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Russlanddeutsche in Berlin
"Ich spüre hier kaum Aggressivität"

In Bezug auf die alte Heimat sind Russen in Deutschland gespalten - und der Riss geht oft quer durch die Familie. Die meisten versuchen deswegen, politische Themen auszuklammern. Nicht wenige sagen aber auch, dass sich die zwischenmenschlichen Beziehungen glücklicherweise nicht verändert hätten.

Von Anja Nehls | 25.04.2018
    Die russische Flagge weht auf dem Gebäude der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin.
    "Man weiß, wo die Grenzen sind, und es ist für alle akzeptabel geworden, unterschiedlicher Meinung zu sein." Russen in Deutschland haben gelernt, über viele Themen zu schweigen, sagen sie. (dpa / Britta Pedersen)
    "Ich freue mich sehr, Sie hier begrüßen zu dürfen, und wir eröffnen heute eine Ausstellung, die dem 150. Jubiläum des großen Gorki gewidmet ist."
    In einem kleinen Raum im Russischen Haus in Berlin Mitte hängen Schwarz-Weiß-Fotos von dem russischen Schriftsteller Maxim Gorki zusammen mit zum Beispiel Tschechow oder Tolstoi. Daneben gibt es aber auch Bilder, die Stationen seines Lebens zeigen, wie das ehemalige Gefängnis von Nishni Nowgorod, wo er wegen sogenannter revolutionärer Tätigkeit einsaß. Maxim Gorki war auch ein politischer Mensch. Die Politik von heute ist allerdings kein Thema bei den Besuchern der Ausstellung. Nadia kommt aus Moskau und studiert für ein Semester International Business in Berlin.
    "Nein, kein Thema, wir besprechen nicht dieses Politische, vielleicht wenn ich viel mit Deutschen spreche, fühlen wir, es gibt kältere Beziehungen und das ist immer traurig."
    Schwierige Themen werden ausgespart
    Deshalb werden Themen wie der Spion Skripal in Großbritannien lieber ausgespart, genauso wie die Rolle Russlands im Syrien-Konflikt, ein möglicher Giftgasangriff, ein amerikanischer Militärschlag oder eben die Position der Deutschen in diesem Konflikt. Dieser Ausstellungsbesucher hat eine russischstämmige Frau und bewegt sich lieber auf sicherem Terrain.

    "Mein Verhältnis zu Russland - ich sehe erstmal die Kultur Russlands, Musik, Literatur, das bleibt ja. Wir gehen einmal im Jahr zu Schwanensee, meine Frau und ich in die deutsche Oper, und da sind auch viele Russen und mit denen kannst du über sowas nicht diskutieren, mache ich auch gar nicht."
    Zumal auch die russische Community in Berlin höchst unterschiedlich denkt. 200.000 bis 300.000 Menschen würde der russischstämmige Juradoktorand Dmitri Geidel in Berlin dazurechnen. Russlanddeutsche, jüdische Kontingentflüchtlinge, politische Migranten, die noch zu Sowjetzeiten hierhergekommen sind, Wirtschaftsmigranten der späten 90er oder Russen aus Tschetschenien.
    "Diejenigen, die hier aufgewachsen sind, hier integriert sind, haben da eine ganz andere Einstellung, denken aber auch nicht allzu viel darüber nach, weil das halt weit weg ist, unübersichtlich ist. Bei der der älteren Generation, die halt noch einen starken persönlichen Bezug zu Russland haben, ist das schon anders. Gerade der Vorfall in England mit dem Nervengift erzeugt viele Fragen, weil die Informationslage naturgemäß wie bei allen Spionagegeschichten, sehr unklar ist. Am Ende läuft es darauf hinaus, ob man eher westlichen oder eher russischen Medien vertraut."
    Syrien-Konflikt spielt kaum eine Rolle
    Dmitri Geidel vertraut mehr den deutschen Medien. Er hat eine russische Mutter und einen deutschen Vater wurde in St. Petersburg noch zu Sowjetzeiten geboren und ist jetzt politisch für die SPD im Bezirksamt von Marzahn-Hellersdorf aktiv. Immerhin könne man in vielen Familien jetzt über Politik diskutieren.
    "Man hat gelernt, über viele Themen zu schweigen, das ist dann der klassischere Weg oder einfach zu akzeptieren, dass Kinder oder Ehepartner verschiedene Meinungen zu einem Thema haben. Wenn man im Internet schaut, da sind auch riesige Kolumnen, wo diskutiert wird, wie man mit Eltern umgeht, die irgendwie total auf der Putin-Linie fahren. Das hat sich mittlerweile ein bisschen gelegt, man weiß, wo die Grenzen sind, und es ist für alle akzeptabel geworden, da unterschiedlicher Meinung zu sein."
    Insgesamt wirke sich der Konflikt in Syrien allerdings kaum auf den Alltag in Berlin aus, so Geidel:
    "Ich spüre hier kaum eine Aggressivität gegen Russen oder dass man sich an die Wand gestellt fühlt, das ist so gar nicht da, auch in den Medien nicht. Syrien ist weniger emotional, weil das ist ein fernes Land, die starken Emotionen, wie es in der Ukraine war, das ist etwas ganz anderes und wesentlich näher an den Menschen dran, als Aleppo oder Damaskus. Der Militärschlag der USA wird glaube ich nicht als der Auftakt zum Weltkrieg oder Ähnliches angesehen, sondern als ein eingeschränkter Schlag, der auch nicht direkt Russen galt, das wird eher so als begrenzter Konflikt gesehen."
    "Mir als Historiker scheint die Situation sehr gefährlich"
    Doch genau davor warnt Andrej Tschenodarov. Der Wissenschaftler lebt mit seiner Familie seit 1994 in Deutschland.
    "Mir als Historiker scheint die Situation sehr gefährlich und ähnlich wie vor dem Ersten Weltkrieg. Die Zeitungen waren übrigens 1913 in Deutschland genauso wie in Russland sich einig, dass Krieg undenkbar ist, der technische Fortschritt wäre so, dass das jetzt Selbstmord wäre, ein Krieg anzufangen und so weiter. Vernünftige Überlegungen übrigens. Heute auch. Aber es ist ja passiert."
    Auf dieses Thema angesprochen werde er aber mehr von Deutschen als von den hier lebenden Russen, meint Andrej Tschernodarov. Weil gerade die älteren Russen noch gelernt hätten, zwischen den Zeilen zu lesen, seien sie nun verunsichert. In London sei ein Interview mit dem russischen Außenminister von der BBC zensiert worden. Bei Fotos oder Filmen im Internet könne man nie sicher sein, was inszeniert und was echt sei. Ob die Quelle glaubwürdig sei oder nicht, habe wenig damit zu tun, aus welchem Land sie angeblich stamme.
    "Wir erleben eine Medienrevolution, und Konsum der Information ist immer danach zu richten, was man sucht im Internet, nicht mehr gefüttert wird wie früher. Ich verfolge natürlich die Information von mehreren Seiten, aber da ist sehr viel Unstimmigkeit in der offiziellen Information vorhanden."
    Dass in Großbritannien inzwischen russische Studenten wegen des Konflikts um Skripal das Land verlassen, habe er in der Zeitung gelesen, hier sei das zum Glück anders - und das werde hoffentlich auch so bleiben:
    "Zwischenmenschliche Beziehungen: Gott sei Dank, ich spüre zum Glück keine Veränderung hier. Und wir sind dafür, dass wir, unsere Völker, auf gute Beziehungen bauen."