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Russisches Himmelfahrtskommando

Noch 1983, konnte man im "Guinness Buch der Rekorde" lesen, der erste Mensch außerhalb eines Raumschiffes sei ein Amerikaner gewesen. Auch wenn es viele lange nicht wahrhaben wollten: Ein Russe absolvierte den ersten Weltraumspaziergang. 1965 wurde Alexei Leonows Ausflug ins All live im russischen Fernsehen übertragen.

Von Irene Meichsner | 18.03.2005
    "Genosse Leonow! Liebe Sowjetischen Freunde! (...) Wir schätzen uns überaus glücklich, heute den kühnen Kosmonauten begrüßen zu können, der als erster Mensch im wahrsten Sinne des Wortes die Tür zum Weltall öffnete."

    Die Menschen jubelten, wo immer er sich blicken ließ. Vom ersten Weltraumspaziergang heil auf die Erde zurückgekehrt, ließ sich Alexeij Leonow feiern - auch im sozialistischen Bruderland, wo er im Zug von Berlin nach Schwerin auf Reporterfragen antwortete.

    "Wir haben die DDR vier Mal überflogen. Aus dem Kosmos gestaltet sie sich als ein grünes Land."

    Damals herrschte noch Kalter Krieg. Jedes Säbelrasseln der Großmächte wurde registriert. Im Weltraum hatten die Russen die Nase vorn: 1957 mit dem "Sputnik", 1961 mit Juri Gagarin als erstem Menschen und zwei Jahre später mit Walentina Tereschkowa als erster Frau im All. Und jetzt der erste Weltraumspaziergang, der in Wahrheit allerdings eher ein Himmelfahrtskommando gewesen war. Der Flug war nur ungenügend geprobt, ein unbemanntes Testraumschiff gerade erst explodiert, als Leonow, ein ausgezeichneter Kampfpilot, von Chefkonstrukteur Sergej Korolew erfuhr, dass sich auch die Amerikaner auf ihren ersten Weltraumspaziergang vorbereiteten.

    "Er wusste genau, wie er uns bei unserem Ehrgeiz packen konnte. Er muss gewusst haben, wie unsere Antwort ausfallen würde. Trotz der Risiken teilten wir ihm mit, dass wir bereit seien zu fliegen."

    1934 in einem kleinen Dorf in Sibirien geboren, gehörte Leonow - mit Gagarin - zu den Sowjetkosmonauten der ersten Stunde.
    Später sollte er noch einmal Geschichte schreiben, als er 1975 - im Rahmen der ersten amerikanisch-sowjetischen Freundschaftsmission - seine Sojus-Kapsel an eine Apollo-Kapsel ankoppelte. Er und der amerikanische Astronaut David Scott wurden Freunde fürs Leben, veröffentlichten vor kurzem sogar eine gemeinsame Autobiographie. Doch noch schrieb man das Jahr 1965, dasselbe Jahr übrigens, in dem Stanley Kubrick mit der Arbeit an seinem Film "2001 - Odyssee im Weltraum" begann.

    Am 18. März um 9 Uhr 30 mitteleuropäischer Zeit zwängte sich Leonow durch eine aufblasbare Luftschleuse aus der Kommandokapsel des Raumschiffs "Woschod 2".

    "Mein Herz raste. Als ich meinen Kopf hob, konnte ich ein riesiges Panorama erblicken. Es war, als betrachtete ich eine gigantische, farbige Landkarte. Zu meiner Linken lagen Griechenland und Italien, vor mir die Krim und rechts von mir die schneebedeckten Berge des Kaukasus und die Wolga. Ich machte einen Spaziergang im All. Ich war der erste Mensch, der das schaffte. Hoch über der Erdoberfläche spürte ich die Macht des menschlichen Geistes, die mich hierher gebracht hatte. Ich fühlte mich wie ein Vertreter der menschlichen Rasse. Ich war überwältigt von diesen Gefühlen."

    Und dann der Schreck. Während der gut zwölf Minuten, in denen er mit dem Raumschiff nur noch über ein - 5,35 Meter langes - Seil verbunden war, hatte sich sein Raumanzug so aufgebläht, dass er fast nicht mehr durch die Schleuse passte. Kommandant Pawel Beljajew musste die Woschod 2 mit der Hand steuern, das Zielgebiet wurde weit verfehlt, die Kapsel landete im Ural im meterhohen Schnee. Doch all das war schon wenige Tage später wieder vergessen: beim großen Empfang auf dem Roten Platz in Moskau, wo Beljajew zum Ausdruck brachte, was beide Kosmonauten empfanden.

    "Liebe Genossen, liebe Freunde (....) Erstmalig hat unser Sowjetmensch mutig und zielbewusst den Schritt getan aus dem Kosmos in die Leere des Alls. Das zeugt von der Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung gegenüber der kapitalistischen. Die sowjetische Wissenschaft, die Technik ist der bürgerlichen überlegen."

    Manchen schien nun alles möglich - sogar, dass der Genosse Leonow demnächst auf dem Mond spazieren ginge.

    "Wenn mir diese große Ehre zuteil werden wird, wenn man mir dieses große Vertrauen schenkt, dann können die Berliner überzeugt sein, dass ich ihnen ein kleines Stück Mond auf die Erde bringen werde."

    Beim Mond machten dann - 1969 - doch die Amerikaner das Rennen: ein Punktsieg, der aber auch schon einer vergangenen Epoche angehört.