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Rumänischer Selbsthass

Heinrich Böll war es, der Anfang der achtziger Jahre auf einen unbekannten Rumänen und dessen Erzählung "Der Pullover" aufmerksam machte. "Der Pullover" erschien daraufhin in der Literaturzeitschrift "Akzente". Sechs Bücher in deutscher Übersetzung folgten, und doch gilt der knapp 68-jährige Norman Manea hierzulande trotz engagierter Fürsprecher leider immer noch als Geheimtipp. Dabei hat er sich literarisch nuanciert und phantasievoll wie kaum ein anderer Schriftsteller mit der Geschichte seines Landes auseinandergesetzt, das er 1986 widerstrebend verließ. "Die Rückkehr des Hooligan", sein Rückblick aus dem anfangs unfreiwilligen Exil New York, gleicht einem Wechselbad aus Utopie und Fatalismus.

Von Katrin Hillgruber | 25.08.2004
    "Ein Buch der Wut und eine Chronik der gekränkten Seele" nannte der serbische Dichter Charles Simic dieses Selbstporträt, das jeden herkömmlichen Gattungsbegriff sprengt. Simic hatte sich mit Manea im Exil USA angefreundet und teilt ähnliche Erfahrungen der Selbstentfremdung mit ihm, auch die fortwährende Rückbesinnung auf Osteuropa. Ein Zwang, für den Manea das Symbol der Kralle findet. Es strukturiert seinen Gedankenstrom über die Kontinente und Jahrzehnte hinweg – von der New Yorker Bar "Barney Greengrass" bis zu jenem jüdischen Friedhof in der Bukowina, auf dem seine Mutter begraben liegt, von der er sich nicht mehr verabschieden konnte. Nun erscheint sie ihm bei seinen Spaziergängen in Manhattan – eine schmerzliche Erinnerung an Rumänien oder Jormania.

    Unter dem Stichwort "Jormania-Syndrom" greift Manea den rumänischen Selbsthass auf die süße Tour auf. Der Autor, wie seine Doppelgängerfiguren ein unbedingter Einzelgänger, erklärt die enge Zusammenarbeit von Gut und Böse zum Nationalcharakter. Dieser ist nicht zuletzt dem Erlebnis der wohl grausamsten Diktatur in Osteuropa geschuldet. Das Binnenklima unter Ceauºescu prägt als unaufhörlicher Alptraum Maneas meisterhafte Erzählungen wie "Der Trenchcoat" oder "Roboterbiographie".

    Hooligan, dieses Wort im Titel des neuen Buches, irritiert. Norman Manea verwendet den Begriff in Anlehnung an den Schriftsteller Mihail Sebastian. Der jüdische Freund Mircea Eliades führte während der Schreckensherrschaft der Schwarzen Garde Tagebuch. Der intellektuellen Elite der vierziger Jahre warf er "Rhinozerisierung" vor, wodurch er sich zum Außenseiter, zum Hooligan machte. Manea hat sich daran gewöhnt, den Begriff erklären zu müssen.

    Ich glaube, dass der Hooligan in diesem Buch, und der Hooligan, der spricht jetzt mit Ihnen, ist nicht ein Fußballfanatiker und er selbst ist nicht in einer Fußballmannschaft, sagen wir so. Die Bedeutung ist ganz verschieden in der rumänischen Literatur. Besonders in den dreißiger Jahren, die extrem rechte Bewegung "Die eiserne Garde", die war eine faschistische, aber auch eine religiöse Bewegung. Es war wie nicht der deutsche Nationalsozialismus oder der italienische Faschismus. Es war eine faschistische, nazistische Bewegung, aber christlich orthodox. Man kann das heute […] christlichen Fundamentalismus nennen. Damals hat Eliade einen Roman publiziert in Rumänien, der heißt "Die Hooligane". Er hat den Hooligan gesehen als einen Antibourgeois, Revolutionär und Kämpfer. Und die ganze Bewegung, aber auch er haben das sehr geschätzt, gelobt und dieser antibourgeoise Rebell ist verliebt in Tod und alle diese Dinge, die haben damals auch die rumänischen Nationaldichter wie Mihail Eminescu in solch einer Weise übernommen als der größte Hooligan. Das war die Bedeutung damals.

