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Russische Militärübung
"Das ist ein Muskelspiel"

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat sich besorgt über die russische Militärübung an den Grenzen zur Ukraine gezeigt. Russland habe "noch keine ausgefeilte Strategie hat, wie es sich verhalten soll", sagte von der Leyen im Deutschlandfunk. Für die NATO-Verteidigungsminister sei klar, dass man die besonnenen Kräfte in der Ukraine stützen müsse.

Ursula von der Leyen im Gespräch mit Thielko Grieß | 27.02.2014
    Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen mit deutschen Soldaten
    Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen mit deutschen Soldaten (dpa / picture alliance / Peter Steffen)
    Thielko Grieß: Ich begrüße jetzt am Telefon die Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Guten Morgen nach Brüssel!
    Ursula von der Leyen: Guten Morgen, Herr Grieß!
    Grieß: Russland, das hat die Nachrichten auch gestern ein wenig bestimmt, hat entlang seiner Westgrenzen, unter anderem auch an der Grenze zur Ukraine, zu einer großflächigen Militärübung angesetzt. Das soll machtvoll aussehen und wahrscheinlich auch machtvoll klingen. Wie kommt das bei Ihnen an?
    Von der Leyen: Ja, wir sehen das mit Sorge und mit Aufmerksamkeit. Vielleicht sollte ich vorweg setzen, dass diese Übung kurzfristig angemeldet war, das gehört zu den Regeln mit dazu. Nichtsdestotrotz, Sie haben völlig richtig eben skizziert: Das ist auch ein Muskelspiel, das dort gezeigt wird. Es zeigt sich aber auch, dass Russland noch keine ausgefeilte Strategie hat, wie es sich verhalten soll. Es ist zweifelsohne auch von der Geschwindigkeit der Ereignisse überrascht worden. Für uns, die Verteidigungsminister, war klar, dass wir die Besonnenen im Land, in der Ukraine, vor allem stützen müssen. Die Ukraine ist ja kein NATO-Mitglied, aber es gibt seit mehreren Jahren, seit 2008 einen NATO-Ukraine-Rat, in dem ein Gesprächsfaden aufgebaut worden ist und in dem lange Jahre auch gerade auf die Streitkräfte in der Ukraine Einfluss geübt worden ist, indem ganz klar ist, welches die Werte sind, die man verteidigen muss, nämlich, dass das Militär sich nicht einmischt in die Politik, dass Stabilität und Demokratie die obersten Ziele sind. Und diese Menschen gibt es jetzt natürlich in der Ukraine, in den Streitkräften, die auch von sich aus aus dem Inneren des Landes heraus für Demokratie, für die Stabilität, für die Besonnenen eintreten. Das hat sich auch in den letzten Tagen und Wochen gezeigt.
    Grieß: Die NATO will also die Ukraine ihrer Unterstützung versichern. Welche anderen Möglichkeiten hat die NATO, hat die Bundeswehr vielleicht auch neben Gesprächen und dem Gesprächsfaden, den Sie ansprachen?
    Von der Leyen: Nun, das Wichtigste ist jetzt die Konzentration auf den politischen Dialog, das muss man ganz klar sagen, denn wir haben jetzt ja den Beginn einer Übergangsregierung. Man sieht, dass die Opposition kein Machtzentrum hat, sondern mehrere verschiedene Entscheidungszentren. Also wichtig ist, dass sich dort eine Regierung formiert, die als Ansprechpartner dient. Man darf nicht vergessen, dass die Ukraine in einer desaströsen wirtschaftlichen Situation ist, das heißt, sie braucht auch schnell ganz konkrete Hilfe.
    Grieß: Wenn ich diesen ganz praktischen – Entschuldigung, Frau von der Leyen –, wenn ich diesen ganz praktischen Punkt einmal ansprechen darf: Wir wissen ja, die Übergangsregierung soll sich dann heute bilden. Aber das ist eine Phase des Übergangs in der Ukraine. Mit wem spricht man denn da, ganz praktisch?
    Von der Leyen: Das muss sich herausstellen jetzt in den nächsten Stunden und Tagen. Wir werden heute mittag hier als NATO-Verteidigungsminister einen Vertreter der ukrainischen Übergangsregierung haben, uns wurde angekündigt ein stellvertretender Verteidigungsminister. Wir wissen noch nicht zur Stunde, wer das ist. Aber Sie merken daraus, in der Geschwindigkeit der Abläufe, dass sich das jetzt formiert und man innerhalb der Kräfte der ehemaligen Opposition, jetzt Übergangsregierung, die sich bildet – wir haben ja eine Rumpfregierung seit gestern, die auf dem Maidan vorgestellt worden ist und die heute im Parlament vorgestellt wird –, muss man sehen, wer sich da als die führenden Köpfe herausschälen.
