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Russland
Die Arbeit der unabhängigen Wahlbeobachter

Mobilisierung von Staatsbediensteten, verfälschte Ergebnisse - bei Wahlen in Russland ist es in der Vergangenheit immer wieder zu Unregelmäßigkeiten gekommen. Unabhängige Wahlbeobachter wollen das verhindern. Eine schwierige Aufgabe.

Von Thielko Grieß | 16.03.2018
    Wladimir Putin im Wahlkampf auf dem Nakhimova-Platz in Sewastopol auf der Krim
    Wladimir Putin im Wahlkampf auf dem Nakhimova-Platz in Sewastopol auf der Krim am 14.03.2018 (imago/Alexei Nikolsky)
    Jegor Schatow verbringt seit Jahren Wahltage in Wahllokalen. Der junge Mann kennt die Gesetze, und er weiß, dass ein Gesetz allein noch nichts nützt. Das will er bei diesem Training vermitteln. Jegor Schatow:
    "Sie dürfen am Wahltag im Wahllokal sein und darauf achten, dass keiner versucht, zusätzliche Stimmzettel in die Urnen zu werfen, Stimmen auch für andere abzugeben, eine Urne zufällig in Brand zu setzen, um später die Wahlergebnisse zu annullieren. Nur mit Vorankündigung dürfen Sie Fotos und Videos machen und Wahlbetrug dokumentieren."
    Chodorkowski finanziert die unabhängigen Wahlbeobachter
    Rund 25 Zuhörerinnern und Zuhörer verfolgen seinen Vortrag. Sie sind in ein Büro der Organisation "Offenes Russland" gekommen, wo Dutzende solcher Schulungen stattfinden. "Offenes Russland" wird finanziert vom einst verurteilten, früheren Öl-Oligarchen Michail Chodorkowski. Er wurde freigelassen und lebt inzwischen im Exil. Anastassija, 24 Jahre, will mit ihrem Lebensgefährten in einem Moskauer Wahllokal den Ablauf am Sonntag aufmerksam verfolgen. Sie meint:
    "Das Gesamtergebnis der Wahl wird sich kaum ändern, aber mir ist wichtig, mein Gewissen zu beruhigen, weil wir etwas unternommen haben. Ich hoffe, in Moskau und in unserem Wahllokal wird alles ruhig, freundlich und regelkonform ablaufen. Wir kommen einfach und beobachten das. Natürlich wird es unangenehm, falls es doch Konflikte gibt, aber ich bin bereit zu kämpfen."
    Wahlergebnisse von 90 Prozent
    Jegor Schatow, der Dozent, erklärt: Die Neigung, Fälschungen bewusst oder unbewusst herbeizuführen, unterscheide sich regional stark. Für Moskau und das Umland gelte: "Die meisten Fälschungen werden entweder aus Unkenntnis der Gesetze begangen, also nicht absichtlich, oder mancherorts versuchen sich Wahlkommissionen dem Staatsapparat anzudienen."
    Deutlich schlechter ist die Situation in abgelegenen Gebieten, in denen von Rechtsstaatlichkeit kaum die Rede sein kann. "Die meisten Fälschungen wird es in den Regionen geben, von denen wir wissen, dass die Wahlbeteiligung dort immer 90 Prozent beträgt und 90 Prozent der Wähler für Putin stimmen." Dort, etwa im Kaukasus, haben Oppositionskandidaten kaum eine Chance. Aber in allen Wahllokalen, auch in Moskau, bräuchten die Beobachter Ausdauer, rät Jegor Schatow und fährt fort:
    "Sie sollten ausgeschlafen sein. Das ist sehr wichtig, weil Sie sehr früh aufstehen müssen. Gewöhnlich endet die Arbeit gegen zwei beziehungsweise drei Uhr in der Nacht."
    Wo Beobachter im Wahllokal sind, wird weniger gefälscht
    Außerdem seien eine Ersatzkamera in die Wahllokale mitzubringen, Batterien, Akkus – und Proviant, denn es liege nicht immer ein Kiosk um die Ecke. Die Vergangenheit hat oftmals bewiesen: Wo Beobachter beobachten, wird weniger gefälscht. Doch allein in Moskau werden am Sonntag mehr als 3.600 Wahllokale öffnen. Schon sie zu besetzen, wird schwierig – von entlegenen Provinzen ganz zu schweigen.
    Allerdings widmen sich neben "Offenes Russland" auch etliche andere Organisationen der Ausbildung freiwilliger Beobachter: die Oppositionsparteien, der Aktivist Alexei Nawalny, die Nichtregierungsorganisation "Golos", auch staatsnahe Organisationen wie die Kremlpartei "Einiges Russland". Der Machtapparat hat allerdings auch seine Methoden: Es gehe nicht allein um simple Fälschungen am Wahltag, berichtet Marina Tschufarina, Aktivistin von "Golos" in Nischni Nowgorod, einer Stadt gut 450 Kilometer östlich von Moskau:
    "Wir beobachten eine beispiellose Mobilisierung der Wähler - vor allem der Wähler, die dem Druck des Staatsapparats ausgesetzt sind, also aus Einrichtungen und Behörden, auf die der Staat direkten Zugriff hat. Diese Leute sollen ihr Kreuz für Stabilität machen, für weitere sechs Jahre desselben Regimes."
    Beweise hat sie selbst nicht. Aber je näher die Wahl rückt, desto mehr Hinweise auf Einflussnahme tauchen im Netz auf – aus vielen Orten. Die Wahlbeobachter wissen: Dagegen sind auch sie machtlos.