    Mihail Sebastian, für Manea eine Art Vorbild, antwortete auf Eliade mit dem Buch Wie ich Hooligan wurde. Manea:

    Er sieht sich selbst als ein Dissident auch zwischen Dissidenten, nie ein Militant oder ein Partisan, ein Mann, der glaubt nicht an eine kollektive Ideologie, aber glaubt an den einsamen Mann, und an ihn glaubt er sehr. Und das war, sagen wir so, die Differenz dieser zwei Bedeutungen, des Wortes Hooligan. […] Was auch mit mir geschehen ist auf eine Weise ist ähnlich, trotzdem auch verschieden. Sebastian ist ´44 oder ´45 gestorben. Ich habe danach unter dem Kommunismus gelebt. Ich war in einem KZ, da waren viele Ähnlichkeiten, auch viele Differenzen. Aber ich fühle mich ja näher zu seinem Denken, zu seiner Vorstellungen, zu seinem Schreiben auch.

    Norman Maneas artistische Autobiographie greift unter dem finster-byzantinischen Stichwort "Jormania-Syndrom" den rumänischen "Selbsthass auf die süße Tour" auf. Die enge Zusammenarbeit von Gut und Böse erklärt er zum Nationalcharakter. In seinem farb- und metaphernreichen, sich widerborstig gegen die Verhältnisse aufbäumenden Werk löst er diese Gegensätzlichkeit auch nie auf.

    Ich glaube, es ist ein begabtes Volk, besonders für Kunst, nicht für Politik, für Politik ist es furchtbar. Ich habe das immer verglichen mit Argentinien, wo auch Diktatur ist. Ist sehr interessant, die Politik ist grotesk. Und dasselbe ist auch in Rumänien. Das ist so ein hedonistisches Volk, glaube ich, und eine byzantinische Mentalität und auch Beziehung zu der täglichen Wirklichkeit. Also diese Mischung habe ich versucht, auf meine Weise zu beschreiben und zu begreifen. Ich glaube, es ist geeignet so, in meinem Fall bestimmt. Aber dieser Byzantinismus in das tägliche Leben ist, muss ich sagen, nicht sehr angenehm. Es ist interessant, sehr interessant. Ich habe auch gesagt, wenn ich habe Rumänien verlassen, es ist zu interessant. Ich kann das nicht mehr ausstehen, ich möchte in ein sehr langweiliges Land leben. Amerika ist leider nicht so langweilig, es ist auch ein bisschen zu interessant auf eine andere Weise, aber, ja, es ist interessant und manchmal unerträglich.

    Maneas Solitär ist vor allem das verlorene Schriftstück eines Patrioten, dessen Heimatland es ihm erdenklich schwergemacht hat. Ein blauer Notizblock wird zum Symbol seiner Rumänienreise voller innerer Widersprüche. Er tritt sie im Frühjahr 1997 an, elf Jahre, nachdem er das Land in Richtung Berlin und später New York verlassen hatte.

    Die sentimentalische bis gallenbittere, angstbesetzte Stippvisite bei den Landsleuten markiert die erzählerische Klammer des Buches: Philip Roth empfiehlt seinem Kollegen eingangs mit amerikanischem Pragmatismus, endlich nach Rumänien zu fahren, um sein "osteuropäisches Syndrom" zu heilen. Wenn das so einfach wäre: Norman Manea wurde 1936 in der Bukowina geboren, die er später zum Paradies verklärt. 1941 wurde seine jüdische Familie mit 200.000 Leidensgenossen unter der faschistischen Antonescu-Diktatur in ein Arbeitslager in der Ukraine deportiert. Die Hälfte der Verschleppten kam ums Leben, darunter Maneas Großeltern. "Gepanzert im Entsetzen" erlebt der Fünfjährige diese erste Eisenbahnfahrt. 1945 wird er repatriiert – doch das Trauma hat ihn innerlich zum Greis altern lassen.

