Dienstag, 19. März 2024

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Ruprecht Polenz zur "Union der Mitte"
"Sie wollen, dass die Union auf Kurs bleibt"

Die Union als Volkspartei der Mitte zu erhalten, dieser Wunsch eint die Mitglieder der "Union der Mitte", sagte Initiator Ruprecht Polenz im Dlf. Man könne nicht die Rhetorik von völkisch-nationalistischen Parteien verwenden und den Menschen gleichzeitig erklären, warum sie diese nicht wählen sollten.

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 21.07.2018
    Ruprecht Polenz, CDU (ehemaliger Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages und von April bis November 2000 Generalsekretär der CDU, heute Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde) im Januar 2014 beim Neujahrsempfang der Stadt Münster.
    Ruprecht Polenz, CDU: Die Union der Mitte ist "ein lockerer Zusammenschluss, kein Verein, keine Satzung" (imago / Rüdiger Wölk)
    Jürgen Zurheide: Ich freu mich, dass jetzt Ruprecht Polenz, er war unter anderem mal Generalsekretär der CDU, bei uns am Telefon ist. Zunächst einmal schönen guten Morgen, Herr Polenz!
    Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Haben Sie das Rezept der Kanzlerin? Kennen Sie das?
    Polenz: Nein, ich glaube nicht, dass es da ein spezielles Rezept gibt, weder Yoga noch irgendwelche Getränke. Ich glaube, es ist eine innere Einstellung zur Aufgabe, die sie auf der einen Seite innerlich gelassen macht, weil sie sagt, dass, was ich tun kann, tue ich, und ich werde gebraucht, ich kriege die Sachen ganz gut hin, und ich glaube, mit dieser Einstellung kann man dann ziemlich viel bewältigen. Allerdings muss ich auch sagen, wer jemals gesehen hat, wie ein solcher Spitzenpolitiker rein physisch gefordert ist, der bewundert schon, dass sie das jetzt schon über zwölf Jahre macht.
    Geärgert über den Stil mancher, vor allem der CSU
    Zurheide: Jetzt tun wir das dann wirklich an die Seite, dieses Thema, und fragen uns inhaltlich, was passiert gerade in der Union. Wir reden mit Ihnen heute Morgen, weil Sie mit in einer Gruppe arbeiten, die nennt sich Union der Mitte. Was ist diese Union der Mitte?
    Polenz: Es ist, glaube ich, ein lockerer Zusammenschluss, kein Verein, keine Satzung, von Menschen, die sich, glaube ich, überwiegend über die sozialen Medien kennengelernt haben. Sie haben eine Gemeinsamkeit: Sie sind Mitglied der CSU oder der CDU, und sie haben sich in den vergangenen drei Jahren geärgert über den Stil, den manche in vor allem der CSU an den Tag gelegt haben, auch gegenüber der Bundeskanzlerin und vor allen Dingen eben auch in der Frage der Migrations- und Flüchtlingspolitik, und sie wollen, dass die Union auf Kurs bleibt, dass sie Maß und Mitte behält, gute, konservative Tugenden und deshalb der Name: Union der Mitte.
    Der AfD nicht rhetorisch, inhaltlich hinterherlaufen
    Zurheide: Das heißt, Sie sind in erster Linie eine Antwort auf diejenigen, die versuchen, das Koordinatensystem der Partei wieder nach rechts zu verschieben. Jetzt werden die natürlich sagen, na ja, Frau Merkel hat es in die Mitte oder nach links verschoben, oder ist diese ganze Gesäßphilosophie falsch?
    Polenz: Ja, also es ist richtig, wir haben eine Reihe von Gruppierungen, die sich konservativ nennt, teilweise, wie ich finde, sehr schrill argumentieren und sehr laut sind, auch ein beträchtliches Echo in den Medien gefunden haben, und ich glaube, auch dem will diese Union der Mitte etwas entgegensetzen, will zeigen, dass es in der CDU, in der CSU viele gibt, die ganz anders denken, die der Meinung sind, dass natürlich Deutschland nicht mehr tun muss, als es kann, aber das, was wir tun können, etwa in der Flüchtlingsfrage, dass wir das auch tun sollen.
