Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Rumäniendeutsche in Siebenbürgen
Nur die Kirchen sind noch da

Die allermeisten Deutschstämmigen haben 1990Rumänien verlassen - das abrupte Ende einer 850 Jahre alten Kultur. Fast, denn ein paar Ältere versuchen, das kulturelle Erbe der Siebenbürger Sachsen zu retten – unter dem Dach der Kirche.

Von Bettina von Clausewitz | 11.12.2018
    Eginald Schlattner geht auf einen Stock gestützt an einer alten Kirche entlang
    Von den Siebenbürger Sachsen sind nur die Kirchen geblieben - und "vier Greise", einer davon ist der Pfarrer und Schriftsteller Eginald Schlattner (Deutschlandradio / Bettina von Clausewitz)
    "Zwischen Ostern und Weihnachten haben die Siebenbürger-Sachsen sich grosso modo aus der Geschichte verabschiedet", sagt Eginald Schlattner. Er ist Pfarrer und Schriftsteller in Siebenbürgen. Die Ereignisse des Jahres 1990 nennt er eine "ethnische Selbst-Säuberung". Und erinnert sich daran in einer bildhaften Mischung aus Wehmut und Nüchternheit:
    "Zu Ostern waren sie noch alle da, mit Tanzen, Singen und Springen, es ist ja ein fröhliches Fest, und zu Weihnachten war es ärger als im Stall zu Bethlehem: Da waren nur noch ein paar dickschädelige Bauern da, die auf ihren Höfen sterben wollten und ihre murrenden Ehefrauen, die ja dann am liebsten auch mit ihren Kindern und Kindeskindern mitgezogen wären, heim ins Reich, wie die alte Generation sagte, oder nach Deutschland."
    Von den einst rund 300.000 Siebenbürger Sachsen in Rumänien gibt es heute noch etwa 13.000. Der 85-jährige Eginald Schlattner ist einer von ihnen und lebt nach wie vor in seinem geräumigen Pfarrhof auf einem Dorf nahe Hermannstadt. Mit Hühnern im Garten, einer Kutsche vor der Tür neben dem Auto und den alten Biedermeiermöbeln der Familie im Salon.
    "Nach mir wird es keinen Pfarrer mehr geben"
    "Wir sind nur noch vier Greise zu begraben. Einer bin ich. Und obwohl ich an der Krücke gehe, bin ich von diesen Vieren der Mobilste. Also die Kirchengemeinde Rothberg - die Kirche ist bitte 1225 schon erwähnt worden - die gibt es nicht mehr. Aber ich bin im 78er am 1. November hergekommen, geschlagene 40 Jahre hier, und bin infolgedessen auch der letzte Pfarrer von Rothberg, und zwar der 51. nach der Reformation. Nach mir wird es keinen mehr geben."
    Hühner, Enten und eine Kutsche vor einem Hauseingang
    Aus der Zeit gefallen - der Pfarrhof von Eginald Schlattner in Rothberg (Deutschlandradio / Bettina von Clausewitz)
    Ein Beispiel von vielen. In fast 300 Gemeinden sind die Kirchen bereits leer und die Gebäude verwaist, darunter auch einzigartige Kirchenburgen. Es ist das Ende einer noch immer stolzen deutschen Minderheit, die seit dem 12. Jahrhundert eine ganze Region geprägt hat, mehr als 800 Jahre lang.
    Unbestritten im Zentrum von Religion und Kultur steht bis heute die evangelische Kirche A.B. in Rumänien. A.B., weil sie sich auf das Augsburger Bekenntnis von 1530 beruft. 2003 entstand unter ihrem Dach mitten in Hermannstadt das Teutsch-Haus als neues kulturelles Zentrum, benannt nach einem früheren Bischof.
    "Es war als eine Rettungsaktion gedacht"
    "Hier im Teutsch-Haus, im Archiv des Teutsch-Hauses, befinden sich die Kirchenarchive sämtlicher evangelischer aufgelöster Kirchengemeinden aus Rumänien. Alles was Papier ist, und alle die nicht mehr aktiv sind. Es war als eine Rettungsaktion gedacht und ist nachher hier vollendet worden als Archiv", erzählt die Archivarin und Germanistin Monika Vlaicu.
    Vor ihr auf dem Schreibtisch liegen handgeschriebene Manuskripte aus einem Schriftstellernachlass, hinter ihr an den Wänden türmen sich Bücher, Kartons und weitere Skripte; in der Luft der staubige Geruch von altem Papier. Nach Jahrzehnten im rumänischen Staatsarchiv arbeitet die 73-Jährige jetzt als Oberarchivarin im Teutsch-Haus. Außerdem ist die Kirche für Monica Vlaicu eine natürliche Hüterin der rumäniendeutschen Kultur:
    Monika Vlaicu sitzt an einem Schreibtisch zwischen Dokumenten
    Monika Vlaicu (Deutschlandradio / Bettina von Clausewitz)
    "Die Kirche, die war nicht impliziert nur in der Aufstellung der Evidenzen der Geborenen, Getrauten oder Verstorben, sondern sie hat ja eigentlich das ganze kulturelle Leben patroniert: Die evangelische Schule, vom Dorf bis zur Stadt, war ja der Kirche unterstellt. In jedem Dorf gab es einen Gesangverein, Turnverein, Frauenverein. Also der Sachse von der Wiege bis zur Bahre war eigentlich involviert in einer Nachbarschaft oder in irgendeinem Verein. Und dieses ganze Leben einer Gemeinde findet sich in diesen Beständen wieder."
    "Museum einer untergegangenen Kultur"
    Die Glocken der evangelischen Stadtpfarrkirche in Hermannstadt - mit ihrem Mittagsgeläut übertönen sie sogar den Verkehr in der historischen Altstadt. Noch immer ist die Kirche das höchste und markanteste Gebäude hier. Aber längst ist dies eine rumänische Stadt mit Namen Sibiu.
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    "Nach mir wird es keinen Pfarrer mehr geben" - Eginald Schlattner, einer der letzten Siebenbürger Sachsen (Sabine Maya Schlattner)
    Die eigene Musealisierung betreiben – viele Angehörige sind froh mit dem Teutsch-Haus jetzt einen Ort für all die alten Dokumente zu haben: Briefe, Bücher und Fotos, sogar Tagebücher, Zeitschriften oder Urkunden – plötzlich haben die fast vergessenen Kisten und Koffer in Kellern oder auf Dachböden wieder einen Wert.
    "Wir sind noch immer da!"
    Trotzdem klingt der Begriff "Musealisierung" für Archivarin Monika Vlaicu zu bitter. Und auch der Pfarrer Eginald Schlattner winkt ab. Der siebenbürgischen Welt hat er mit seiner viel beachteten Romantrilogie "Versunkene Gesichter" ein Denkmal gesetzt. In seiner Kirche hat sich eine neue kleine Gottesdienstgemeinschaft gebildet, und regelmäßig pilgern Literaturbeflissene aus aller Welt nach Rothberg.
    "Für mich wächst jedes Buch durch den Leser, in dem, was er hineinlegt und herausliest", sagt Eginald Schlattner: "Das sind ja auch Dinge, wo aus der Situation des Museums – weil es die Träger dieser Kultur nicht mehr gibt - doch etwas hinauswächst in lebendige Räume, über die Rezeption von lebendigen Menschen. Schon dadurch, dass man die Bücher liest und in die Gegenwart holt, glaube ich, ist das Wort Musealisierung das adäquateste nicht. Es gibt uns zwar nicht mehr, uns Siebenbürger Sachsen, aber wir sind noch immer da! Wir sind noch immer vor Ort, fertig!"