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Russland
Moskau verstärkt die Kontrolle über das Internet

Ein neues Gesetz soll der russischen Regierung helfen, die Kontrolle über das Internet zu verstärken. Offiziell geht es um die Sicherheit und Stabilität des Datenverkehrs. Die Folgen sind jedoch viel weitreichender - technisch könnte damit die Meinungsfreiheit zielgenau eingeschränkt werden.

Von Thielko Grieß | 01.11.2019
In Moskau hät ein Demonstrant hält ein Plakat mit der Aufschrift "Rettet das Internet, rettet Russland".
Im März gab es noch Demonstrationen für ein freies Internet, jetzt tritt die Gesetzesverschärfung trotzdem in Kraft (dpa / Alexander Zemlianichenko)
Der Messenger Telegram ist in Russland populär. Nicht allein wegen seiner Chat-Funktion, sondern auch wegen seiner Kanäle, die auch anonyme Kommunikation mit Zehntausenden Abonnenten gleichzeitig ermöglichen. Solche Kanäle betreiben normale Bürger, aber auch Oppositionelle und Publizisten. Der Messenger soll sehr gut verschlüsseln. Sogar der Sprecher von Präsident Putin bekannte, ihn zu nutzen.
Die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor versucht zwar seit anderthalb Jahren, den Messenger zu blockieren – ist jedoch damit gescheitert, weil die technischen Möglichkeiten nicht ausreichten. Doch das Gesetz, das nun in Kraft tritt, gestattet viel mehr Sperren, erklärt Stanislaw Schakirow, Technischer Direktor der Nichtregierungsorganisation Roskomswoboda, die sich gegen Zensur wendet. "Es geht um die Isolierung des russischen Internets von der Außenwelt im Fall von Massenprotestbewegungen – oder um den Shutdown des Internets in einzelnen Städten, wenn es dort Proteste gibt. Und das zweite ist die Möglichkeit, nicht-öffentlich Sperren von Web-Inhalten oder ganzen Protokollen einzurichten."
Datenflüsse werden vollständig kontrolliert
Laut Gesetz werden die Datenflüsse innerhalb des russischen Internets vollständig kontrolliert. In den vergangenen Wochen hat die Behörde die neue Technik wohl getestet, zum Beispiel im Ural. Ergebnisse sind nicht bekannt geworden. "Jeder Telekommunikationsanbieter bekommt eine technische Ausrüstung, durch die der gesamte Datenverkehr läuft. Das ist ein Kasten, der analysieren wird, auf welche Internetseite ein Nutzer gelangen will oder welchen Dienst, welche App er auf seinem Telefon nutzen will. Und wenn die Software registriert, dass die Inhalte verboten sind, unterbricht es die Verbindung oder zeigt einen Sperrhinweis an."
Außerdem werde der Datenverkehr stark zentralisiert. Dadurch werde das russische Internet verwundbarer für Angriffe von Hackern, fürchten Kritiker. Das Gesetz verursacht nach Schätzungen Kosten von fast einer halben Milliarde Euro – getragen von russischen Steuerzahlern.
Der Chef der Medienkontrollbehörde Roskomnadsor, Alexander Scharow, antwortete im Sommer im Fernsehsender NTW auf Bedenken: Eine Abkopplung des Internets von der Außenwelt sei nicht geplant. Doch werde Russlands Netz von außen angegriffen, müsse es sich schützen können.
"Damit der Datenverkehr stabil ist, muss man ihn lenken. Es gibt aber keine Absicht, Inhalte zu beeinflussen, zu entfernen und zu sperren. Es gibt nur die Absicht, komfortable Arbeitsbedingungen zu schaffen und angemessene Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen."
Meinungsfreiheit kann zielgenau eingeschränkt werden
Seine Behörde allerdings hat schon bislang alle zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten genutzt, Inhalte zu sperren. Jährlich setzt sie Zehntausende Internet-Adressen auf eine Liste. Provider sind dann verpflichtet, diese Seiten zu sperren. So versucht der Staat, zum Beispiel Händlern von Drogen oder Kinderpornografie das Leben zu erschweren. Betroffen sind aber auch Medienseiten – oder als vielleicht prominentestes Beispiel das Netzwerk LinkedIn. Wer sich dort einloggen will, braucht technische Hilfe, etwa einen VPN-Dienst.
Dazu allerdings müssen Nutzer selbst wissen, wie das geht. Sie müssen die Zusatzprogramme auf ihren Geräten installieren, manche auch bezahlen. Doch weil es sich um russische Gesetzgebung handelt, sieht der Aktivist – mit einem Augenzwinkern – noch eine andere Hoffnung: "Ich hoffe, dass bei diesem Gesetz die Korruption die Oberhand behält, wie bei so vielen anderen Gesetzen auch." Was er hier mit Korruption meint: dass das Gesetz nicht buchstabengetreu angewendet wird. Dass Lücken bleiben, Aus- und Umwege.
Doch selbst wenn er recht behalten sollte: Technisch wird es möglich sein, Meinungsfreiheit im Netz zielgenau einzuschränken. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der russische Staat dies für sich nutzen wird.