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Russland steht heißer Herbst bevor

Mit einem "Marsch der Millionen" will die russische Opposition am Wochenende der Protestbewegung neuen Schwung geben. Doch nicht nur auf der Straße, auch in der Duma sind Opposition und Regierung auf Konfliktkurs. Dort droht dem Kreml-Kritiker und Abgeordneten Gennadi Gudkow der Mandatsentzug.

Von Mareike Aden | 14.09.2012
    Gennadi Gudkow, 56 Jahre, Ex-KGB-Oberst und Mitglied der Partei "Gerechtes Russland" ist ein stämmiger Mann, der sich auch auf Protestaktionen der Opposition stets mit Schlips zeigt. Im braunen Anzug steht Gudkow nun in einer schmalen Waffenkammer in Moskau. Sie gehört zum Wachdienst-Imperium, das er nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion aufgebaut hat.

    Doch seit Ende Juni liegt keine einzige Waffe mehr in den Schränken, über 3500 Wachmänner wurden seitdem entlassen - die Wachfirma hat ihre Waffenlizenz verloren. Grund dafür sind Vorwürfe der Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Und die Staatspartei "Einiges Russland" beantragte Gudkow das Duma-Mandat zu entziehen, weil er als Abgeordneter Geschäfte gemacht habe. Laut russischem Gesetz ist das verboten.

    Gudkow beteuert: Das Unternehmen werde seit Jahren von seiner Frau und seinem Sohn geleitet. Alle Vorwürfe seien erfunden:

    "Ich wurde mehrmals gewarnt von oben und aufgefordert, mich von der Protestbewegung zu distanzieren. Aber ich habe mich geweigert und nun kommt die politische Rache dafür. Ich störe die Mächtigen dabei, der Bevölkerung vorzugaukeln, dass die Oppositionsbewegung nur aus Geistern der 90er-Jahre und unbedeutenden, radikalen Einzelpersonen besteht."

    Als solch radikales Randphänomen stellt das russische Staatsfernsehen die drei Frauen von Pussy Riot dar: In einem Blitzprozess wurden sie im August wegen ihres Anti-Putin-Punkgebetes in einer Kirche zu zwei Jahren Haft verurteilt. Dass es nun den bieder aussehenden Apparatschik und Systempolitiker Gennadi Gudkow trifft, ist für Putin-Gegner ein Beleg dafür, dass der Präsident in seiner dritten Amtszeit nun an allen Fronten gegen seine Kritiker vorgeht.

    Gudkow hatte auch in der Duma lautstark gegen mehrere Gesetzesänderungen protestiert, die die Kreml-Partei vor der Sommerpause im Eiltempo verabschiedete: Das Versammlungsrecht wurde verschärft, Verleumdung steht wieder als Straftatbestand im Gesetzbuch und Internetseiten können leichter gesperrt werden. Außerdem müssen Nichtregierungsorganisationen, die mit Mitteln aus dem Ausland politisch tätig werden, sich als ausländische Agenten registrieren. Sie müssen mit schärfsten Kontrollen rechnen und werden als Spione diskreditiert. Die Duma sei eine Schande für Russland, sagt Gudkow:

    "Die russischen Bürger wissen, dass die Parlamentswahlen gefälscht wurden und 'Einiges Russland' nur deshalb die Mehrheit hat. Alles, was die Duma tun könnte, um dem Land etwas Gutes zu tun, wäre in Abstimmung mit der Opposition ein neues Wahlgesetz zu verabschieden und sich dann für Neuwahlen aufzulösen. Alles andere macht die Situation im Land schlimmer, denn die Duma verabschiedet in letzter Zeit sehr sonderbare, exotische Gesetze."

    Aber von Neuwahlen ist Russland weit entfernt. Stattdessen steht eine Prozesswelle gegen Oppositionsaktivisten bevor: Dem Anti-Korruptionsblogger Alexej Nawalny wird bald der Prozess wegen Veruntreuung gemacht. Höchststrafe: zehn Jahre Gefängnis. Und im sogenannten Bolotnaja-Fall drohen 16 unbekannten Teilnehmern einer Demonstration im Mai jahrelange Haftstrafen. Die Anklage lautet: Teilnahme an Massenunruhen und Gewalt gegen Polizisten. Experten wie Alexej Muchin, Direktor des Moskauer Zentrums für politische Information, prophezeien einen heißen Herbst.

    "So wie die Staatsmacht sich derzeit verhält, provoziert sie eine Protestwelle im Herbst. Aber ich glaube nicht, dass so viele Menschen auf die Straße gehen werden wie im letzten Winter. Stattdessen werden die Demonstrationen radikaler sein und das gilt für die gesamte Opposition: Sie hat es während des Sommers nicht geschafft neue Themen zu setzen. Um die Aufmerksamkeit der Bevölkerung sicher zu haben, muss sie sich radikalisieren."

    Genau das will Gennadi Gudkow nach eigenen Angaben verhindern. In einem offenen Brief an Putin - von Ex-KGB-Mann zu Ex-KGB-Mann sozusagen - hat Gudkow den Präsidenten kürzlich gewarnt: Wenn es so weiter ginge im Land, dann drohe Russland ein Bürgerkrieg.