    Im Sozialismus beteiligt sich der junge Pionier am sogenannten "Projekt des universellen Glücks". Als Oberschüler und während seiner Ausbildung zum Wasseringenieur wendet er sich nach und nach von den Lügen des Kollektivismus ab. 1958 fällt sein Vater durch vermeintliche Bestechung in Ungnade und wird verhaftet. 1981 schließlich beklagt Manea in einem Interview den schwelenden Nationalismus und Antisemitismus im Land – und wird prompt zum Staatsfeind. Doch erst am 16. Juni 1986 findet sein persönlicher "Bloomsday" statt: die Ausreise aus dem "sozialistischen Dublin" Bukarest.

    Dieser eminent politische Schriftsteller hat zwei Diktaturen am eigenen Leib erlebt. Sieht er die Gefahr, dass durch die Osterweiterung der Europäischen Union der Nationalsozialismus relativiert wird? Droht ein neuer Antisemitismus?

    Ich glaube, es gibt nicht eine deutliche Gefahr. Aber wie man sieht schon, Antisemitismus findet immer einen Grund oder einen anderen. Und leider ist es deutlich geworden in den letzten Jahren, dass Antisemitismus in Osteuropa, aber auch in Westeuropa ist wieder erschienen unter anderen Formen, nicht ganz genau, wie es war. Es kann so sein, ich möchte hoffen, dass man überlegt erst und bedenkt, wie man soll handeln. Das Wort "gleich" ist nicht das richtige Wort. Das ist ein schlimmes Wort. Es sind Ähnlichkeiten zwischen diesen zwei Totalitarismen, es sind viele. Aber es sind auch Differenzen. Nationalsozialismus war auf eine Weise ehrlicher. Die haben versprochen etwas und die haben das auch gemacht. Kommunismus, dieses humanistisch-utopische Projekt, hat versprochen ein Märchen und die Wirklichkeit war ganz anders. Und die Gegensätze zwischen Wirklichkeit und Utopie konnte man nicht debattieren. Und die ganze Gesellschaft war auf eine Weise korrumpiert und ist Schritt für Schritt degeneriert. Nationalsozialismus hat sich beendigt durch einen Krieg. Das ist nicht der Fall mit Kommunismus. Auschwitz ist doch etwas Besonderes. Man kann das nicht vergessen, nicht nur, weil es war ein Platz, wo man hat Leute verbrannt, aber auch, weil es war eine Konsequenz von hunderte Jahre, eines sehr dummen und immer verrückten Antisemitismus, europäischen Antisemitismus. Man spricht heute über Israel und man hat immer etwas zu kritisieren oder auch nicht. Aber man vergisst, Israel ist eine Konsequenz Europas, Israel ist entstanden durch Europa. Und es war eine Kontinuität dort und eine Konsequenz. Also, man kann das nicht vergessen.

    Wie in dem brillant-grotesken Roman
    Der schwarze Briefumschlag antwortet Manea in seinem kreis- und ellipsenförmigen Selbstporträt auf die Wirklichkeit der grausamsten Diktatur in Osteuropa mit höhnischem Gelächter, sarkastischen Sprachkaskaden und ungewohnten Bildern in der Tradition des Surrealismus. Die Phänomene des Mangels und der Unterdrückung verselbständigen sich dabei zu Handlungsträgern.

    Aber auch der goldgetünchte Westen begegnet dem Nomaden, der kein Renegat sein will, mit lauter Klischees. Einen Heimatersatz kann er nicht bieten. Manea schreibt: "Ich zog aus der Jackentasche einen Brief, den ich aus Rumänien bekommen hatte. Einen Brief, undatiert wie die Wunde, die andauernd schwärte." Wie ist sein Verhältnis zu Rumänien heute?

