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Russland
Moskauer Kulturkampf

Der russische Kulturminister stellte vor Kurzem ein neues Kulturkonzept für sein Land vor - mit den Kernsätzen: "Russland ist nicht Europa" und "Russland ist russisch". Kulturschaffende des Landes sind gespalten - so auch in Moskau.

Von Uli Hufen | 22.06.2014
    Der Kreml an den Ufern der Moskwa in Moskau.
    Der Kreml an den Ufern der Moskwa in Moskau. (dpa picture alliance / Matthias Toedt)
    Moskau im Juni. Das Gogol-Center, eins der angesagtesten Theater in Russland, zeigt "Tote Seelen" - eine Bearbeitung des berühmten Romans von Nikolai Gogol. Regie führt der 45-jährige Kirill Serebrennikow.
    Seit Serebrennikow 2012 zum künstlerischen Leiter des Hauses berufen wurde, ist im ehemaligen Gogol-Theater kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Wände wurden von Putz befreit, im Foyer entstand eine große Bar. Das rote Design des Theaters ist genauso hip wie das junge Publikum, das in Scharen ins Gogol-Center strömt. Aber das Gogol-Center hat auch Feinde. Mächtige Feinde.
    "Heute sind diverse Kommissionen in unserem Theater aufgetaucht. Unangekündigt. Die Staatsanwaltschaft ist da, die Sicherheitsvorkehrungen werden überprüft, die Hygiene, alle sind gleichzeitig gekommen, weil irgendwelche Leute uns ständig denunzieren."
    Kontrollen wie diese sind in Russland weder Zufall noch harmlos. Seit Monaten schreiben Unbekannte Beschwerdebriefe, in denen dem Gogol-Center Veruntreuung, Missachtung der russischen Kultur, Propaganda von Homosexualität, Drogenmissbrauch und vieles andere vorgeworfen wird. Im Frühjahr erreichte die Kampagne das staatliche Fernsehen.
    "Nach Kirill Serebrennikows Logik hat das Theater ein Recht auf Experimente und der Staat ist verpflichtet, das zu finanzieren. Steile These."
    Konservative gegen Theater
    In der Sendung "Nachrichten der Woche" griff der konservative TV-Chefideologe Dmitrij Kiseljow Serebrennikow und sein vom Staat finanziertes Theater frontal an.
    "Die sogenannten Experimente sind oft keine. Oft verbirgt sich hinter dem Begriff Experimente nicht die Suche nach Neuem, sondern schlicht ein anderes Wertesystem."
    Der Künstler und Kunsttheoretiker Anatolij Osmolowskij, wie Serebrennikow Mitte 40 und Teilnehmer der letzten Documenta, erkennt in dem Angriff ein Muster:
    "Die Konservativen stört einfach alles. Dass auf der Bühne geflucht wird, dass kontroverse Themen wie Homosexualität behandelt werden. Die stört sogar, wenn in einem Stück von Gogol moderne Kostüme verwendet werden. Das sind Höhlenmenschen."
    Chef der Höhlenmenschen im Kulturbetrieb ist Kulturminister Wladimir Medinskij. Vor Kurzem stellte er ein Konzept für eine neue russische Kultur vor, das sich auf zwei Thesen reduzieren lässt: "Russland ist nicht Europa" und "Russland ist russisch". Wiktor Jerofejew, einer der international bekanntesten Autoren des Landes, bleibt gelassen:
    "Im Grunde hat das keine Bedeutung, Pasternak hat das genial gesagt: 'Man kann kulturpolitische Erlasse schreiben, so viel man will. Der Schnee fällt trotzdem von oben nach unten.' Die Geschichte der Sowjetunion hat gezeigt: Man kann Schriftsteller einsperren und erschießen, aber eine andere Literatur oder ein anderes Kino erzwingen kann man nicht."
    Jerofejew, inzwischen Mitte 60, hat viele Machthaber kommen und gehen sehen. Allerdings ist auch ihm nicht entgangen, dass ein neuer Wind weht:
    "Es ist eine Zeit der Ideologen: Kiseljow im Fernsehen, Medinskij. Sie denken, dass der Westen am Ende ist und verweisen auf die Schwäche der aktuellen westlichen Kultur. Das sind keine Zyniker, wie im Westen viele glauben. Sie sind wirklich überzeugt davon, dass Russland seine Eigenheit verteidigen muss."
    Die Front im Kulturkampf zwischen Konservativen und Westlern verläuft auch quer durch die Beamtenschaft. Wenn Minister Medinskij der Inbegriff der Reaktion ist, dann steht der Chef des Moskauer Kulturdepartments Sergej Kapkow für das liberale Russland. Kapkow hat Serebrennikow zum Direktor des Gogol-Centers berufen.
    "Das ist nicht nur Kapkow, das ist ein ganzes Team. Und die gehören auch zur Macht! Sie haben die Moskauer Theaterwelt innerhalb weniger Jahre verändert. Sie fördern die Freiheit im Netz und sie machen aus Moskau eine moderne Großstadt: nicht wie in einer östlichen Despotie, sondern wie im Westen."
    Neue Gesetze
    Die Angriffe auf das Gogol-Center sind real. Die neuen Gesetze, die das Fluchen in Kunst und Medien unter Strafe stellen und die Freiheit des russischen Internets bedrohen, sind es auch. Und trotzdem: Wer im Moskauer Kulturkampf welche Ziele verfolgt, ist schwer zu überblicken. Selbst für die Akteure wie Kirill Serebrennikow:
    "Ich weiß, dass jemand Kiseljow gefragt hat, warum er diesen TV-Beitrag über mich gemacht hat. Und Kiseljow sagte: 'Ich liebe Serebrennikow! Er soll das nicht beachten. Er macht in seinem Theater eine Show. Wir im Fernsehen auch.'"