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Russisch-orthodoxe Gemeinde Istanbuls verliert ihre Dachkirche

Die Hagia Elia ist das wichtigste Gotteshaus der russisch-orthodoxen Christen in Istanbul. Doch das angrenzende Areal am Hafen von Karaköy ist an einen Investor verkauft worden. Künftig soll ein Anleger für Kreuzfahrtschiffe entstehen, ein Einkaufszentrum und Luxushotels. Und die Hagia Elia muss weichen.

Von Gunnar Köhne | 11.11.2013
    Da die russischen Pilgerfahrer auf dem Weg nach Jerusalem gern in Istanbul Station machten, errichteten sie sich dort auf den Dächern ihrer Gästehäuser kleine Kirchen, die nach der Revolution auch zum Treffpunkt der Exilrussen wurden. Jetzt sind diese außergewöhnlichen Kirchengebäude vom Abriss bedroht.

    Wer zur Kirche Hagia Elia im Istanbuler Stadtteil Karaköy gelangen will, muss Kondition mitbringen. Denn es geht neun Stockwerke nach oben, bevor man plötzlich auf dem Dach des ehemaligen Handelshauses steht – und gleichzeitig mitten in der kleinen Kirche. Vor der Ikonostase fällt fahles Herbstlicht durch die Kuppel. Die Fresken an den Wänden sind verwittert, die schiefen Fenster geben den Blick auf Istanbuls historische Halbinsel frei, mit Topkapi Palast und Hagia Sophia.

    41 Jahre lang stand die Kirche verlassen, erst seit dem Sommer finden hier wieder Gottesdienste statt. An diesem Sonntag haben sich rund 80 Menschen versammelt, russische und ukrainische Touristen zumeist und Mitarbeiter des nahen russischen Konsulats. Der griechisch-orthodoxe Diakon Vissarion hält den Gottesdient. Er erklärt, warum die Hagia Elia auf einem Dach steht:

    ""Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kamen viele Russen auf ihrer Pilgerfahrt nach Jerusalem durch Istanbul. Dieses Gebäude diente ihnen damals als ein Gästehaus. Und weil sie keinen Ort für ihr Gebet hatten, bauten sie auf das Gebäude diese kleine Kirche. Nach der Revolution diente die Kirche als Treffpunkt für Flüchtlinge aus Russland."

    In den 1970er-Jahren zählte die russisch-orthodoxe Gemeinde in Istanbul kaum noch Mitglieder, die Kirche verfiel. Doch heute lockt die boomende Metropole wieder Russen, Georgier, Ukrainer und Weißrussen über das Schwarze Meer an den Bosporus. So wie die Stadt schon in den 20er Jahren Ziel russischer Künstler und Emigranten war. Auch Trotzki hatte in Istanbul ein paar Jahre seines Exils verbracht. Doch nun drohen die Russen ihre Kirche zu verlieren. Das Areal rund um den Hafen von Karaköy ist an einen Investor verkauft worden. Dort soll ein Anleger für Kreuzfahrtschiffe entstehen samt Einkaufszentrum und Luxushotels. Dem Projekt soll auch die Hagia Elia zum Opfer fallen. Soll – denn die genauen Pläne werden geheim gehalten. Ivan Denizenkos Eltern flohen einst aus Weißrussland vor den Kommunisten nach Istanbul. Heute leitet er eine kleine russisch-orthodoxe Stiftung, die für die Hagia Elia und eine zweite Dachkirche in der Nachbarschaft kämpfen will:

    "Wenn Sie dieses Gebäude niederreißen und hier ein Hotel errichten, können Sie leicht fünf oder zehn Millionen Dollar verdienen. Das Gebäude ist auf den ersten Blick bloß ein altes Handelshaus, und das dürfte man abreißen. Aber mit der Wiedereröffnung der Kirche haben wir unterstrichen, dass es sich um ein historisches Gebäude handelt. Und solche darf man nach türkischem Gesetz nicht abreißen."

    Die Gemeinde hat die Unterstützung der orthodoxen Weltkirche und auch die russische Botschaft in Ankara will sich für den Erhalt der kleinen Dachkirchen einsetzen. Doch Ministerpräsident Erdogan will den Umbau Istanbuls ohne Rücksichten vorantreiben – das hat er im Sommer schon beim landesweiten Streit um den Gezi-Park gezeigt. Und für den türkischen Investor geht es um viel Geld – er hat über eine halbe Milliarde Euro für das Areal bezahlt. Die Gottesdienstbesucher sind empört:

    "Es ist schrecklich. Sie zerstören so viel in der Stadt. Das ist nicht mehr dieselbe Stadt wie vor zehn Jahren. Sie haben keinen Respekt. Leider muss ich das so sagen."

    "Mein Vater war Russe, meine Mutter Armenierin. Ich bin heute hier, weil diese Kirche so wichtig für uns alle ist. Es ist die Kirche der russischen Aristokratie, die nach der Revolution hierher geflüchtet war."

    Die russischen Dachkirchen existieren für die türkischen Behörden offiziell nicht. Denn sie sind nie in ein Grundbuch eingetragen worden. Darum sind die Chancen auf ihre Rettung nicht sehr groß. Der Geistliche Vissarion setzt auf die Kraft des Gottesdienstes:

    "Die Gottesdienstbesucher sind zum Teil die Nachfahren derjenigen, die in den 20er-Jahren als Emigranten diese Kirche mit aufgetragen haben. Das ist sehr berührend zu sehen und gibt Kraft. Noch berührender ist es aber, dass hier in dieser Kirche überhaupt wieder Gottesdienste erklingen."

    Fragt sich nur, wie lange noch. Etliche Mieter und Ladenbesitzer in der Nachbarschaft der Hagia Elia haben bereits eine Kündigung erhalten.