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Sabbat, Sonntag & Co.
Vom Nutzen des Nichtstuns

Viele Religionen kennen einen wöchentlichen Ruhetag. Auch kleine Auszeiten vom Alltag wie Meditation, Pilgern oder Sabbatjahr haben religiöse Ursprünge. Die Religionen lehren also das Pausemachen – und sagen zugleich: Auch Nichtstun kann harte Arbeit sein.

Von Burkhard Schäfers | 01.04.2019
Ein Mann liegt faulenzend in einer Hängematte
Meditation, Pilgern, Orte der Stille: Die Pause spielt in vielen Religionen eine wesentliche Rolle (imago images / Westend61)
"Am siebten Tag vollendete Gott das Werk, das er gemacht hatte, und er ruhte am siebten Tag, nachdem er sein ganzes Werk gemacht hatte. Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn; denn an ihm ruhte Gott, nachdem er das ganze Werk erschaffen hatte."
"In der jüdischen Tradition hat ja der Sabbat, das Ruhen Gottes am siebten Tag, eine ganz enorme Bedeutung. Da steckt eine sehr weise Sicht des Menschen dahinter: dass eben der Mensch nicht nur Arbeit und Mühe ist. Und dass man eigentlich nur in einer Ruhe, in einer Unterbrechung, in einer Pause das Leben voll sehen und deuten kann", sagt der Jesuit Karl Kern. Eigentlich könnte die Schöpfungsgeschichte – der Beginn der Bibel – mit dem sechsten Tag auserzählt sein, mit der Erschaffung des Menschen. Und doch wird im Buch Genesis gesagt: Die Welt ist erst vollendet mit einem Tag, an dem Gott ruht.
Bedeutsam in vielen Religionen
"Der Sabbat gehört von Anfang an zum Judentum, das ist die Kernmarke. Das hat natürlich das Christentum vom Judentum geerbt – zwar einen Tag später, weil die Auferstehung am ersten Wochentag war – aber das ist ein ganz hoher, auch humaner Schatz des Judentums", so Kern.
Karl Kern
Karl Kern, Rektor der Innenstadtkirche Sankt Michael (Deutschlandradio / Burkhard Schäfers)
Die Pause spielt in vielen Religionen eine wesentliche Rolle: Tage, die frei sein sollen von Arbeit. Besondere Wochen und Monate – der Ramadan oder die Passionszeit – in denen die Gläubigen fasten, ihre Essensroutinen unterbrechen. Oder: Orte der Stille. Auch in den Erzählungen der christlichen Bibel ist die Rede davon, dass Jesus sich zurückzieht. Und kurz vor seiner Hinrichtung geht er in einen Garten am Ölberg, um allein zu sein und zu beten.
Der Sabbat oder auch Schabbat ist Teil der Zehn Gebote. Er ist geprägt vom Festmahl im Kreis der Familie, von Gottesdienst und Gebet. Die Sabbat-Regeln sind in verschiedenen jüdischen Schriften festgelegt. Der Talmud verbietet es etwa zu arbeiten, Feuer zu machen, Geschäfte einzugehen. Die Sabbat-Ruhe, wie sie orthodoxe Juden praktizieren, mag überaus streng erscheinen. Dem widerspricht die Schweizer Religionswissenschaftlerin Daria Pezzoli-Olgiati: "Wir sehen es eher in der Richtung: Wie viele Gesetze gibt es, wie viele Verbote gibt es? Man könnte es aber genau umgekehrt lesen: Was darf man endlich am Sabbat tun? Manchmal denke ich, es ist doch auch erholsam, in einem System zu leben, wo man an einem Tag ruhen muss."
Verbindliche Pausen gehen verloren
Lange gaben Religionen den Kalender vor, regelten den Wechsel von Alltag und Festtag. Freier Sonntag, Tanzverbot an bestimmten Feiertagen: Bis heute gibt es Pausen religiösen Ursprungs, die auch für Atheisten und Agnostiker gelten.
Aber durch die Fragmentierung des Religiösen in einer pluralen Gesellschaft gehe dieser Rhythmus allmählich verloren, sagt Daria Pezzoli-Olgiati, die als Professorin Religionsgeschichte an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München lehrt.
Die Religionshistorikerin Daria Pezzoli-Olgiati
Die Religionshistorikerin Daria Pezzoli-Olgiati (Deutschlandradio / Burkhard Schäfers)
"Als ich studierte in Zürich, gab es Tage, an denen die Kinos geschlossen waren, beispielsweise an Weihnachten. Irgendwann wurde das aufgehoben. Es bedeutet aber, dass die Kinobetreiber keinen Feiertag mehr haben an Weihnachten. Das ist ein kleines Beispiel für diesen Verlust von klar strukturierten Zeiten, die für alle gültig sind. Was eine Idee von Produktion spiegelt, die eigentlich keinen Anfang und kein Ende mehr hat."
