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Russland
Vorbereitung auf eine harte Doping-Strafe

In der Welt-Anti-Doping-Agentur werden in der Affäre um manipulierte Daten aus dem Moskauer Labor vier Jahre Sperre für den russischen Sport gefordert. Sportler äußern sich dazu kaum, die Offiziellen scheinen sich aber auf eine harte Strafe einzustellen.

Von Thielko Grieß | 08.12.2019
Ein russischer Fechter mit einer Maske in den Nationalfarben
2019 bereits 172 Dopingverstöße: Russlands Sport bereitet sich auf Sanktionen vor (Sergei Karpukhin/TASS/imago)
Unter den aktiven Sportlern melden sich nur wenige zu Wort. Sich zu exponieren, gar mit Kritik, kann ein Risiko bedeuten. Schnell droht der Vorwurf, man sei kein Patriot. Aber auch aus den wenigen Kommentaren wird deutlich, wie groß die Sorgen inzwischen sind. Die 37-jährige frühere Biathletin Natalja Sorokina wird so zitiert:
"Man möchte, dass das alles zu Ende geht. Dass es nicht weiter rauszögert wird, sondern dass sie ‚A‘ oder ‚B‘ sagen. Wenn man sie auf frischer Tat erwischt, ist es besser, bestraft zu werden, Konsequenzen zu ziehen und ein neues Kapitel aufzuschlagen."
Die Biathletin fürchtet um den Ruf des Sports. Eltern würden sich inzwischen Gedanken darüber machen, ob sie ihre Kinder überhaupt zum Training schicken könnten.
Deutlich mehr gefundene Verstöße
Die Fechterin Sofja Welikaja, Jahrgang 1985, die bei den Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro Silber im Einzel und Gold mit der Mannschaft errang, will sich ungeachtet der Diskussionen weiter auf die nächsten Spiele in Tokio vorbereiten. Sie sagte der Agentur RIA Nowosti, zurzeit werde sie wöchentlich auf Doping kontrolliert.
Inzwischen werde mehr getestet und mehr entdeckt, bestätigt der Leiter der Russischen Anti-Doping-Agentur (RUSADA), Jurij Ganus, Anfang Dezember im Gespräch mit dem Radiosender Echo Moskwy.
"Zu Dopingverstößen kann ich sagen: 2017 hatten wir 50, 2018 dann 147, und nun in den ersten neun Monaten bereits 172. Das ist normal, weil wir unsere Tätigkeit weiter entwickeln und Entscheidungen treffen. Und wir verbergen nichts."
Der Chef der russischen Anti-Doping-Agentur Juri Ganus
Der Chef der russischen Anti-Doping-Agentur Juri Ganus (imago)
Ganus, 55 Jahre alt, leitet die RUSADA seit August 2017. Er zieht eine Grenze, hat in den vergangenen Wochen viele Interviews gegeben, um seine Analyse in die Welt zu tragen: In Russland stehe auf der einen, auf seiner Seite der sauberer und transparenter werdende russische Sport der Gegenwart, soweit ihn seine Anti-Doping-Agentur kontrollieren könne. Als Beleg für seine erfolgreiche Arbeit kann er anführen, dass die Weltantidopingagentur im September des vergangenen Jahres die russische Agentur wieder aufnahm, wieder akkreditierte.
Auf der anderen Seite jedoch, sagt Ganus, stünden staatliche Funktionäre, die im berühmt-berüchtigten Moskauer Kontrolllabor sowie im Sportministerium wie schon seit Jahren dieselben Strippen zögen. Sie, nicht die Athleten, trügen die Verantwortung.
"Wir treten dafür ein, jede Möglichkeit zu nutzen, um unsere Athleten zu schützen. Ich kann eines sagen: Unser Sport ist wirklich zu einer Geisel dieser Situation geworden."
Ganus machte sich Feinde
Denn diese Funktionäre hätten durch ihre Manipulationen die bei der Wiederaufnahme der RUSADA gestellten Bedingungen nicht erfüllt. Damals war vereinbart worden, dass Russland die Daten des Moskauer Labors aus den Jahren 2012 bis 2015 pünktlich und unverfälscht übergibt. Das jedoch geschah nicht. Stattdessen wurden die Werte gefälscht. Wie und in welchem Umfang ergebe sich aus den Nachfragen der WADA, von denen er Kenntnis habe:
"In einer der Fragen steht, dass tausende Löschungen durchgeführt wurden. Erklären Sie das bitte! Zweitens: Vertauschen von Jahresdaten, also Austausch des einen gegen ein anderes. Davon gibt es sehr viel. Informationen über einige Jahre wurden gelöscht."
Mit diesen und anderen Aussagen hat sich RUSADA-Chef Ganus Feinde gemacht. Er bekomme Drohungen, erzählt er. Mit seiner Haltung, seinem Versprechen von Transparenz und Aufklärung, steht er recht allein da.
"Eine unendliche antirussische Serie"
Aus der russischen Politik sind die inzwischen üblich gewordenen Formulierungen zu hören, zuletzt etwa von Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew. Der räumte zwar ein, es gebe ein Problem mit Doping, unterließ es aber, auf den Vorwurf einzugehen, dass Russland seiner Zusage nicht nachgekommen ist, unverfälschte Daten zu übermitteln. Stattdessen wird ein Angriff auf Russland als Ganzes gewittert:
"Alles, was mit diesem Doping-Skandal zusammenhängt, erinnert mich an eine unendliche antirussische Serie. Und die anderen Staaten, sind sie ohne Sünde? Das vor allem ärgert und irritiert. Wir kennen ja alle diese Beispiele. Aber aus irgendeinem Grund verstecken sie sich unter dem Tisch, aber auf uns zeigen sie die ganze Zeit."
Nur in einer Einschätzung sind sich alle drei Seiten, Sportler, RUSADA-Chef Ganus und die russische Politik weitgehend einig: Die Entscheidung in Lausanne könnte schwerwiegende Folgen haben. Und bei fast allen klingt es so, als gingen sie davon aus, dass es so kommt.