    Also von daher ist es sicherlich auch eine Art Antwort, aber es ist vor allen Dingen auch der Wunsch, die CDU insgesamt als Volkspartei der Mitte zu erhalten. Das ist ein erfolgreicher Kurs, und er sollte nicht dadurch infrage gestellt werden, dass man jetzt wie das Kaninchen auf die Schlange, auf die AfD schaut, und ihr gar rhetorisch oder vielleicht sogar auch inhaltlich in dem ein oder anderen Punkt hinterherläuft.
    Wort vom "Asyltourismus" will Söder nicht mehr gebrauchen
    Zurheide: Um das dann ganz schnell abzuhandeln, obwohl wir es in den vergangenen Tagen mehrfach gemacht haben, das, was die CSU versucht hat, indem sie quasi die AfD rhetorisch, ich will nicht sagen übertrifft, aber mindestens einholt, was ja offensichtlich demoskopisch auch kaum verfängt - ich sage das mit aller Vorsicht -, das ist aus Ihrer Sicht der falsche Weg gewesen?
    Polenz: Ja, ganz sicher. Vor allen Dingen, weil Politik ja auch immer sehr viel mit Sprache zu tun hat, und ich kann nicht den Menschen erklären, warum es gefährlich ist, eine völkisch-nationalistische Partei zu wählen, wenn ich dann teilweise die gleichen Begriffe, die gleiche Rhetorik, die gleichen Argumente verwende, und deshalb spielt Sprache in der Politik schon eine große Rolle, und das Wort, was nun Herr Söder nicht mehr gebrauchen will, etwa Asyltourismus, das ist eben ein solcher Missgriff in der Sprache, bewusst, glaube ich, schon gewählt, und ich freue mich sehr, dass die CSU, dass Herr Söder jetzt sieht, dass das der falsche Weg ist, und ich bin gespannt, ob es jetzt tatsächlich gelingt, der CSU, das hervorzuheben, auf was sie auch stolz sein kann - die Erfolge in Bayern - oder ob sie sich weiter an Merkel und dem Asylthema aufarbeitet.
    Orbán, Kaczynski haben "abgefärbt" auf die CSU
    Zurheide: Jetzt will ich bewusst mal wegkommen von diesem Flüchtlingsthema. Das haben wir heute Morgen auch schon in einem anderen Beitrag hier diskutiert. Was macht es denn sonst noch aus? Das stehen andere Begriffe im Raum, die jetzt nicht ganz so populär sind, aber wenn ich höre, dass auch der Multilateralismus - das kommt ja auch aus Bayern -, dass man da Abstand von nehmen muss oder dass man wieder eine konservative Wende braucht, weg von den 68ern, dann sind das ja so andere Begrifflichkeiten. Ich benutze bewusst die jetzt hier. Ist das für Sie auch ein Irrweg, solche alten Schlachten noch mal zu schlagen, obwohl die Multilateralismus-Debatte ist ja eine neue?
    Polenz: Ja, also zu dem vielleicht zuerst: Ich glaube, gerade das, was wir jetzt aus Amerika hören, was wir schon immer von Putin zu hören bekommen haben, zeigt, wie wichtig Bündnisse sind, wie wichtig das Streben nach einer Weltrechtsordnung ist, wie wichtig multilaterales Handeln ist, was nach Situationen sucht, wo alle Beteiligten gewinnen können und nicht nach dem Motto verfährt, Nationalismus, Nationalstaat und der Stärkere setzt sich durch. Das ist schon ein sehr wichtiger Punkt, und hier ist es in der Tat auch so, dass die nationalistisch Denkenden nicht nur America first in den USA oder bei Russland sozusagen das alte imperiale Russland wieder in den Blick nehmen, sondern wir haben es eben leider auch in der Europäischen Union mit Viktor Orbán, wir haben es mit Kaczynski, und das hatte dann wohl auch etwas abgefärbt auf Äußerungen vonseiten der CSU, dass nun der Multilateralismus an ein Ende gekommen sei. Ich halte das für groben Unfug, und ich glaube, auch dieser Irrweg wird jetzt nicht weiter beschritten. Das ist jedenfalls meine Hoffnung. Der andere Punkt, den Sie angesprochen haben: Ich glaube, auch hier ist es richtig, an den Grundsätzen festzuhalten, mit denen Deutschland gut gefahren ist.
    "Die Folgen von `68 haben Deutschland gutgetan"
    Zurheide: Das heißt, es gibt keine oder es braucht aus Ihrer Sicht keine konservative Wende?
