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Rushdies "Mitternachtskinder" finden auf die Leinwand

Der Roman "Mitternachtskinder" gilt als wichtigstes Werk des indisch-britischen Schriftstellers Salman Rushdie. Die in Kanada lebende indische Regisseurin Deepa Mehta hat das Buch verfilmt, doch ohne dessen Magie zu erreichen. Außerdem neu: das sehenswerte dänische Drama "Die Jagd" von Thomas Vinterberg und die überflüssige Komödie "Voll abgezockt".

Von Jörg Albrecht | 27.03.2013
    "Die Jagd" von Thomas Vinterberg


    "Hier ist doch irgendwas faul. ... Auf den Boden mit ihm! ... Ihr seid so viele. Jetzt habe ich Angst."

    Lucas, der von Mads Mikkelsen gespielt wird, mag Kinder. Und die Kinder mögen Lucas. Eigentlich ist der geschiedene Mittvierziger gelernter Lehrer. Doch nachdem die Schule, an der er gearbeitet hat, geschlossen wurde, hat er einen Job im Kindergarten gefunden. Vor allem Klara, die kleine Tochter seines besten Freundes, sucht immer wieder Lucas' Nähe.

    "Klara, komm mal zu mir! Dieses Geschenk hier habe ich gefunden in meiner Jacke. ... Das ist nicht von mir. - Aber da steht Klara auf dem Umschlag. - Irgendwer will dich vielleicht reinlegen. ... Außerdem sollst du nur deinen Papa und deine Mama auf den Mund küssen. - Es ist nicht von mir. Du lügst doch. ..."

    Gekränkt von der Zurückweisung, erzählt Klara der Leiterin des Kindergartens, dass sie Lucas hasse. Außerdem habe er ihr sein erigiertes Glied gezeigt. Von Beginn an lässt der Film weder Zweifel an Lucas' Integrität noch daran, dass Klaras Behauptungen ihrer Fantasie entsprungen sind. Für die Kolleginnen im Kindergarten aber wie auch für Klaras Eltern und die der anderen Kinder gilt das Prinzip der Unschuldsvermutung nicht. Sie alle glauben dem Sprichwort "Kindermund tut Wahrheit kund", obwohl Lucas' Chefin betont:

    "Aber keine Sorge! Ich will keine voreiligen Schlüsse ziehen. Wir klären das schon auf."

    Längst vorverurteilt, wird Lucas zur Persona non grata. Eine regelrechte Hatz beginnt. Freunde wenden sich von ihm ab und Hausverbote werden erteilt. Er wird zusammengeschlagen. Es fliegen Steine in sein Fenster.

    "Hallo! Hallo!"

    Die Hexenjagd, die Unschuld als Option per se ausschließt, findet auch kein Ende, als die Polizei die Ermittlungen aus Mangel an Beweisen einstellt. Der dänische Regisseur Thomas Vinterberg zeigt subtil und differenziert die ganze Ambivalenz, die das Thema Missbrauch und Beweisführung mit sich bringt. Und er zeigt auch die Eigendynamik, die solche Fälle meist entwickeln. "Die Jagd" ist ein über weite Strecken eindrucksvoller Film, in dem Mads Mikkelsen als zu Unrecht Beschuldigter glänzt.

    Empfehlenswert!


    "Voll abgezockt" von Seth Gordon
    "Ding-dong! - Scheiße! - Packen Sie das weg! Wir sollten uns mal ein bisschen unterhalten. Wir können es auf die harte Tour machen oder auf die sanfte Tour. - Die Sanfte wäre mir lieber. - Ich habe da einen Plan. ..."

    Sie zeigen ganzen Körpereinsatz - die beiden Hauptdarsteller aus der Komödie "Voll abgezockt". Aber sind Handkantenschläge auf Adamsäpfel und Attacken mit einer Bratpfanne auch komisch? Regisseur Seth Gordon findet das offensichtlich und hetzt Melissa McCarthy als Betrügerin und Jason Bateman als Betrogenen durch ein lahmes Road Movie, dessen dämliches Handlungskonstrukt die eigentliche Lachnummer ist. Den Humor aus einem ungleichen Duo zu generieren, das auf seiner Reise mit diversen Widrigkeiten konfrontiert wird, ist schon in jüngerer Vergangenheit bei Filmen wie "Stichtag" oder "Der Kautions-Cop" gründlich daneben gegangen.

    Und so ist "Voll abgezockt" voll enttäuschend!

    "Mitternachtskinder" von Deepa Mehta
    "Komm zu mir! Armes Baby. - Ach, Mary, so viele Babys. ..."

    Zwei von ihnen erblicken das Licht der Welt Punkt Mitternacht am 15. August 1947 in einem Krankenhaus im indischen Bombay, dem heutigen Mumbai. Die Krankenschwester Mary spielt Schicksal.

    "Zwei Babys in ihren Armen. Zwei Leben in ihrer Macht. ... Ihre eigene private revolutionäre Tat. ... Und dann war es vollbracht. ..."

    Im Original gehört diese Erzählerstimme Salman Rushdie. Der Schriftsteller hat selbst das Drehbuch für die Verfilmung seines Romans "Mitternachtskinder" verfasst. Keine gute Idee, denn verständlicherweise hängt ein Autor an jedem Satz seiner fünf Jahrzehnte umspannenden Handlung. Das epische und verschlungene Werk um den Jungen Saleem, der durch das Vertauschen statt in Armut in einer reichen Familie aufwächst, haben Rushdie und Regisseurin Deepa Mehta geordnet und gegliedert. Dabei haben sie die Stärken des Romans beinahe geopfert. Denn "Mitternachtskinder" verknüpft die Geschichte eines Landes der gewaltigen sozialen Unterschiede und des Wandels mit märchenhaften, fantastischen Begebenheiten. Diesen magischen Realismus aber erweckt der Film nur noch in einigen wenigen Szenen - zum Beispiel wenn Saleem auf die anderen Kinder trifft, die in der Nacht der indischen Unabhängigkeit geboren worden sind. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie besondere Dinge können.

    " ... Und weißt du auch, welche Fähigkeiten sie alle haben? In Orissa gibt es eine, in die sich jeder, der sie sieht, sofort verliebt Und du - der Junge aus Goa - du kannst Fische vermehren. Und du kannst in Spiegel eintreten und überall wieder aus ihnen herauskommen. Also, wir haben alle diese Gaben. Aber warum ist das so? ..."

    Da nützen auch farbenprächtige Bilder, die dem kitschigen Bollywoodkino alle Ehre machen, nicht viel. Die Magie der Vorlage lässt "Mitternachtskinder" von Deepa Mehta weitgehend vermissen.

    Zwiespältig!