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Russland
Seltene Solidarität mit verurteiltem Schauspieler

Ein Schauspieler in Russland wurde zu dreieinhalb Jahren Strafkolonie verurteilt, weil er während der Proteste im Sommer in Moskau angeblich Widerstand gegen Polizisten geleistet hat. Dabei zeigt ein Video das Gegenteil. Vor allem andere Schauspieler bekunden nun öffentlich ihre Solidarität.

Von Thielko Grieß | 19.09.2019
31.08.2019, Russland, Moskau: Menschen nehmen an einer Demonstration vor einer Statue des berühmten russischen Dichters Alexander Gribojedow teil. In der russischen Hauptstadt haben erneut Tausende Menschen für freie Wahlen demonstriert. Foto: Pavel Golovkin/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Demonstrationen für freie Wahlen in Moskau: Schauspieler solidarisieren sich mit einem inhaftierten Kollegen (AP Pavel Golovkin )
Das Video der Festnahme zeigt, wie ein Trupp Polizisten plötzlich zu laufen beginnt und sie dann den allein und langsam auf einem Fußweg schlendernden Pawel Ustinow zu Boden werfen. Der 24-Jährige hatte keine Parolen gerufen, kein Plakat in der Hand gehalten und war eher mit seinem Smartphone beschäftigt.
Das Video, das frei verfügbar im Netz steht, zeigt weiter, wie Ustinow keinen Widerstand leistet. Das war Anfang August. An diesem Montag folgte dann der Schuldspruch: Ustinow habe Widerstand gegen die Polizisten geleistet, wobei sich einer der Beamten die Schulter ausgekugelt habe. Dafür bekam der Angeklagte dreieinhalb Jahre Haft in einer Strafkolonie. Das Video hatte sich der Richter im Gerichtssaal nicht angeschaut.
Kaum ein anderes Gesprächsthema in Moskau
Seitdem hat das liberal gesinnte Moskau kaum ein anderes Gesprächsthema – kristallisiert sich an diesem Urteil doch Etliches heraus: Die Justiz fällt nach kurzen Prozessen Urteile, denen offenkundig die Tatsachengrundlage fehlt. Damit statuiert sie abschreckende Beispiele.
Allerdings geschieht nun seit Wochenbeginn in der Moskauer Stadtgesellschaft Seltenes: Es wird öffentlich Solidarität bekundet. Weil Ustinow Schauspieler ist, tun sich vor allem andere Schauspieler hervor. Den Anfang hatte Alexander Pal gemacht, 30 Jahre, populär geworden vor allem durch seine Rollen in Kinofilme und Videoclips.
"Liebe Freunde, das ist ein Flashmob", wendet er sich an seine knapp 150.000 Follower auf Instagram. "Ich denke, dieser Prozess ist komplett manipuliert. Das ist absolute Willkür und Selbstjustiz."
Entrüstung auf Instagram
Und am Ende seiner Botschaft ruft er andere Schauspieler namentlich auf und fragt sie: "Freunde, was denkt ihr?" Die wiederum verbreiten seither wie in einem Schneeballsystem auf Instagram ihre Entrüstung über das Urteil. Es sind inzwischen dutzende Botschaften. In ihren wird davon gesprochen, dass der nächste unschuldig Verurteilte man selbst sein könnte, es wird Freiheit für Pawel Ustinow gefordert – und dass das alles gestoppt werden müsse.
Es fallen Parallelen zum Fall des Journalisten Iwan Golunow ins Auge, für den sich im Sommer schon vor seiner Verurteilung viele andere Journalisten eingesetzt hatten. Golunow hatte über Korruption im Sicherheitsapparat geschrieben. Es folgten große Demonstrationen, und der Staat gab nach. Golunow ist frei.
Solidarität fällt auf in Russland
Öffentliche Solidaritätsbekundungen sind in Russland jedoch so selten, dass sie auffallen. "Die Theaterszene ist mit der Journalistenszene verbunden, beide finden im öffentlichen Raum statt. Sie ist auch in der Lage, ihre Leute da rauszuhauen", sagt die Politologin Jekaterina Schulman im Radiosender Echo Moskwy. "Die Richter sind jahrelange, jahrzehntelange, jahrhundertelange Nichtöffentlichkeit gewöhnt, daran, dass im Gerichtssaal nur irgendein unglücklicher Verwandter des Angeklagten sitzt, wenn überhaupt, und ein Pflichtverteidiger."
Dass das Urteil nicht lange Bestand haben könnte, darauf weisen inzwischen Reaktionen des Staates hin. Der Präsidentensprecher sagte gestern, man solle das Berufungsverfahren abwarten. Damit deutet sich an: Der Kreml wird den Forderungen nach Gerechtigkeit in diesem Fall wohl entgegen kommen, die Solidarisierungen könnten Erfolg haben.
Die Mobilisierung der Schauspieler hat allerdings keinen Einfluss auf eine Reihe anderer bereits gefällter Urteile und noch laufender Verfahren. Kirill Schukow, 28 Jahre, wurde zu drei Jahren Strafkolonie verurteilt, weil er das Visier eines Polizisten angefasst haben soll. Der 34-jährige Konstantin Kotow sitzt für vier Jahre ein. Sein Vergehen: Er hatte mehrfach an Demonstrationen teilgenommen. Hinter diesen Häftlingen steht keine öffentlichkeitserfahrene Berufsgruppe.