    Grieß: Frau von der Leyen, auf der Tagesordnung von Ihnen und der Tagesordnung Ihrer Kollegen in Brüssel steht heute unter anderem auch noch das Thema Afghanistan. Präsident Karzai will das Sicherheitsabkommen mit den USA nicht unterzeichnen. Diese Weigerung gilt schon seit einigen Wochen und sie gilt wohl auch noch für die nächsten Wochen. Und Barack Obama droht nun damit, die Truppen in diesem Jahr vollständig abzuziehen. Gilt das auch für die Deutschen?
    Von der Leyen: Zunächst einmal ist, glaube ich, völlig richtig, dass Präsident Obama Karzai sehr deutlich gemacht hat, dass es Regeln gibt, die wir gemeinsam aufgestellt haben, nämlich erstens, dass der Einsatz, also der Kampfeinsatz endet 2014. Punkt. Aber wir sind der festen Überzeugung, dass der Folgeeinsatz der Ausbildung, Unterstützung, Training, dass die afghanischen Kräfte in der Lage sind, ihre Sicherheit im Land selber auch zu schützen, also die Armee aufzubauen, die Polizeikräfte aufzubauen, ein Prozess, der seit einiger Zeit läuft, dass wir den gerne fortsetzen würden, denn die Erfolge in Afghanistan sind zweifelsohne da. Wichtig ist, zu wissen, dass Karzai im Augenblick sich weigert, ein bilaterales Sicherheitsabkommen zu unterzeichnen. Das ist die Form, die wir brauchen und verlangen. Wir müssen willkommen sein in dem Land. Aber ich finde, es ist auch wichtig, zu wissen, dass die Loya Jirga, also die Repräsentanz der afghanischen Bevölkerung schlechthin, das, was wir vielleicht Parlament nennen würden, die Loya Jirga im Dezember sich mit diesem bilateralen Sicherheitsabkommen auseinandergesetzt hat und einstimmig …
    Grieß: Im Dezember, Frau von der Leyen, im Dezember, und dann ist es Ende des Jahres erreicht und das Abkommen soll dann gelten für die Zeit ab Januar.
    Von der Leyen: Nein, dass der Punkt klar ist: Im Dezember 2013 haben die sich damit auseinandergesetzt, es mehrere Tage diskutiert und dieses bilaterale Sicherheitsabkommen angenommen.
    Grieß: Aber gleichwohl, Entschuldigung, gleichwohl steht ja nun noch die Präsidentschaftswahl in Afghanistan an, voraussichtlich gibt es eine Stichwahl, das alles wird abgeschlossen sein im September. Dann sind wir doch schon wieder Ende dieses Jahres angelangt. Und wenn es dann kein Abkommen gibt und die Bundeswehr bis dahin ihren Abzug fortgesetzt hat, dann ist an Material und Männern und Frauen nur noch wenig in Afghanistan vorhanden.
    Von der Leyen: Und deshalb planen wir parallel. Dazu sind wir auch in der Lage. Wir haben eine Planung einerseits, dass, wenn keine Einladung der afghanischen Regierung vorliegt, ein vollständiger Abzug möglich ist. Das ist aber nicht unsere Wunschkonstellation, übrigens auch eben nicht die Wunschkonstellation der Loya Jirga, der Vertretung der afghanischen Bevölkerung. Die nämlich möchten, dass wir bleiben, um auszubilden, zu trainieren, zu unterstützen, die jungen Kräfte in Afghanistan, die ihrem Land Sicherheit geben wollen. Das möchten wir, und wir planen das konsequent parallel durch. Aber, wie gesagt, es ist auch … Präsident Obama hat ganz klar auch Karzai gesagt, dass der Grundsatz, dass wir ein Truppenstatut brauchen, eine Einladung, eingehalten werden muss.
    Grieß: Das alles steht auch im Zusammenhang einer Nachricht, die in dieser Woche Schlagzeilen gemacht hat: Chuck Hagel, der Chef des Pentagons, des US-Verteidigungsministeriums, hat angekündigt, das US-Militär deutlich zu verkleinern. Muss die Bundeswehr im Bündnis, in der NATO, Frau von der Leyen, demnächst mehr Aufgaben übernehmen?