    Polenz: Also ich habe '68 angefangen zu studieren, und ich habe mich mit den Marxisten dieser damaligen Zeit intensiv rumgestritten, dass damals wirklich die Fetzen flogen. Auf der anderen Seite sehe ich auch, dass das, was '68 bewirkt hat, das wollten die zwar nicht, die wollten eine Revolution, die wollten was ganz anderes, aber was es gebracht hat, dass Deutschland nicht mehr so obrigkeitsstaatlich ist, dass es offener ist, dass es letztlich auch liberaler ist, dass es sich reformiert hat. Das würde ich doch jetzt nicht infrage stellen, nur weil ich auch damals gegen die Marxisten mich engagiert habe. Die Folgen von `68 haben Deutschland gutgetan, auch wenn sie bei Weitem nicht das waren, was die damaligen Protagonisten gerne gehabt hätten. Die wollten ein ganz anderes Deutschland. Die haben aber ein offeneres, liberaleres, toleranteres Deutschland mitbewirkt, und das, finde ich, ist ein Erfolg.
    Mit Frankreich Impulse zu einigeren EU entwickeln
    Zurheide: Jetzt kommen wir noch mal auf die Kanzlerin, schauen wir nach vorne: Was braucht es denn? Sie haben die Presseschau wahrscheinlich genauso gehört wie ich gerade. Wenn man dann hört, na ja, das Kreativzentrum lahmt, die Ruhe ist auf der einen Seite sicherlich eine Kraft, aber manche fragen natürlich auch, wo geht es positiv weiter nach Deutschland, dass wir uns nicht in Debatten über Flüchtlinge verkämpfen. Den Eindruck konnte man in der Vergangenheit ja haben. Was muss nach vorne passieren? Was raten Sie der Kanzlerin oder was rufen Sie Ihr heute Morgen zu?
    Polenz: Ich glaube, dass… Ich bin nun Außenpolitiker gewesen, und das Wichtigste ist, glaube ich, jetzt schon, in dieser sich immer mehr verfahrenden außenpolitischen Situation, das zu tun, was möglich ist, nämlich eine engere Zusammenarbeit mit Frankreich wirksam auf den Weg zu bringen und aus dieser engen Zusammenarbeit mit Frankreich wieder Impulse zu einer einigeren Europäischen Union zu entwickeln. Darauf sind wir nun mehr angewiesen als je zuvor, denn ob sich Amerika auch nach Trump noch einmal wieder so als europäische Macht verstehen wird, wie es das bis Obama getan hat, nach dem Zweiten Weltkrieg, das ist eine offene Frage. Wir sehen, dass die Pole dieser neuen multipolaren Welt jedenfalls alle so groß und stark sind - China, Indien, USA, Russland -, dass ein einzelnes europäisches Land, auch wenn es so groß ist wie Deutschland, gegen seine Interessen kaum wirksam wahrnehmen kann. Das können wir allerdings als Europäer gemeinsam. Mit etwa 450, wenn die Briten weg sind, 450 Millionen Europäern in der Europäischen Union haben wir schon ein Gewicht, aber da muss man es auch wieder zusammenführen, muss die zentrifugalen Kräfte zurückführen und darauf hoffen, dass vor allen Dingen in Mittel- und Osteuropa der Wert einer engeren Union, eine europäische Zusammenarbeit über das Wirtschaftliche hinaus erkannt wird.
    Europa braucht so etwas wie einen großen Wurf
    Zurheide: Hat das möglicherweise zu lange gedauert - wir haben jetzt gar nicht mehr viel Zeit, aber da bitte ich um eine kurze Antwort -, dass die Antwort auf Macron zu lange gedauert hat? Sind wir uns da einig?
    Polenz: Ja, da sind wir uns einig. Die Ursachen kennen wir. Jamaika ist gescheitert wegen der FDP, die Koalitionsverhandlung hat gedauert, und wir waren sicherlich auch und sind nach wie vor etwas zu vorsichtig. Ich glaube schon, dass Europa jetzt so etwas braucht wie einen großen Wurf, jedenfalls als Idee.
    Zurheide: Ruprecht Polenz war das, früher mal CDU-Generalsekretär, Außenpolitiker, heute Morgen im Deutschlandfunk zur Union der Mitte. Herr Polenz, herzlichen Dank für das Gespräch!
    Polenz: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.