Donnerstag, 25. April 2024

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Russlands geknebelte Medien

Terror in Russland. Zwei Flugzeuge stürzen ab, eine Bombe explodiert vor einer Moskauer Metrostation und ein schreckliches Geiseldrama in einer Schule in der Kaukasus-Republik Nord-Ossetien. Die ganze Welt schaut auf Russland, doch in den einheimischen Medien fließen die Informationen nur spärlich. Allenfalls liberale Zeitungen wie der Kommersant oder Gaseta berichten relativ offen. Vor Ort sorgt der Inlandsgeheimdienst FSB dafür, dass so gut wie nichts an die Öffentlichkeit dringt. Das staatliche Fernsehen berichtet erst Stunden später über die Geiselnahme - verharmlosend, ohne Zahlen und ohne Zusammenhang. Die Verbindung zum Tschetschenienkonflikt wird nicht gezogen, stattdessen spricht man ganz allgemein von internationalen Terroristen.

Von Gerlind Vollmer | 06.09.2004
    Der langjährige Leiter des Moskauer ZDF-Studios, Dirk Sager, kennt diese Mechanismen. Aus nächster Nähe hat er miterlebt, unter welchen Bedingungen seine russischen Kollegen arbeiten müssen.

    Sager: Es gibt nicht die Zensur als Institution, aber das Telefon, das funktioniert. Das Telefon, mit dem Kremlbüros den Chefredakteur oder den Intendanten, den Generaldirektor anrufen und sagen, wir wollen das so oder so.

    Besonders augenfällig war der Einflussnahme vor den Präsidentschafts- und Dumawahlen in diesem Frühjahr. Nachdem Präsident Putin dem unabhängigen Fernsehsender TV-6 die Lizenz entzogen und die regierungskritische Station NTV in einen seichten Unterhaltungskanal umgewandelt hat, ist das russische Fernsehen so gut wie gleichgeschaltet.

    Sager: Die Wahlen wurden zur Farce, weil das Fernsehen einfach ein paar Programme inszenierte, in dem die demokratischen Parteien, wie die von Jawlinski, Jabloka, gar nicht mehr vorkamen. Und auf der anderen Seite aber ein solches patriotisches Wohlgefühl inszeniert wurde zugunsten der Kreml-Partei, Jedinaja Rossia. Das war unheimlich, dass die Nachrichten in diesen Wahlkampfzeiten jeden Tag mit vier, fünf oder sechs Minuten Putin-Berichterstattung aufmachten.

    Kritische Stimmen - Fehlanzeige. In dem riesigen Land mit seinen zehn Zeitzonen ist das Fernsehen Leitmedium. Zeitungen außerhalb der Metropolen Moskau und Sankt Petersburg haben nur geringe Auflagen und die meisten Russen, zumal in der Provinz, keinen Zugang zum Internet.

    Sager: Wir haben jetzt eine Situation, in der die Informationspolitik bestimmt wird durch eine Verherrlichung des Kremls und seiner Politik. Und das in einem besonders kritischen Punkt, auch im Falle Tschetscheniens. Der Krieg spielt in der Öffentlichkeit keine Rolle mehr. Das ist ein Tabuthema, dazu gehört, was besonders befremdlich ist, inzwischen die Vergangenheit, die sowjetische Vergangenheit, die aus der Diskussion völlig ausgespart wird, aber das ist ja natürlich auch verständlich. Wenn ein Präsident sich in zunehmenden Maße auf Kader stützt, die dem einstigen KGB entstammen, dann fällt es natürlich schwer, beispielsweise die Rolle des KGB im sowjetischen Unterdrückungssystem heute zu einem Thema zu machen.

    Und: Der russische Inlandsgeheimdienst FSB ist omnipräsent. Zum Teil sitzen die Geheimdienstler direkt in den Redaktionen, operieren aber auch ansonsten recht offen. Günther von Lojewski leitet das Programm Journalismus international, das inzwischen mehr als 100 junge russische Journalisten zu einem dreimonatigen Studienaufenthalt nach Deutschland eingeladen hat. Regelmäßig bekommen die Absolventen nach ihrer Rückkehr aus Deutschland Besuch von FSB-Agenten:

    von Lojewski: Der heftigste Fall ist der eines jungen Mannes, der zunächst sieben Mal einbestellt worden ist und dann hat man ihm zeitweise sogar den Pass weggenommen und dann hat er den Pass wiederbekommen. Dann hatte er eine neue Einladung nach Deutschland und da hat man ihm den Pass dann wieder abgenommen.

    Wer nicht kooperiert, bekommt Probleme. Kein Reisedokumente mehr, psychologischer Druck, eine plötzliche Entlassung. Selbstzensur, Beschränkung in der Themenwahl oder sogar der Rückzug ins Private sind die Folge.

    von Lojewski: Richtig ist, dass vor allem in den russischen regionalen Medien seit einiger Zeit zu beobachten ist, dass die Kollegen, wie sagt man, aus der Politik herausgehen und sich eher sozialen Problemen, kulturellen Ereignisse zuwenden, also sozusagen in die Randgebiete des politische Journalismus ausweichen, weil sie sich halt nicht irgendwelchen Bedrohungen aussetzen wollen.

    Gerade in den Provinzen haben die Gouverneure eine ungeheure Machtfülle. Es ist gefährlich sich mit den lokalen Autoritäten anzulegen. Das bekam die russische Journalistin Olga Kitowa am eigenen Leib zu spüren. In Zeitungsartikeln hatte sie Korruption und Misswirtschaft in ihrer Heimatstadt Belgorod anprangert. Wenig später wurde die Trägerin des Preises der Pressfreiheit des Deutschen Journalisten-Verbandes bedroht, misshandelt und zeitweise inhaftiert. Monatelang war ihr Pass eingezogen. Doch die willfährigen Behörden gehen nicht nur gegen Einzelpersonen vor.

    Sager: Es hat vielfach Versuche gegeben, gerade die kleinen kritischen Zeitungen, Nowaja Gaseta zum Beispiel, dadurch an die Wand zu drücken, dass ein Politiker eine Schadensersatzklage erhebt, mit astronomischen Summen und deren Durchsetzung und Vollzug natürlich das Ende der Zeitung bedeutet.

    Das Ende einer Zeitung - das Ende der Pressefreiheit. Die euphorische Aufbruchstimmung aus den frühen 90er Jahren ist definitiv vorbei.