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Russland und der Europarat
Bewegung im Dauerkonflikt mit Moskau

Seit vier Jahren haben russische Parlamentarier im Europarat kein Stimmrecht mehr - als Strafe für die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Moskau. Sollte der Druck auf Russland bleiben, könnte das Land die gut 70 Jahre alte Institution bald ganz verlassen. Hinter den Kulissen hat der Kampf um die zukünftige Rolle des Landes bereits begonnen.

Von Tonia Koch | 17.09.2018
    Das Gebäude des Europarates in Straßburg
    Seit vier Jahren haben russische Parlamentarier im Europarat kein Stimmrecht mehr. (dpa / Rainer Jensen)
    Der Entzug des Stimmrechtes für die russische Delegation hat - wenn man so will - unerwünschte Nebenwirkungen. Weil die russischen Parlamentarier den Sitzungen fernbleiben, haben sie auch an der Wahl der Richter am Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg und an der Wahl der 2018 neu ins Amt gekommenen Menschenrechtskommissarin nicht teilgenommen. Aber an dieser Stelle würde der Europarat Russland gerne einbinden. Denn die Mitgliedstaaten möchten sich nicht dem Vorwurf aussetzen, der Europarat und sein Gerichtshof urteilten über die Köpfe der Russen hinweg. Nicht nur für die russische Bevölkerung seien diese Institutionen enorm wichtig. Ihre Legitimität dürfe nicht in Zweifel gezogen werden, sagt der Sprecher des Europarates, Daniel Höltgen.
    "Es ist aus unserer Sicht besser mit Moskau zu reden, mit Russland in der Staatengemeinschaft am Tisch zu sitzen, als den Kontakt abzubrechen. Mit einem Ausschluss würde man eben auch den 140 Millionen Bürgerinnen und Bürgern Russlands die Möglichkeit entziehen, sich zum Schutz ihrer Rechte in letzter Instanz an unser Gericht zu wenden."
    Streit um Putin-Kritiker Nawalny
    Am Pranger steht Russland insbesondere wegen seines Umgangs mit dem derzeit bekanntesten russischen Regimekritiker Alexej Nawalny. In seinem Fall haben die Straßburger Richter bereits mehrfach Menschenrechtsverletzungen festgestellt. Zum Beispiel weil ihm zu Hause ein faires Gerichtsverfahren verwehrt blieb oder weil er ohne hinreichende Begründung inhaftiert worden war. Daniel Höltgen.
    "Ein weiteres Dutzend Klagen Nawalnys sind heute beim Menschenrechtsgerichtshof anhängig und ganz klar, das passt den Russen nicht ins Bild."
    Die meisten Nawalny–Urteile hat Russland bislang nicht umgesetzt, andere sehr wohl. Das Land gehört per se nicht zu den säumigen Mitgliedstaaten. Allerdings ist der Imageschaden, der mit den Nawalny-Verfahren einhergeht, enorm. Deshalb ranken sich Spekulationen darum, das Land arbeite darauf hin, die Staatengemeinschaft zu verlassen. Zum Beispiel kommt Moskau seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Europarat nicht mehr nach. Damit tickt die Uhr. Denn wenn das Land auch im kommenden Jahr nicht zahlt, endet die Mitgliedschaft automatisch. Deshalb wurde ein Ausschuss der parlamentarischen Versammlung damit betraut, neue Verhaltensregeln auszuarbeiten. Denn dass die russische Delegation kein Stimmrecht mehr hat, Russland aber trotzdem weiterhin mitarbeiten darf, etwa auf der Ebene der Außenminister, sei kaum mehr vermittelbar, sagt die Ausschussvorsitzende, die Belgierin Petra de Sutter.
    "Deshalb plädiert eine Mehrheit der Versammlung dafür, dass wir uns das Regelwerk vornehmen müssen, um solche Situationen zukünftig auszuschließen. Auch im Hinblick auf andere Länder. Auch beim Europarat kann es vorkommen, dass Mitgliedstaaten ihm den Rücken kehren, weil sie nicht mehr an die Menschenrechte glauben und die Autorität des Menschenrechtsgerichtshofes nicht länger akzeptieren."
    Debatte um Reform des Europarats
    Die politische Situation in zahlreichen Mitgliedstaaten des Europarates habe sich in jüngster Zeit komplett verändert, so de Sutter. Das gelte für das Demokratieverständnis, die Rechtssysteme und die Menschenrechte.
    "Wir müssen den Europarat in gewisser Weise neu erfinden ihn widerstandsfähiger machen. Vor 20 Jahren waren wir alle überzeugt, die Dinge entwickelten sich in die richtige Richtung und alle teilten die Vorstellung von einer Welt in der die Menschenrechte ohne Einschränkung gelten. Heute, 20 Jahre später, ist das nicht mehr der Fall. Es gibt vor allem eine Reihe populistischer Kräfte, die den universellen Anspruch der Menschenrechte, die Rechtsstaatlichkeit und die Gewaltenteilung in Frage stellen. Wie gehen wird damit um? Die EU kennt die gleiche Problematik im Hinblick auf Polen und Ungarn. Und der Europarat hat in seinen Reihen Länder wie Russland, die Türkei und Aserbaidschan, wo wir genau hinschauen müssen. Das ist der Rahmen, in dem wir uns bewegen."
    Im Oktober will de Sutter in der parlamentarischen Versammlung ihre Ideen vorstellen. Gedacht sind diese zwar als Geste gegenüber Russland aber sie reichen weit darüber hinaus, denn der Europarat benötigt eine Standortbestimmung.