Samstag, 20. April 2024

Archiv

Rumänische Kinder
Leichte Opfer für die internationale Pädophilenszene

Jung, arm und wenig gebildet: Vor allem osteuropäische Kinder sind für Pädophile ein leichtes Ziel. Auch ein bayerischer Filmemacher soll bis zu seiner Entdeckung 2008 die Notlage rumänischer Familien ausgenutzt haben. Die Opfer leiden bis heute und wünschen sich vor allem eines: das Recht auf digitales Vergessen.

Von Annett Müller und Arndt Ginzel | 20.02.2015
    Schattenspiel: Hände greifen nach einem Kind.
    Er versprach, ihnen Karate beizubringen, stattdessen filmte er sie in zweideutigen Posen: Ein pädophiler Filmemacher aus Deutschland hat die Arglosigkeit rumänischer Kinder ausgenutzt. (picture alliance / ZB)
    Florica Naghi wirbelt im Trainingsanzug durch die Küche, um einen Kaffee zu kochen. Gastfreundschaft auf Rumänisch - in einem kleinen Dorf, nahe der Stadt Satu Mare im Norden des Landes. In dieser Küche hatte sie vor sieben Jahren Besuch von einem Karatelehrer, der ihr erklärte, er wolle den Jungs im Ort in ihrer Freizeit Unterrichtgeben.
    Auf so eine Idee war bis dahin niemand gekommen. Dem Dorf fehlte und fehlt das Geld für einen Spiel- oder einen Fußballplatz. An einen Jugendklub war und ist nicht zu denken:
    "Mein Junge hat gebettelt und gesagt: 'Mama, lass mich Karate machen.' Und als Mutter sagt man natürlich: Klar geh hin. Ich habe meinen Sohn immer wieder gefragt: 'Was macht ihr eigentlich?'. Er sagte, wir üben und spielen. Ich hatte meinen Jungen vertraut. Er hat mich nie belogen."
    Ausgenutztes Vertrauen
    Dass der Karatelehrer aus Bayern stammte, verwunderte Naghi nicht. Im Kreis Satu Mare leben bis heute Rumäniendeutsche, die als ehrlich und arbeitsam gelten. Es gibt viele deutsche Firmen und deutschsprachigen Schulunterricht. Dass der angebliche Lehrer aus Deutschland die Kinder vor allem filmte, statt mit ihnen Karate zu trainieren, blieb Naghi lange verborgen.
    Auf einer Wiese im Dorf hatte der Deutsche einen Swimmingpool angelegt, ihn mit einer Plane gegen neugierige Blicke abgeschottet - und Videos mit den Kindern gedreht.
    Die Filme zeigen, wie die Jungen durchs Schwimmbecken toben. Die zwölf- bis 14-Jährigen wirken unbefangen, sie sind oft spärlich bekleidet, in einigen Videos sogar nackt. Die Kinder von damals sind heute Jugendliche.
    "Er war eine Art Freund für uns"
    Naghis Sohn schweigt über seine Vergangenheit. Nur wenige der Jungen wollen noch über die Ereignisse sprechen, so wie der 17-jährige Mircea.. Nur seinen richtigen Namen will er nicht nennen:
    "Der Lehrer hat uns Pizza und Hamburger gekauft, er lud uns zum Bowling ein. Er war eine Art Freund für uns, er hat sich Zeit für uns genommen. Über die Filme sagte er, er drehe sie, um eine Erinnerung an uns zu haben.
    Wir sollten unseren Eltern nichts sagen. Wir wussten nicht, dass er sie ins Internet stellt. Er hat damit sicherlich viel Geld verdient. Es war dreckiges Geld."
    Die sogenannten Posing-Videos verkaufte der Karatelehrer an die kanadische Onlineplattform Azov Films. Für die Betreiber in Toronto war es ein Millionen-Euro-Geschäft. Ihre Kunden kamen aus vielen Ländern der Welt. Sie bestellten vor allem Aufnahmen von Jungen aus Osteuropa, denn die wirkten so unbefangen, so als ob sie beim Filmen nichts geahnt hätten. Mircea kann erst jetzt begreifen, was vor Jahren mit ihm passiert ist.
    "Es ist eine Schande, was wir gemacht haben. Wir sind zum Gespött der Leute geworden. Der Lehrer hat uns missbraucht: mich und meine Freunde."
    Entdeckung durch Zufall
    Im Herbst 2008 flog alles auf. Ein Bauer hatte durch eine Öffnung im Sichtschutz geschaut und dabei gesehen, wie der Deutsche die Kinder nackt filmt. Sonderermittler zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in Rumänien übernahmen den Fall.
    Sie fanden schließlich heraus, dass der Deutsche systematisch in Schulen und Dörfer der Region nach Kindern gesucht hatte. Dass er fündig wurde, verwundert den Ermittler Dan Puscas nicht:
    "Wenn man sich die wirtschaftliche Lage in unserem Land anschaut, dann sieht man, dass die Eltern mit Geldverdienen beschäftigt sind. Die Kinder bleiben oft sich selbst überlassen, und viele Eltern wissen auch nicht, was ihre Kinder in der Freizeit treiben."
    Der Wunsch nach digitalen Vergessen
    Auch Florica Naghi ist größtenteils auf sich allein gestellt. Ihr Mann arbeitet in Frankreich, damit es der Familie zuhause finanziell gut geht. Als die Polizisten ihr von den Nacktaufnahmen mit ihrem Jungen erzählte, hätte sie sich am liebsten Augen und Ohren zugehalten. Seither hat sie vor allem einen Wunsch:
    "Gut wäre es, wenn man die Aufnahmen löschen würde, weil sie den Kindern schaden. Doch selbst wenn wir Opferfamilien uns wünschen, dass die Bilder verschwinden, werden sie dann wirklich gelöscht?"
    Ermittler bezweifeln, dass das gelingen kann. Auch wenn die Online-Plattform Azov längst zerschlagen ist, die Aufnahmen kursieren weiter im Netz. Mit jedem Click werden Naghis Sohn und dessen Freunde erneut zu Opfern.