    Das Land hat sich entfernt und hat mich entfernt. Also die Distanz ist jetzt, glaube ich, größer. Und ich kann wahrscheinlich das besser handeln. Zurückzugehen, ich meine, dort zu leben, das wäre für mich wahrscheinlich ein neues Exil. Und das ist vielleicht ein bisschen zuviel für ein Leben. Exil vor dem Exil und Exil nach dem Exil und danach noch ein nachlebendes Exil, wenn wird das so nennen können. Nein, ich glaube nicht, dass ich kann zurückgehen, um dort zu leben. Vielleicht wird eine Zeit kommen, wenn ich möchte das Land besuchen. Ich wurde viele Male eingeladen, ich ging nicht, ich fühle mich noch nicht bereit. Mein Name ist dort noch sehr suspekt. Und vielleicht ist es auch gut. Thomas Mann hat immer gesagt, der Schriftsteller ist ein Suspekt, ein Verdächtiger. Und vielleicht ist das auch gut. Ich hab das nicht so geschafft durch eine Entscheidung. Mein Leben war so, man hat mich schlimm gelesen und verstanden. Aber das passiert. Ich weiß nicht, es ist schwierig, etwas zu sagen. Ich bin kein Prophet auch über mein Leben. Aber wir werden sehen, wenn man lebt, dann lebt man und sieht man ja.

    Politische Anklage und synästhetische Eigenwelt halten sich bei diesem Autor stets die Waage. Absurde Zustände erfahren eine Würdigung, die den rumänischen Aberwitz in Kunst verwandelt und historisch bewahrt. Norman Manea hat eine Phantastik der Desillusionierung zu seinem Stilmittel perfektioniert. Dieses radikale Element unterscheidet sein Buch von anderen ost- und mitteleuropäischen Erinnerungstraktaten und begründet seinen literarischen Anspruch.

    Der "Mystik des Sinnlosen" begegnet der selbsterklärte "Dumme August" im Tourneetheater der Geschichte mit dem traurigen Humor aller wahren Clowns. "Was ist die Einsamkeit des Dichters" zitiert er eine Frage an seinen Landsmann Paul Celan, der darauf antwortete: "Eine Zirkusnummer ohne Ansage".

    Der Künstler ist so ein Clown, ein Mann, der verliert, eine andere Figur, ein Original, man kann das so sagen. Sein Werk ist nicht unbedingt notwendig, glaube ich. Trotzdem ist es für einige Leute hoffentlich doch notwendig, aber es ist nicht dasselbe, als wie ein Zahnarzt oder ein Rechtsanwalt usw. oder auch ein Arbeiter. Das ist immer eine Arbeit, die ist schwierig zu definieren. Von diesem Standpunkt habe ich den Künstler gesehen als eine clowneske andere Figur. Aber auch in Beziehung zu der Macht, in Beziehung zu der Autorität, besonders in einem totalitären Staat, hat er sehr oft ein furchtbares Bild, kann man sagen, oder eine furchtbare Erscheinung. Und ich habe gesehen diese Beziehung zwischen dem Diktator und dem Künstler auf eine Weise als wie eine Zirkusbeziehung zwischen dem Weißen August. Das ist in der Geschichte des Zirkus sehr deutlich. Der Weiße August ist immer dieser Clown, dieser Bouffon. Er ist dunkel und stark und aggressiv und arrogant. Der andere, der Dumme August, ist so ein kindischer Verlierer. Er verliert immer, er weiß nicht, wie sich zu benehmen, er ist zwischen diese zwei Stühle. Und ja, meine Vorstellung war diese.

    Norman Manea
    Die Rückkehr des Hooligan. Ein Selbstporträt
    Carl Hanser Verlag, 414 S., EUR 24,90