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Rumänien
Proteste wegen übervoller Gefängnisse

Immer wieder klagen rumänische Häftlinge vor dem Europäischen Gerichtshof wegen miserabler Haftbedingungen. Allein im vergangenen Jahr verurteilte das Gericht die rumänische Regierung zu Strafzahlungen von knapp einer halben Million Euro. Der Frust der Häftlinge gipfelte nun an vielen Orten in Aufständen - und auch der Gerichtshof könnte bald ein Ultimatum stellen.

Von Annett Müller | 20.07.2016
    Eingang der rumänischen Haftanstalt Colibasi. Auf dem Plakat neben dem Eingang steht übersetzt: Wir sind das Produkt der Umwelt, in der wir leben. Es wird damit für eine bessere Integration von entlassenen Häftlingen geworben.
    Eingang der rumänischen Haftanstalt Colibasi. Auf dem Plakat neben dem Eingang steht übersetzt: Wir sind das Produkt der Umwelt, in der wir leben. Es wird damit für eine bessere Integration von entlassenen Häftlingen geworben. (Deutschlandradio - Annett Müller)
    Tiberiu Tutu probt für den täglichen Gottesdienst in der Haftanstalt im südrumänischen Colibasi. Früher einmal war er Religionslehrer. Wegen Bankbetrugs verbüßt er derzeit eine siebenjährige Haftstrafe. Im Gotteshaus der Haftanstalt darf Tutu als Kirchendiener arbeiten:
    "Nur durch Arbeit kann die Zeit hier vergehen. Sie bringt einen auf andere Gedanken. Und wenn ich keine gute Taten leisten würde, wie soll die Gefängnisleitung sagen, dass ich mir eine frühzeitige Entlassung verdient habe?"
    Das Gefängnis in Colibasi mit seinen rund 650 Insassen platzt wie viele rumänische Haftanstalten aus allen Nähten. Statt zu 100 Prozent sind sie in der Regel zu 150 Prozent ausgelastet.
    Viele Gefangene haben damit nicht einmal die vier Quadratmeter Platz, die der Europarat als menschenwürdig vorschreibt. Hinzu kommt: Im Hochsommer ist es in den überfüllten Zellen unerträglich heiß. Nur die wenigen Gefangenen, die eine Arbeit haben wie Tiberiu Tutu, können tagsüber der Enge gekommen. Tutu sieht deshalb keinen Grund, zu klagen:
    "Ich habe niemanden im Gefängnis vor Schmerzen schreien gehört, weil er nicht genügend Platz hat. Mehr Platz gibt es nun mal nicht. Und solange man im Gefängnis ist, kann man schließlich kein Fünf-Sterne Hotel verlangen, es soll ja eine Bestrafung sein."
    Schmachvolle Bedingungen im Gefängnis
    Bestrafung ja, aber nicht unter schmachvollen Bedingungen, sagt der Europarat. Weil sich hier seit Jahren nichts ändert, haben vorige Woche Hunderte Häftlinge das Essen verweigert - nicht in Colibasi, aber in vielen anderen Haftanstalten.
    Öffentlich wurde die Revolte, weil Häftlinge auf Gefängnisdächer kletterten und Decken in Brand setzten. Bilder, die der Rumänischen Gefängnisverwaltung ANP nicht gefallen dürften, meint Maria Andreescu. Sie überprüft für die Menschenrechtsorganisation APADOR-CH regelmäßig die Gefängniszustände:
    "Was man im Fernsehen für gewöhnlich zeigt, sind saubere Zellen, weite Flure, frisch gestrichene Türen. Doch die Mehrheit der Zellen sieht ganz anders aus. Kürzlich sah ich eine Toilette, bei der es in der Zelle darüber einen Wasserrohrbruch gegeben hatte. Da tropften von oben die Fäkalien der anderen herunter. Das ist doch unmenschlich."
    In den vergangenen Jahren hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Rumänien so oft wie kein anderes Land in der EU wegen seiner miserablen Haftbedingungen verurteilt. Doch in diesem Jahr könnte Straßburg ein Grundsatzurteil fällen: Damit droht dem Land nicht nur eine Millionenstrafe, sondern ein Ultimatum, bis zu dem es seine chronisch schlechten Gefängnisbedingungen ändern muss.
    Justizministerin Raluca Pruna will das in dieser Woche mit einem eigenen Gesetzprojekt abwenden. Auch eine Amnestie schließt sie nicht aus. Damit könnten die überfüllten Gefängnisse schnellstens geleert werden. Das würde nicht nur den protestierenden Häftlingen gefallen, sondern besonders den ehemaligen Politikern, die wegen Korruption einsitzen. Doch Pruna will ihren Gesetzvorschlag zunächst öffentlich diskutieren lassen.
    "Ich will Ihnen als Ministerin versichern, dass ich keine Entscheidung unter Druck treffen werde. Wir brauchen Entscheidungen, aber keine übereiligen. Wir brauchen vielmehr gute Entscheidungen. Und wenn wir bislang mehr als 20 Jahre gewartet haben, dann können wir uns auch noch zwei Monate gedulden, um die rumänische Gesellschaft zu konsultieren."
    Austausch der Gefängnisverwaltung
    Pruna will in diesen Tagen die Führungsebene der nationalen Gefängnisverwaltung austauschen. Es soll ein frischer Wind in der Behörde wehen. Zusicherungen, die bei den Häftlingen ankommen, fast alle haben den Protest wiedereingestellt. Langfristig aber wird eine üppige Finanzspritze nötig sein, um die maroden Haftanstalten radikal zu verändern. Dass hier die Justizministerin eine öffentliche Diskussion anstrebt, sei zwingend nötig, meint Menschenrechtsexpertin Maria Andreescu:
    "Es herrscht bei uns die Denkweise: Lass'doch die Gefangenen in den Anstalten verfaulen, denn sie verdienen es so. Wenn man die Diskussion also nicht für die Bürger öffnet, sodass sie verstehen, dass dort unmenschliche und erniedrigende Bedingungen herrschen, dann hat man keine Chance, verstanden zu werden, um das Problem zu lösen."