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Russische Arktis
WWF: Rentier-Sterblichkeit nimmt deutlich zu

Der Klimawandel sorgt dafür, dass sich das arktische Ökosystem sehr stark verändert, sagte Eva Klebelsberg vom WWF im Dlf. Neben dem Eisbär litten vor allem Rentiere unter Nahrungsmangel. Einer der Gründe: die Verschiebung der Jahreszeiten. Doch auch die Permafrost-Schmelze setze den Tieren zu.

Eva Klebelsberg im Gespräch mit Britta Fecke | 19.12.2018
    Rentiere liegen in der Tundra.
    Das frühe Einsetzen des Frühlings führe dazu, dass Rentiere im Juni nicht mehr genügend Nahrung für ihre Jungtiere fänden, sagte Eva Klebelsberg vom WWF im Dlf (imago / blickwinkel)
    Britta Fecke: Die Rentiere gehören zu Weihnachten wie das Eis zur Arktis. Und da das Eis der Arktis schmilzt, ist es auch um die Rentier-Bestände schlecht bestellt. In der russischen Arktis gibt es noch eine der letzten wild lebenden Rentier-Populationen. Doch die Folgen des Klimawandels setzen den großen Tieren zu: Sie haben sich an das raue Klima durchaus angepasst, aber das Eis wird immer öfter zu reißenden Flüssen.
    Heute Vormittag, passend zur Vorweihnachtszeit, stellt die Naturschutz-Organisation WWF ihren Rentier-Report vor. Ich bin jetzt verbunden mit Eva Klebelsberg. Sie ist Referentin für die russische Arktis beim WWF Deutschland. Frau Klebelsberg, wie verändert sich denn dieses arktische Ökosystem im Zuge des Klimawandels?
    Eva Klebelsberg: Guten Morgen!
    Fecke: Guten Morgen.
    Klebelsberg: Das arktische Ökosystem verändert sich sehr, sehr stark auf ganz vielen verschiedenen Ebenen. Wenn wir uns jetzt die arktische Tundra anschauen, taut der Permafrost dort recht schnell. Das führt zum einen dazu, dass manche Gegenden feuchter werden, andere werden trockener. Dadurch verändern sich Pflanzengemeinschaften, aber auch Tiergemeinschaften.
    An der Küste können wir beobachten, dass sich die Küstenlinie in einigen Gegenden recht schnell und stark zurückzieht. Das hängt auch mit dem Schmelzen des Permafrostes zusammen. Der Boden bricht einfach ab und die Küste geht zurück. Dasselbe findet an Flüssen beispielsweise statt, wo die Ufer sehr viel stärker abgetragen werden und so auch mehr Sedimente in die Flüsse eingetragen werden, was wiederum Auswirkungen auf die Fischgemeinschaften hat, die sich verändern. Zum anderen kann man beobachten, dass sich auch schon die Baumgrenze nach Norden verschiebt. Es wurden jetzt beispielsweise Lerchen gefunden in einer sonst komplett baumlosen Tundra.
    Die phänologischen Abläufe verschieben sich
    Fecke: Das klingt ja fast ein bisschen positiv. Welche Lebensräume sind denn von den Veränderungen besonders bedroht?
    Klebelsberg: Besonders bedroht ist die arktische Tundra und natürlich alles, was auf dem Meer sich abspielt. Das Meereis zieht sich stark zurück, was zum einen, wie wir wahrscheinlich auch schon fast alle gehört haben, sehr starke Auswirkungen auf den Eisbären hat, der dort nicht mehr ausreichend Futter findet beziehungsweise immer öfter auch an Land gehen muss, aber auch auf diese kleinen, ganz komplexen Ökosysteme und Artengemeinschaften, die sich unterhalb vom Meereis befinden.
    Dann, um jetzt noch mal auf die arktische Tundra zurückzukommen, verschieben sich die phänologischen Abläufe. Der Frühling setzt inzwischen tatsächlich um viele Tage früher ein. Dadurch schlagen die Pflanzen früher aus. Die Schlupfzeiten der Insekten verlegen sich nach vorne, was wiederum auch das Nahrungsangebot in der Tundra für die Arten, die auf die Pflanzen und die Insekten angewiesen sind, sehr, sehr stark verändert. Das Ganze ist einfach nicht mehr so nährstoffreich, wenn die Arten, die in den Norden wandern, im Sommer dann dort ankommen und das Ganze aber schon sehr, sehr viel weiter dort ist.
    Große Mortalität unter Rentier-Kälbern
    Fecke: Das klingt so, als wenn vielleicht die Rentier-Populationen früher Futter zur Verfügung haben. Warum sind die Populationen denn da oben bedroht?
    Klebelsberg: Die Populationen sind insofern durch den Klimawandel bedroht, dass zum einen, das was ich jetzt gerade genannt habe, das Nahrungsangebot sich verändert. Das heißt, wenn wir uns vorstellen: Die Rentiere bekommen ihre Kälber eigentlich immer zur selben Zeit im Jahr, im Juni, und sind dann auch auf eine reichhaltige Nahrung angewiesen. Wenn die Vegetation aber schon sehr viel weiter ist und die Pflanzen nicht mehr so nahrungsreich wie sonst, leiden die dann auch unter diesem fehlenden Futterangebot.
    Was die Rentiere angeht, sind wir des Weiteren auf ein sehr, sehr großes und auch schockierendes Problem gestoßen. Dieses Jahr haben unsere Mitarbeiter und die Ranger vor Ort beobachtet, dass die Flüsse bereits getaut waren, als die Rentier-Kälber zur Welt kamen. Normalerweise wandern die Herden mit den neugeborenen Kälbern erst mal über Eis und überqueren die Flüsse über das Eis. Dieses Jahr – und so war es sehr, sehr wahrscheinlich auch mindestens in den letzten fünf Jahren – mussten die Rentier-Herden mit den ganz neugeborenen Kälbern die kilometerbreiten Flüsse durchschwimmen, was zu einer sehr großen Mortalität unter den Kälbern geführt hat.
    Fecke: Vielen Dank für diese Einschätzungen. Eva Klebelsberg war das, Referentin für die russische Arktis beim WWF, warum die Rentier-Populationen zurückgehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.