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Rumänien und die EU
"Die Justiz ist nicht mehr unabhängig"

Wenn es um Rechtsstaatlichkeit geht, ist die EU bisher vor allem mit Polen und Ungarn hart ins Gericht gegangen. Inzwischen zeigt sie sich auch über den Umbau der Justiz in Rumänien beunruhigt. Doch ihre Möglichkeiten sind begrenzt.

Von Peter Kapern | 26.07.2018
    Menschen protestieren in der rumänischen Hauptstadt mit Fahnen in den Landesfarben und mit Slogans gegen die geplante Justizreform
    Seit Monaten wird in Rumänien gegen die Justizreformen protestiert. Auch die EU sieht die Unabhängigkeit der Justiz in Gefahr. (AFP)
    In Brüssel fallen die Reaktionen auf die jüngsten Entwicklungen in Rumänien eindeutig aus. Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber:
    "Ich bin entsetzt, weil eine der Voraussetzungen, dass Rumänien überhaupt Mitglied der Europäischen Union werden konnte, war ja, dass sie eine unabhängige, sprich: nicht der staatlichen Willkür unterliegenden Antikorruptionsbehörde aufbauen."
    Die Leiterin der Anti-Korruptionsbehörde wurde vor zwei Wochen gefeuert. Dieser Schachzug war der Höhepunkt eines seit langem laufenden Feldzugs der regierenden Sozialdemokraten von der PSD gegen den rumänischen Rechtsstaat. Die Strafprozessordung war geändert worden, das Korruptionsstrafrecht entschärft. Alles mit einen einzigen Ziel: Liviu Dragnea, Chef der PSD, und wegen erwiesener Korruption von Regierungsämtern ausgeschlossen, soll wieder an die Schalter der Macht zurückkehren dürfen. Das Vorgehen der PSD habe Rumänien zutiefst verändert, sagt die grüne Europaabgeordnete Rebecca Harms:
    "Insgesamt glaube ich, dass dieser Vorgang ein Beleg dafür ist, dass wir nicht mehr davon ausgehen können, dass die Justiz in Rumänien unabhängig ist."
    Kommission und Parlament sind in Sorge
    Auch die EU-Kommission ist alarmiert. Rumänien und Bulgarien waren unter anderem wegen der grassierenden Korruption erst 2007, also drei Jahre nach den anderen Osteuropäischen Ländern, der EU beigetreten. Beide Länder mussten zudem einem sogenannten CVM, einem Kooperations- und Kontrollverfahren zustimmen, das die Rechtsprechung beider Länder unter die besondere Aufsicht der EU stellte. Jahrelang fielen die Fortschrittsberichte, die im Rahmen dieser Aufsicht erstellt wurden, positiv aus. Jetzt hat EU-Justizkommissarin Věra Jourová aber Sorgenfalten auf der Stirn:
    "Es hatte eine Menge Fortschritte in Rumänien gegeben. Aber jetzt sehen wir plötzlich diese Rückschritte, die Sorgen und viele Fragen auslösen."
    Fragen allein werden die rumänischen Sozialdemokraten aber kaum zur Umkehr bewegen können. Markus Ferber fordert deshalb mit Blick auf den Kooperations- und Kontrollmechanismus ein hartes Einschreiten der EU-Kommission:
    "In diesem Mechanismus hat die Justizkommissarin sehr viele Durchgriffsrechte. Sie müsste sich nur trauen, davon auch Gebrauch zu machen."
    Welche Sanktionsmöglichkeiten hat die EU?
    Nun macht es sich für Europaabgeordnete immer gut, wenn sie die EU-Kommission auffordern, tätig zu werden. Tatsache ist jedoch: Das CVM ist ein stumpfes Schwert, weil es eben keine Sanktionsmechanismen vorsieht. Kommissarin Jourová kann also rügen, bemängeln, drängeln und insistieren: die rumänische Regierung auf einen anderen Weg zwingen kann sie aber nicht.
    Damit bleiben der EU nur noch zwei Instrumente: das förmliche Vertragsverletzungsverfahren, das am Ende zu einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs und satten Geldstrafen führen kann. Der Nachteil: Dieses Verfahren ist zwar unbeirrbar, aber extrem langwierig. Es würde Jahre dauern.
    Der zweite Weg ist das Artikel-7-Verfahren, wie es bereits gegen Polen läuft. Ex-Kommissionschef Barroso hatte dieses Verfahren einmal als "Atombombe der EU" bezeichnet, weil es am Ende zum Stimmrechtsentzug eines Mitgliedsstaats in allen EU-Gremien führen kann. Heute weiß man: Artikel 7 ist eine Atombombe ohne Zünder. Ein einziges Veto eines anderen Mitgliedstaats genügt, um es zu stoppen.
    Einziger Ausweg Verfassungsänderung?
    Wenn sich also die EU nicht dauerhaft als weitgehend wehrlos gegenüber Mitgliedstaaten erweisen will, die das Recht beugen und brechen, dann wird sich die Union, so Rebecca Harms, auf den mühsamsten aller Wege begeben müssen:
    "Für mich gehört das zu einem unbedingt erforderlichen Vergewisserungsprozess, der die EU überhaupt erst zukunftsfähig macht. Ich denke, dass das, was in der Verfassungsgebung für die EU gescheitert ist, dass das neu angegangen werden muss."
    Also: ein neuer Verfassungskonvent, der Vertragsänderungen beschließt, die anschließend ratifiziert werden. Vertragsänderungen, die der EU endlich wirksame Instrumente an die Hand geben für den Umgang mit rechtsbrechenden Mitgliedstaaten.