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Russland nach der Präsidentenwahl
Die liberale Opposition sucht nach einer Zukunft

Bei der Präsidentenwahl in Russland hat die liberale Opposition nur wenige Prozentpunkte erlangen können. Jetzt diskutieren verschiedene Gruppen über ein Bündnis. Der Aktivist Alexei Nawalny erteilte einem Zusammenschluss allerdings bereits eine Absage. Er setzt weiterhin auf außerparlamentarischen Widerstand.

Von Thielko Grieß | 20.03.2018
    Xenia Sobtschak steht umringt von Personen am 06.12.2017 in ihrem Wahlkampfbüro in Nischni Nowgorod.
    Die russische Fernsehmoderatorin Ksenija Sobtschak kandidierte für das Präsidentenamt und strebt nun ein breiteres Oppositionsbündnis an (dpa / Thomas Körbel)
    Am Wahltagabend hat sich die spannendste politische Debatte der vergangenen Monate in Russland ereignet. Ort war der Youtube-Kanal von Alexei Nawalny. Zu ihm war Ksenija Sobtschak gekommen, die als liberal geltende TV-Journalistin – und Präsidentschaftskandidatin. Beide sprechen eine ähnliche Wählerklientel an, und beide haben sich im Wahlkampf, der nicht fair verlief, entgegengesetzt verhalten. Während Alexei Nawalny wegen einer Vorstrafe nicht antreten durfte, nutzte Sobtschak ihre – kleine – Chance. Er war aufgebracht:
    "Das ist kein akzeptables Verhalten. Das ist die Karikatur von Opposition. Und Du spielt eigens diese Rolle einer sich immer mehr karikierenden Opposition, die diese Dummheit wiederholt: 'Lasst uns uns vereinigen!'"
    Genau das war der Grund, weshalb Sobtschak zu ihm gekommen war: Sie wollte ihn ins Boot holen.
    "Ich schlage Dir vor, dass wir uns nicht gegenseitig beleidigen, sondern wirklich den Weg zu einer gemeinsamen Bewegung beginnen."
    Streit live über Youtube ausgetragen
    Nawalny reagierte mit Vorhaltungen, Sobtschak habe viel zu milde auf die Wahlrechtsverstöße reagiert. Und dann dies:
    "Ich habe bis zur Wahl diese Geschichte öffentlich nicht erzählt. Du bist zu mir nach Hause gekommen, um zwei Uhr nachts, das war das letzte Treffen, einen Monat bevor du deine Kandidatur erklärt hast. Und du hast mir wörtlich gesagt, als du in meiner Küche gesessen und Tee getrunken hast: 'Man hat mir eine Menge Geld angeboten, dafür, dass ich kandidiere. Und ich weiß nicht, was ich tun soll.'".
    Nawalny führte keine Belege für seine Behauptung an, Sobtschak wies die Anschuldigungen zurück. Der über viele Minuten andauernde, live geführte Streit hat demonstriert, worin sich die liberale Opposition spaltet. Es konkurrieren zwei unterschiedliche Konzepte: Kooperation mit der Staatsmacht oder Widerstand.
    "Was mich interessiert, ist, eine Partei neuer Generation zu gründen", sagt Dmitrij Gudkow. Der heute 38-Jährige war bis zur letzten Parlamentswahl in Russland einziger wirklich unabhängiger Abgeordneter, hat aber 2016 seinen Sitz verloren. "Diese Partei soll im Jahr 2021 einen Platz in der Staatsduma erkämpfen können. Das ist sehr wichtig. Deshalb sind unsere Pläne, und ich hoffe, Ksenija wird sie nicht ändern, eine neue politische Partei zu gründen."
    Ein Bündnis ohne Nawalny
    Diese Absicht ist seit einigen Tagen bekannt. Nach der Absage Nawalnys ist nun aber nicht klar, welche Ausrichtung die Partei bekommen wird. Angesichts der beiden in Frage kommenden Führungsfiguren, Gudkow und Sobtschak, dürfte sie gesellschafts- und wirtschaftsliberal, Europa zugewandt ausfallen und im Innern für einen demokratischen Kurs unter Ermöglichung grundlegender bürgerlicher Freiheiten stehen. Als eine mögliche organisatorische Plattform werden die Strukturen einer kleinen, schon bestehenden Partei gehandelt, der "Bürgerlichen Initiative". Deren Vorsitzender, Andrej Netschajew, Ex-Wirtschaftsminister, hat im Gespräch mit dem Deutschlandfunk bestätigt, die beiden jüngeren Politiker zu unterstützen. Netschajew über Dmitrij Gudkows und Ksenija Sobtschaks Ambitionen:
    "Die möchte alles. Die möchte zum Bürgermeister von Petersburg kandidieren. Und Dmitrij möchte zum Bürgermeister von Moskau kandidieren, in diesem Jahr schon. Dann Duma-Wahlen. Die regionalen Parlamentswahlen sind ebenso wichtig. Und sogar die Munizipalwahlen. Und dann nach sechs Jahren werden wir sehen, sicher ist es nicht ausgeschlossen und sogar sehr wahrscheinlich, dass sie wieder kandidieren wird."
    Der Erfolg einer solchen Partei, die ein junges, liberales Publikum in den Metropolen wird anziehen wollen, bemisst sich im Land der umfassenden Herrschaft der Kreml-Strukturen punktuell. Sie muss dabei grundlegende Spielregeln des Systems Putin einhalten. Damit unterscheidet sie sich von Nawalnys Ansatz, der absehbar auf eine Strategie der lauten und wütenderen, außerparlamentarischen Opposition zusteuert.