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Rumänien
Nach Regierungsrücktritt gehen die Proteste weiter

Nach dem Rücktritt des rumänischen Ministerpräsidenten Victor Ponta halten die Proteste an. Lange Zeit schienen die Bürger resigniert angesichts der allgegenwärtigen Korruption. Doch nach der Brandkatastrophe in einem Bukarester Nachtclub fordern die Demonstranten nun einen kompletten Austausch der politischen Klasse im Land.

Von Manfred Götzke | 05.11.2015
    Weg mit Ponta, weg mit Piedone. Das haben die Demonstranten Dienstagabend auf den Plätzen Bukarests und in ganz Rumänien skandiert. Premier und Bezirksbürgermeister, beide haben mittlerweile ihren Rücktritt erklärt. Die Demonstranten sind aber wiedergekommen. Und sie sind immer noch wütend. Wir lassen uns mit zwei Rücktritten nicht kaufen, skandieren sie:
    "Was passiert ist, reicht nicht, diese Rücktritte sind nur Fassade. Die komplette politische Klasse muss ersetzt werden. Wir müssen Leute wählen, wählen können, die uns repräsentieren. Die nicht nur in ihre eigenen Taschen wirtschaften."
    Die Brandkatastrophe im Club Colectiv war für viele hier ein Weckruf, ein Weckruf, dass es in Rumänien nicht mehr weiter gehen kann wie bisher. Lange Zeit schienen die Bürger Rumäniens resigniert, ob der allgegenwärtigen Korruption – in allen Parteien, vielen Behörden. Die Wahlbeteiligung im Keller, die Zivilgesellschaft untergetaucht. Das hat sich in nur wenigen Tagen völlig verändert.
    60.000 Demonstranten protestieren gegen die politische Klasse
    Rund 60.000 Menschen demonstrieren an diesem Abend in ganz Rumänien – allein in Bukarest 25.000. "Romania Traizeste te – Rumänien, wach auf", rufen sie auf dem Universitätsplatz immer wieder.
    "Wir protestieren gegen die Korruption, die sich in den letzten 25 Jahren in allen Parteien ausgebreitet hat. Und wir protestieren, weil 32 Unschuldige wegen dieser Korruption im Club Colectiv getötet wurden. Die gesamte politische Klasse muss weg und durch eine neue ersetzt werden", meint der Geschichtsstudent Alexandru Nica. Neben ihm steht Liviu Muntean. Gemeinsam mit seinen Kommilitonen. Alle haben die gleichen kleinen Banner dabei, laminierte DIN 4 Blätter, in rot, gelb, blau, den rumänischen Nationalfarben.
    "Hier steht: Neue Parteien, neuer Anfang - Ihr seid die Vergangenheit. Ich meine damit die aktuelle politische Klasse. Für mich gibt es keine Parteien mehr, sondern nur noch eine Ansammlung von Kriminellen, die sich die Hand reichen und alle Schlüsselpositionen besetzen. Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass sich Leute finden, die das Land führen können. Neue Leute. 26 Jahre nach der Revolution. Mich bewegt das hier alles sehr. Ich hoffe das geht weiter. Wir wollen eine Zukunft."
    Staatspräsident solidarisiert sich mit Demonstranten
    Am frühen Abend hatte sich Staatspräsident Klaus Johannis mit den Demonstranten solidarisiert. Ihnen in fast allen Punkten zugestimmt. Die Bürger Rumäniens hätten zu Recht deutlich gemacht, dass sie ein anderes Rumänien wollen:
    "Am Ende, spät, sehr spät hat die Regierung ihren Rücktritt erklärt. Es war nötig, dass Menschen sterben, damit das passiert. Dieser Rücktritt ist aber nur ein Schritt für einen Wandel der rumänischen Politik. In eine Politik, die wir uns alle wünschen: effizient, pragmatisch, transparent. Es ist noch viel zu tun. Die Politiker müssen sich daran gewöhnen, auf die zu hören, die sie gewählt haben. Die Bürger. Dann werden wir sehr viel schneller und besser unsere Probleme lösen."
    Wie es konkret weitergeht, will Johannis spätestens Ende der Woche nach Konsultationen mit allen Parteien bekannt geben. Im Raum stehen zwei Optionen, vorgezogene Neuwahlen – oder eine Übergangsregierung bis zur regulären Parlamentswahl im Herbst 2016.
    Junge Rumänen wollen in die Politik
    Für die Demonstranten hier auf dem Universitätsplatz steht so oder so fest: Politiker der etablierten Parteien dürfen diese Regierung nicht führen. "Acelasi Partide acelasi meserei" - jede Partei die gleiche Misere, rufen sie. Ein Student mit Dreitagebart und Brille skandiert besonders laut. "Guvern Technokrat" steht auf seinem Banner:
    "Wir wollen eine technokratische Regierung. Und Wahlen dürfen nicht stattfinden, bevor sich unabhängige Kandidaten, neue Parteien formiert haben. Wenn jetzt sofort Neuwahlen stattfinden, werden wieder dieselben Leute regieren. Wir brauchen junge, kluge Menschen, die Experten auf ihrem Gebiet sind – in der Landwirtschaft, in der Wissenschaft, in der Wirtschaft."
    Die meisten hier auf dem Bukarester Universitätsplatz sind jünger als 30. Hier demonstriert eine junge, gebildete Generation, die nicht nach dem Uni-Abschluss ihr Glück in England oder Deutschland sucht, sondern hier bleiben will – und für ein besseres, sauberes Rumänien kämpft:
    "Viele junge Leute sind bereit, sie sind motiviert, selbst in die Politik zu gehen – sie hatten bisher keine Chance. Wir werden jeden Abend wieder kommen, bis sie verstehen, dass wir nicht immer nur dieselben zwei, drei alten Parteien wählen wollen. Dass wir einen Neuanfang brauchen."