    Von der Leyen: Nun, wir haben gestern sehr deutlich darüber gesprochen, dass innerhalb der NATO die Verteidigungsbudgets ganz klar begrenzt sind, das ist Folge auch der Finanzkrise, die man überall spürt, bei allen Mitgliedsländern. Aber es sind relativ viele Fähigkeiten, auch viele Mittel vorhanden, allein bei den europäischen NATO-Mitgliedern ist im Jahr ein Rahmen von 190 Milliarden Euro da, der aber zu wenig abgestimmt eingesetzt wird. Und wir müssen mehr lernen, dass wir miteinander uns modern aufstellen und klarmachen miteinander, was wollen wir als Fähigkeiten haben, was wollen wir trainieren, also zum Beispiel, welche Luftfähigkeiten wollen wir haben, aber auch, gestern war eine ausgeprägte Diskussion über das medizinische Personal, das eine Schlüsselfunktion auch ist, und wie erreichen wir das zusammen, nicht jeder für sich alleine, dann verzettelt man sich, sondern wie erreicht man das besser zusammen? Das ist der Grund gewesen, warum Deutschland, warum wir das Rahmennationenkonzept eingebracht haben, das den Gedanken hat, dass man größere Rahmennationen hat, die breit Fähigkeiten zur Verfügung stellen, aber die kleineren Nationen dann ganz gezielt hohe Spezialisation mit einbringen, sodass das ein Gesamtbild ergibt. Ich halte das für richtig.
    Grieß: Was ist denn die Spezialisation der Bundeswehr? Sie haben gerade die Stichwörter Lufttransport und medizinische Versorgung genannt. Das ist eine Fähigkeit, die die Bundeswehr ja nun auch in der zentralafrikanischen Republik im Rahmen der EU-Mission anbietet. Wird das so sein, dass die Bundeswehr sich dort eine Kernkompetenz künftig sucht?
    Von der Leyen: Ja, die Bundeswehr ist einerseits breit aufgestellt, also wir können … In Afghanistan zum Beispiel sind wir die Rahmennation im Norden und geben den Rahmen für 17 weitere, die mit uns den Norden sichern in Afghanistan, dass man dieses Bild einmal sieht. Aber ja, Sie haben recht, in Afrika zum Beispiel gibt es andere, die eher die Funktion der Rahmennation übernehmen wie zum Beispiel Frankreich, und Deutschland hat dann hoch spezialisierte Fähigkeiten wie den Verwundetentransport, den nur wir so anbieten können und der deshalb auch eine kritische Fähigkeit ist, die von uns erbeten wird.
    Grieß: Das hat den Vorteil, solche Missionen – etwa mit medizinischen Personal – hätten den Vorteil, dass solche Missionen auch im Parlament womöglich leichter durchzubekommen sind, weil sie keine Kampfmission sind.
    Von der Leyen: Ach, das ist gar nicht der Punkt, den ich immer in den Vordergrund stellen würde, sondern wir müssen auch wissen, dass heute auch die Einsätze der Bundeswehr, wenn man zum Beispiel nach Afrika blickt, eine ganz andere Form haben als das das gängige Bild ist. Es geht viel stärker dahin, dass man die Kräfte vor Ort, also in Afrika die afrikanischen Truppen, ausbildet, dass man sie in die Lage versetzt, die Verantwortung für ihr Land selber zu übernehmen. Und dazu gibt es dann andere Fähigkeiten am Rande wie zum Beispiel Logistik, wie zum Beispiel die gesamte medizinische Versorgung, die wir als Brückenfunktion zur Verfügung stellen müssen. Und ich finde diesen Ansatz ganz richtig, also nicht sagen, wir machen alles selber, wir Europäer zum Beispiel in Afrika machen das selber, sondern wir versetzen die Afrikaner in die Lage, Verantwortung selber zu übernehmen. Das wollen übrigens die Afrikaner auch so, und das ist, meines Erachtens, die richtige Herangehensweise.
    Grieß: Ursula von der Leyen, die Bundesverteidigungsministerin, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk im Gespräch. Danke schön nach Brüssel und einen schönen Tag!
    Von der Leyen: Ich danke Ihnen, auf Wiederhören!
    Grieß: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.