Pilgern, Meditation und Yoga
Zugleich gibt es eine Wiederentdeckung der religiösen Pause: "Ich bin dann mal weg." Das Pilgern als Auszeit vom Alltag – fast ein Massenphänomen, so die Religionswissenschaftlerin Daria Pezzoli-Olgiati: "In einer Gesellschaft wie unserer, wo wir große Autos haben, laufen sehr viele Menschen auf einer kilometerlangen, sportlich gesehen absolut nicht spannenden Straße, dem Pilgerweg nach Santiago. Dass man plötzlich attraktiv findet, das, was man braucht, in einen kleinen Rucksack zu packen, in Massenlagern zu schlafen, einfach zu essen, vielleicht sogar Gottesdienste zu besuchen - ich glaube, es geht um eine Reduktion von Komplexität für eine bestimmte Zeit."
Auch Meditation und Yoga sind sehr gefragt – als Pausen nach anstrengendem Arbeitstag: Alles, was ablenkt beiseite räumen, Lotus-Sitz, Augen zu, Gedanken bündeln.
Mönche während einer Zazen-Meditation in Japan.
Mönche während einer Zazen-Meditation in Japan. (imago / Ursula Gahwiler)
Meditative Praktiken gibt es in vielen Religionen. Christen, Juden und Muslime suchen dabei die Erfahrung des Göttlichen. Fernöstliche Meditationen mit dem Ziel, bestimmte Bewusstseinszustände zu erreichen, haben ihre Wurzeln im Hinduismus und Buddhismus. Der meditierende Buddha als das Symbol fürs Pausemachen? Nicht in jedem Fall, sagt Religionswissenschaftlerin Pezzoli-Olgiati: "Wenn ich nach meiner Arbeit eine buddhistische Meditation machen würde, wäre das ein Versuch, einen Ausgleich in mein Leben hinein zu bringen. Wenn jemand in einem Kloster jahrzehntelang Praktiken übt, um bestimmte Zustände in der Meditation zu erreichen, dann ist das seine Arbeit."
Meister Eckhart: Ruhe für Innen und Außen
Zur guten Praxis der Pause lässt sich manches bei den mittelalterlichen Mystikern lernen. Meister Eckhart unterscheide beim Zur-Ruhe-Kommen zwischen Innen und Außen, sagt Isabelle Mandrella, Professorin für philosophische Grundfragen der Theologie an der LMU München: "Dass die eigentliche Ruhe gar nicht vornehmlich im äußeren Tun gefunden werden kann, sondern etwas mit der inneren Einstellung zu tun hat. Dass es nicht immer nutzt, sich hinzulegen oder sich zurückzuziehen, wenn im Kopf die Maschinerie weiterläuft und man es nicht schafft, diese innere Ruhe zu finden, dann ist mit äußeren Bedingungen auch nicht viel zu retten."
Isabelle Mandrella, katholische Professorin für philosophische Grundfragen der Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München
Isabelle Mandrella, katholische Professorin für philosophische Grundfragen der Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (Deutschlandradio / Burkhard Schäfers)
Wird der Kopf permanent beansprucht und abgelenkt, verlieren wir uns leicht im Kleinklein des Alltags. Anders die großen Denker: "Das ist das Philosophen-Ideal, dass wir aus der antiken Philosophie schon kennen. Nämlich, dass es zum Philosophieren Muße braucht und eine Unabhängigkeit von den alltäglichen Sorgen, die uns so umtreiben. Dass es einen Ruheraum braucht, in dem sich das Denken frei entfalten kann."
Der schmale Grat zwischen Muße und Müßiggang
Umgekehrt ist auch die dauerhafte Ruhe nicht unbedingt das einzig Wahre. So galt im traditionellen Mönchtum: Ausschließliche Kontemplation, ohne Bezug zur Außenwelt, berge die Gefahr der Acedia, der Trägheit, des geistigen Nichtstuns – eine der sieben Hauptsünden, sagt Philosophie-Professorin Mandrella:
"Das Spannende ist natürlich: Wie definiert man die Grenze zwischen dem schlechten und dem guten Nichtstun? Wir sind da vielleicht gar nicht so weit entfernt von dem, was die mittelalterliche mystische Tradition meinte, die ja auch sehr gern vom Nichts spricht, und damit aber mitnichten etwas Vernichtendes meint. Auch in dieser Erfahrung von Leere meiner Existenz bewusst zu werden und die Erfahrung zu machen, da ist sehr wohl Etwas und nicht Nichts."
Egal, ob man sich durch Philosophie oder Religion zur Pause inspirieren lässt: Der Grat zwischen Muße und Müßiggang ist schmal – bis heute.