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Russlanddeutsche Literatur
"Anfang einer neuen Tradition"

Große Verlage zeigen wenig Interesse an Geschichten russlanddeutscher Autorinnen und Autoren. Die wiederum fordern die Unterstützung ihrer Literatur und Kultur: Sonst falle das Schicksal der Russlanddeutschen als Opfer von Verfolgung und Vertreibung völlig dem Vergessen anheim.

Von Mirko Schwanitz | 04.12.2018
    Die in Kasachstan geborene Autorin Eleonora Hummel
    Die in Kasachstan geborene Autorin Eleonora Hummel (© Paul Kuchel)
    Nur wenige Besucher waren gekommen, um der Podiumsdiskussion im Berliner Brecht-Haus zu folgen. Keine 30. Das geringe Interesse spiegelte fast symbolisch die Situation der mit 2, 4 Millionen Menschen zweitgrößten Gruppe von Einwandern in Deutschland. Bis heute sei so gut wie nichts über die Lebensläufe und Probleme russlanddeutscher Einwanderer bekannt, sagte Edwin Warkentin, Kulturreferent am Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold.
    "Bis 1941 hatten wir in der Sowjetunion eine Förderung der Kultur der Russlanddeutschen. Besonders in der Wolgarepublik gab es Bildungseinrichtungen, es gab Wissenschaftseinrichtungen in deutscher Sprache. In dieser Zeit hatte man auch Autoren gefördert, und es ist zu einer großen und regen Literaturtradition gekommen mit einem deutschen Staatsverlag, einer deutschen Staatsbibliothek."
    Diese Blüte deutscher Kultur endete kurz nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion. Stalin löste die Wolgarepublik auf und ließ alle Deutschen deportieren. Sie wurden mit einem Stempel im Pass gebrandmarkt und von vielen Berufen ausgeschlossen. Sie wurden Opfer von zwei totalitären Herrschern – Hitler und Stalin. Im Gegensatz jedoch zum Schicksal der Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen scheint das Schicksal der Russlanddeutschen nur wenige zu interessieren, konstatierte der Autor Artur Rosenstern.
    "Natürlich ist das dem Umstand geschuldet, dass die deutschen Literaten in den 70 und 80er Jahren nicht die Chance hatten, sich frei zu äußern, über ihr Schicksal zu schreiben. Jemand, der dann 40 Jahre nach dem Krieg hierher kommt und dieses Kriegsthema wieder anfängt zu behandeln, es mag sein, dass das dann für viele wirkt wie Schnee von gestern."
    "Keine Worte für das Erlebte"
    Tatsächlich zeigte bisher kein größerer deutscher Verlag Interesse an Geschichten russlanddeutscher Autoren. Sie veröffentlichen zumeist in Klein-Verlagen oder als e-Publisher. Die 1970 in Kasachstan geborene Autorin Eleonora Hummel erhielt zwar für ihren Roman "Die Fische von Berlin" den Chamisso-Preis. An der geringen Wahrnehmbarkeit der russlanddeutschen Literatur hat sich seither aber nichts geändert.
    "Mein Erweckungsmoment war, weil mein Vater immer gesagt hat, er hat keine Worte für das, was er erlebt hat. Wenn diejenigen selbst keine Worte finden, dann müssen wir oder ich als Nachfahre das für sie übernehmen. Und die Voraussetzung ist die Beherrschung der deutschen Sprache."
    Das Verbot der eigenen Muttersprache an den Deportationsorten und die mühsame Wiederaneignung nach der Einwanderung in Deutschland habe zwangsläufig zu einer Verzögerung der Entwicklung der russlanddeutschen Literatur führen müssen, analysierte Eleonora Hummel. Hier unterscheide sich die Situation russlanddeutscher Schriftsteller fundamental von der Situation einer rumäniendeutschen Autorin wie Herta Müller, die nie zu einem Sprachwechsel gezwungen war.
    Wahrnehmbarkeit erhöhen
    Eine Forderung: Stärkere Förderung der russlanddeutschen Literatur, um ihre Wahrnehmbarkeit zu erhöhen. Kulturreferent Edwin Warkentin fasste unter Zustimmung von Artur Rosenstern am Ende der Debatte zusammen:
    "Ich habe den Eindruck, dass wir nicht am Ende einer Tradition stehen, sondern dass wir an einem neuen Anfang stehen, und auf uns wird einiges Interessantes noch zukommen."
    Tatsächlich gibt es inzwischen durchaus erfolgreiche Autorinnen Elsa Zeiss‘ biografischer Roman "Gräser im Wind" verkauft sich gut. Und auch Lena Klassen verkaufte bereits tausende Exemplare ihrer Fantasy-Trilogie "Sehnsucht nach Rhinland". Längst also schreiben russlanddeutsche Schriftsteller nicht mehr nur über ihr Schicksal in der Sowjetunion.