theaterpädagogin, Meriel Brütting, zusammen, die auch ein Theaterkollektiv hat. Und diesen ganzen Prozess letztendlich mitbegleiten und mitgestalten. Das heißt, der Prozess, erst mal in den Stadtteil zu gehen, dort mit den verschiedensten Menschen über das Thema zu reden, das auch auf unterschiedliche Weise aufzuzeichnen, zu dokumentieren. Und auch mit Gleichaltrigen, also einer Schule in Essen, der Parkschule, zusammenzuarbeiten und da zum Beispiel auch Workshops zum Thema Homophobie zu machen. Und diese ganzen Sachen werden am Ende auf die Bühne gebracht in Form einer performativen Dokumentation, wenn man es so nennen will, um da auch noch mal das Ganze zusammenzufassen und auch die Bewohner von Essen-Katernberg und auch aus dem Ruhrgebiet einzuladen, sich diesem Thema zu öffnen. Und vor allen Dingen auch, wie Jugendliche darüber denken. Also, ich finde vor allen Dingen, dass viel zu spät mit jungen Menschen darüber gesprochen wird, dass tatsächlich auch schon im Kindesalter diese Entwicklung anfängt und oft das eben abgetan wird, ob es die Schule ist, ob es die Eltern sind, ob es das Umfeld ist. Und da einfach tatsächlich auch eine Art von Sensibilisierung und auch Aufklärung anzustoßen.
    Die Jugendlichen sind seit 2012 Teil der Ruhrtriennale
    Reil: Frau Vallot, ist es nicht ein großer Sprung? Haben Sie da nicht Angst, mit so einem Thema Sexualität eben in die Öffentlichkeit zu gehen?
    Vallot: Also, generell natürlich erst mal eher weniger, weil wir wahrscheinlich auch sehr sensibel sind durch das Internet, weil wir uns da ja sehr viel austauschen, auch gerade in sozialen Medien. Natürlich ist es ein großer Sprung, wenn man sich persönlich öffnet auch dem Publikum gegenüber, weil wir reden ja auch über unsere eigenen Erfahrungen. Aber generell ist das eher ein kleinerer Schritt, denke ich.
    Reil: Das Publikum der Ruhrtriennale ist ja eher älter, Frau Wolter. Sind die Jugendlichen da tatsächlich Teil oder ist das so ein Versuch, letztendlich die Ruhrtriennale auch zu verjüngen?
    Wolter: Also, man muss dazu sagen, dass diese Gruppe von Jugendlichen schon seit 2012 präsent war bei der Ruhrtriennale. Man ist den Schritt gegangen, erst mit der Kinderjury zusammen mit dem Performancekollektiv Mammalian Diving Reflex, in die ersten Reihen zu setzen. Das heißt, es gab eine gewisse Sichtbarkeit von Kindern in diesem Publikum, was natürlich für Aufsehen gesorgt hat. Und dann ging man den weiteren Schritt, diese Jugendlichen auch noch mehr in die Institution hinein zu holen, also ihnen eine Stimme zu geben und das Programm mitzugestalten, auch innerhalb des Festivals sichtbar zu sein. Und jetzt gehen wir eben den Schritt, dass diese Haltung, die diese jungen Menschen durch die Kunst und diesen Umgang entwickelt haben, nach außen zu tragen. Also dann zu sagen: Wir als Kulturinstitution, wir als Projekt, wir öffnen uns, gehen in einen Stadtteil wie Essen-Katernberg und wollen da was bewegen. Und diese Haltung – nicht nur an Gleichaltrige, also natürlich vor allem -, aber auch an andere Altersgruppen und Interessengruppen weitergeben.
    Reil: Caroline Wolter und Sonja Vallot über die Junge Ruhrtriennale und das Projekt "#nofear". Danke Ihnen beiden für das Gespräch.
    Vallot: Danke.
    Wolter: Danke, dass wir hier sein durften.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Die Uraufführung von "#nofear" findet am 31. August im Rahmen der Ruhrtriennale auf der großen Bühne im Park Zollverein in Essen statt.