Samstag, 20. April 2024

Archiv


Russland ist "Gewinner des Moments"

Die Abgabe der syrischen Chemiewaffen könne einen amerikanischen Militärschlag verhindern, zugleich verschaffe die Aufforderung den Beteiligten der Syrien-Krise Zeit, meint Christoph von Marschall, Korrespondent des "Tagesspiegel". Obama halte sich Optionen offen und Russland sei "wieder mit im Rennen".

Christoph von Marschall im Gespräch mit Oliver Ramme | 10.09.2013
    Christine Heuer: Über die Syrienkrise, die deutsche Außenpolitik und den jüngsten Vorschlag, Assads Chemiewaffen unter Kontrolle zu stellen, hat mein Kollege Oliver Ramme gestern Abend auch mit Christoph von Marschall gesprochen. Er war lange Berichterstatter für den Tagesspiegel in Washington und ist jetzt diplomatischer Korrespondent seiner Zeitung. Die erste Frage an ihn, wie er denn den Kurs Obamas beschreiben oder kommentieren würde.

    Christoph von Marschall: Wir haben in unserer Zeitung ein Psychogramm von Obama und welche widersprüchlichen Interessen er in dieser Lage verfolgt und warum eben auch seine Politik so sehr widersprüchlich wirkt. Er ist einerseits der Mann, der zwei Wahlkämpfe damit geführt hat, dass er Bushs Politik der Kriegseinsätze im Ausland, vor allem in den muslimischen Ländern korrigieren wird, dass er die amerikanischen Truppen zurückzieht und auf gar keinen Fall Amerika wieder in weitere Kriege in der muslimischen Welt verwickeln möchte. Er möchte sich auf die Innenpolitik, auf die Gesundung Amerikas konzentrieren. Das ist die eine Sache. Genauso stark ist bei Obama aber, der ja auch Jurist ist und Verfassungsrechtler, diese Auffassung, dass man auf gar keinen Fall zulassen darf, dass irgendwelche Regime Massenvernichtungswaffen einsetzen. Er hat sich vor einem Jahr festgelegt: Rote Linie. Und wie bringt man das jetzt in Syrien übereinander, dass man einerseits einen abschreckenden Schlag gegen Syrien macht und dennoch sich nicht verwickeln lässt in einen neuen Krieg in einem arabischen Land. Das ist diese widersprüchliche Situation, in der Barack Obama ist.

    Oliver Ramme: Und wo taucht dann der Kerry-Vorschlag auf bei ihm?

    von Marschall: Ja das ist, glaube ich, mehr wie ein bisschen Glück an ihn jetzt herangetragen und Obama traut dieser Sache natürlich nicht. Wir alle haben im Kopf aus früheren Konflikten, ob das Balkan, Milosevic war, oder Saddam Hussein im Irak: immer waren die Situationen so, dass diplomatische Angebote kamen und man nicht so richtig wusste, ist das nur Zeitverzögerung, sind das nicht faule Angebote, die gar nicht ernst gemeint sind, und ein amerikanischer Präsident möchte sich nicht vorführen lassen. Und das größte Interesse Barack Obamas ist im Moment sicher, weil er ja genau weiß, in was für einer widersprüchlichen Situation er ist: Er möchte sich möglichst viele Optionen offen halten und er möchte nicht alleine dastehen als jemand, der sehr widersprüchlich agiert.

    Ramme: Machen wir einen Schlenker erst mal nach Russland. Wie empfinden Sie das Taktieren von Moskau in diesem Zusammenhang, auch mit diesem Vorschlag von Kerry? Die münzen den ja um und machen ihn quasi zu ihrem eigenen und sind eigentlich wieder diplomatisch mit im Rennen.

    von Marschall: Das ist genau der Punkt. Russland ist auf einmal wieder mit im Rennen. Es ist für sie eine sehr angenehme Situation, denn über die letzten zwei, drei Jahre sah es doch so aus, dass Russland völlig isoliert ist in dieser Frage, dass es nur als Verhinderungsmacht gilt. Und vor allem ist das Problem, dass Russland überhaupt seine ganze frühere Unterstützung in den arabischen Ländern verliert. Das ist ja auch im Palästinakonflikt und in Ägypten so gewesen, dass Russland immer auf die falsche Seite gesetzt hat in den vergangenen Jahren. Insofern ist diese Option, dass Russland auf einmal den guten Makler spielen kann, der möglicherweise dazu beiträgt, eine Verhandlungslösung zu kreieren, das ist natürlich eine angenehme Situation. Russland ist vielleicht für die nächsten zwei, drei Tage so eine Art Gewinner des Moments.

    Ramme: Ist es denn überhaupt Ihrer Ansicht nach realistisch, Chemiewaffen einzusammeln und zu zerstören? Wir reden ja von Syrien: Dort findet aktiv ein Krieg statt. Wie realistisch ist das?

    von Marschall: Es wird sicher nicht so aussehen, dass sozusagen Syrien, das syrische Regime mitten in einem Bürgerkrieg innerhalb weniger Tage alle Chemiewaffen an einen Ort bringt und sie dann kontrolliert übergibt. Wenn überhaupt, ist das eine Ouvertüre und dann wird man eben mit kleinen Schritten sehen, wie weit man sich darauf einlassen kann, und dann wird das ein längerer Prozess sein, falls es in diese Richtung geht. Aber das ist dann eine schwierige Angelegenheit zu überprüfen, wie ernsthaft diese Absichten sind, und niemand hat ja auch so ganz exakte Vorstellungen, wie viele Chemiewaffen da im Spiel sein könnten, also wie vollständig diese Aufgabe des Chemiewaffenarsenals durch das syrische Regime tatsächlich wäre, wenn sie nun einige Dinge herausrücken.

    Ramme: Aber das Zerstören würde immerhin Obama wiederum Zeit bringen, seinen Kongress und seinen Senat und sein Volk umzustimmen.

    von Marschall: Rein von der Wortwahl her das, was der Präsident am ehesten möchte. Ich meine, er hat als Ziel ausgegeben, jetzt was diese Militäraktion betrifft, weder den Sturz Assads, noch andere Dinge, Verhandlungen; er hat nur gesagt, was er erreichen möchte, ist, dass dieses Regime nicht weiter Chemiewaffen einsetzen kann. Und wenn das Regime die Chemiewaffen aufgibt und es sozusagen nicht mehr in der Lage wäre, weil es keine mehr hat, dann wäre diese formale Forderung Obamas erreicht, ohne dass er auch nur ein einziges Kampfflugzeug, eine einzige Cruise Missile losschicken muss.

    Heuer: Christoph von Marschall vom Tagesspiegel, die Fragen stellte Oliver Ramme.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.