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Rutschpartie mit Orang-Utan

Ein Loser, ein Karrierist, eine Frau und ein malender Orang-Utan stehen im Mittelpunkt von Thomas Langs Erzählung "Jim". Ein bisschen unentschieden ist sie eine Mischung aus Drama, Satire, Ehekrieg, Feindschaft unter alten Freunden und Fehldeutungen des Verhältnisses von Mensch und Tier.

Von Oliver Seppelfricke | 13.06.2012
    Malende Affen sind uns schon lange vertraut, keine echte Überraschung mehr. Da muss man sie schon in eine vertrackte Situation hineinbringen, damit "Zoff" entsteht. Thomas Lang:

    "Das ist ja auch das Thema im Moment. Wenn man immer wieder liest, es gibt ja diese populärwissenschaftliche Presse, und da kommen immer sehr viele Affenthemen vor. Jetzt geht´s darum, wie ähnlich sind wir uns in den Genen' Also diese Dinge, die man vor 20 oder 30 Jahren noch nicht wusste oder wissen konnte. Früher war´s ganz klar: Das sind Tiere, das sind juristisch gesehen Sachen, und das kommt jetzt alles ins Rutschen. Plötzlich sehen wir, 98 Prozent unserer Gene teilen wir mit den Schimpansen, 97 Prozent mit den Orang-Utans. Und dann gibt es eine ganze Forschung, dass wir sehen, dass Affen ein Bewusstsein haben, dass sie eine Kultur haben, dass sie Werkzeuge benutzen. Usw. Und natürlich stellt das neue Fragen, auch an uns: Auch die Frage, die ja eigentlich biologisch beantwortet ist, die Frage: Sind wir überhaupt Menschen? Eigentlich sind wir zu 99 Prozent Tiere. Und diese eine Prozent, das aber so aufgebläht ist in unserem Bewusstsein, das ist eigentlich ein ganz spannendes Feld."

    Thomas Lang hat seine Rutschpartie mit einem Orang-Utan und hauptsächlich drei weiteren Menschen aufgebaut. Sie geht so: Frank Opitz, die Hauptfigur, ist ein klassischer Loser, er ist Schriftsteller, Anfang 50, beklagt den allgemeinen Niedergang der Kultur, vor allem verbal, hat selbst aber nur ein Buch geschrieben, und das, so gibt er zu, sei dann auch noch abgeschrieben. Der beste Latte-Macchiato-Zubereiter nördlich der Alpen sei er, als Journalist fristet er sein Dasein, vom dem er selbst nicht mehr viel hält, ein zahnloser Kulturkritiker eben. Leben kommt in sein träges Dasein, als ein Studienfreund unverhofft auftaucht. Und wie man sich vorstellen kann, ist dieser in allem das Gegenteil des tapferen Ritters Frank Opitz. Tobias Mundt, sein alter Kollege, ist beim Fernsehen reich und berühmt geworden, ein echter Karrierist im Gegensatz zum Versager Opitz, die komplette Gegenfigur zum glanzlosen Frank: ein Blender, mit Erfolg! Als er sich an Opitz Ehefrau Anna heranmachen will, landet er bei der Falschen! Denn Anna hat sich schon Jim ausgesucht, einen malenden Orang-Utan, den sie in ihrem Garten hält, und als sie schließlich ein Bett für den Garten bestellt, gerät das Ganze endlich aus den Fugen. Frank Opitz, der in diesem Bett schlafen soll und gar nicht kann, allein schon deshalb, weil er eine imaginierte monströse Hand hat, einen Phantomschmerz, legt sich immer mehr mit Tobias Mundt an, dem glatten Karrieristen, und kann dabei, das weiß er selbst, doch nur verlieren dabei. Geschickt verteilt hier Thomas Lang Innen und Außen, das der Gefühle und das der Orte.

    "Für mich ist eine Geschichte, die viel zu tun hat mit dem drinnen sein und draußen sein, oder sich drinnen fühlen oder sich außen also ausgeschlossen zu fühlen. Natürlich ist die Liebe auch ein Thema, und dadurch ergibt sich sozusagen die Paarkonstellation relativ organisch. Und diese, sagen wir einmal, belasteten, komplizierten, widersprüchlichen Freundschaften unter Männern, das ist irgendwas, was mich immer wieder beschäftigt. Das taucht immer wieder auf in meinen Texten."

    In der Danksagung am Schluss des Buchs liest man von einem Aufenthalt in Rom in der Villa Aurora, und fragt sich, ob der Autor dort auf seine tierische Idee gekommen ist'

    "Also tierische Begegnungen gab es dort nicht. Wahrscheinlich gibt es einen Zoo in Rom. Aber da wäre ich überfordert gewesen. Das habe ich mir nachher in München angeschaut."

    Geholfen hat es dann aber der Komposition doch nicht: Das Ganze zerfällt in eine Mischung aus Drama, Satire, Ehekrieg, Feindschaft unter alten Freunden, Fehldeutungen zum Verhältnis Mensch und Tier, und es kann sich dann doch nicht entscheiden, nur ein Rührstück, nur ein Bühnenstück, nur ein Beziehungsdrama oder eben nur ein Sketch zu sein. Eine gekonnte Fingerübung in den einzelnen Genres ist es allemal, als Ganzes gesehen kann es aber dann doch nicht wirklich überzeugen! So gut der Orang-Utan auch malen kann, es hilft seiner Galerie, diesem Buch aber kaum.

    Thomas Lang: Jim. Eine Erzählung
    C.H. Beck Verlag, 173 Seiten, 16,90 Euro