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Russland weist kranke Tadschiken aus

Im russischen Wahlkampf gibt es offenbar keine Anstandsregeln: Von offizieller Stelle gibt es geradezu menschenverachtende Vorwände, Tadschiken in Russland das Leben schwer zu machen: Alles, um Wahlstimmen zu gewinnen.

Von Robert Baag | 17.11.2011
    "Russkije vpered" ("Russen vorwärts!") und "Moskva - russkij gorod" ("Moskau ist eine russische Stadt!"), - keine Woche ist nach diesem alljährlich landesweit veranstalteten "Russischen Marsch", Anfang November, vergangen, einer allein in Moskau gut 7000 Teilnehmer zählenden Heerschau von Rechtsextremisten und Neo-Nazis - da zeigt das staatlich kontrollierte Fernsehen Bilder aus einem Gerichtssaal im zentralasiatischen Tadschikistan, die nicht nur in der extrem rechten Szene Russlands für wütenden Protest sorgen: Ein russischer Pilot als Beschuldigter im Gitterkäfig, angeklagt als "Luftraumverletzer", schließlich verurteilt zu achteineinhalb Jahren Haft: Ein zweifelhaftes, weil überhartes Urteil, finden zwar nicht nur russische Kommentatoren, doch die offizielle Moskauer Reaktion sorgt nicht weniger für weitverbreitetes Stirnrunzeln:

    "Während der vergangenen zwölf Monate sind in Russland 188 Tadschiken mit gefährlichen Krankheiten auffällig geworden","

    hatte sich nämlich eben Gennadij Onischtschenko zu Wort gemeldet. Der oberste Gesundheitsbeamte Russlands teilt dann über die Medien weiter mit:

    ""Unter ihnen sind HIV-Infizierte, Tuberkulosekranke, Syphilitiker. Gemäß russischen Gesetzen müssen solche Ausländer ausgewiesen werden. Jeder Fünfte in diesem Jahr Auszuweisende kommt ursprünglich aus Tadschikistan."

    Gleichzeitig wird bekannt, dass die Polizei in Russlands Städten schon verstärkt und gezielt Razzien gegen tadschikische Arbeitsmigranten eingeleitet hat. Zunächst noch unbestätigten Angaben zufolge befinden sich an die anderthalbtausend tadschikische Wanderarbeiter in Abschiebehaft. Einige Hundert hätten schon ausreisen müssen. Für die ärmste der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken bahnt sich eine verhängnisvolle Entwicklung an, bliebe Moskau bei seiner Linie. Weit über eine Million, durchschnittlich jeder siebte Tadschike, muss traditionell außerhalb seiner Landesgrenzen, überwiegend in Russland, für meist schmalen Lohn mit gering qualifizierten und gefährlichen Tätigkeiten den Lebensunterhalt für seine gesamte Familie erarbeiten.

    Prompt hat Tadschikistans Staatspräsident Emomali Rachmon reagiert und die Justiz seines Landes angewiesen das Urteil gegen den Piloten zu überprüfen, nachdem sein russischer Amtskollege Dmitri Medwedew, in Personalunion wahlkämpfender Spitzenkandidat der sogenannten Putin-Partei "Geeintes Russland", seinen obersten Arzt Onischtschenko demonstrativ unterstützt hat. Onischtschenko gilt als Allzweckwaffe des Kremls, der auch schon mal Mineralwasser und Wein aus Georgien ebenso mit Einfuhrverboten belegt wie moldawischen Cognac oder - wie jüngst im Sommer - angeblich belastetes Gemüse aus der EU, und zwar immer dann, wenn ökonomischer Druck politisch opportun erscheint. Diesmal: Vorgeblich seuchenpolizeiliche Argumente, um einer ganzen Volksgruppe Kollektivschuld zuzuweisen. Tadschikistan sollte erst einmal sein Gesundheitssystem in Ordnung bringen, dann könne man auch wieder über Einreisen nach Russland reden, regt Onischtschenko an.

    Arkadij Dubnow, Zentralasien-Experte und außenpolitischer Kommentator der Zeitung "Moskovskie Novosti" warnt vor den politischen Folgen:

    "Die Instrumente namens 'Onischtschenko' werden zu politischen Spannungen mit dem gesamten post-sowjetischen Raum führen, nicht nur mit Tadschikistan. Die Tadschiken als Aids- und TBC-Infizierte zu verunglimpfen, ist so niederträchtig, beleidigend und unseres großen Landes unwürdig. Ich finde das schändlich. Es wird Auswirkungen haben auf die Eliten der Nachbarrepubliken, die jetzt von Wladimir Putin umworben werden, sich später in der von ihm angestrebten Eurasischen Union zu vereinen, die von Russland angeführt werden soll. Wie soll man denn darauf vertrauen, dass sich Moskau seinen Bundesgenossen gegenüber aufrichtig verhalten wird, wenn es gegenüber Menschen der ehemaligen Sowjetunion so hemmungslos auftritt?"

    Bezogen auf den aktuellen Wahlkampf vermutet Dubnow bei Wladimir Putin indes eine Art Doppel-Strategie mit Rückversicherung:

    "Putin selbst braucht das nicht, denn all dieses Anfachen von Chauvinismus mit tadschikischem Hintergrund fällt jetzt in die Verantwortung von Medwedew und 'Geeintes Russland'. Hopp oder Topp! Wenn alles gut läuft, dann war's die richtige Entscheidung, wenn's aber schlecht läuft, bleibt immer noch der Präsidentschaftswahlkampf bis März, um dann notfalls Akzente noch zu verschieben."