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Sachsen-Anhalt
Landfrauen machen fit gegen Rechts

In Sachsen-Anhalt macht sich der Landfrauenverband für ein besonderes Projekt stark: die sogenannten Demokratieberaterinnen. Sie schreiten ein, wenn es Ressentiments an der Supermarktkasse oder in der Kirchengemeinde gibt.

Von Christoph Richter | 31.10.2016
    Ein Feld in Sachsen-Anhalt nach der Ernte. Im Hintergrund stehen Windräder.
    Ein Feld in Sachsen-Anhalt: Demokratieberaterinnen agieren gegen rechtes Gedankengut. (imago/Westend61)
    "Das Thema Demokratie liegt mir einfach am Herzen. Wach geworden bin ich hauptsächlich durch unseren Ort."
    Erzählt die 43-jährige Pferdezüchterin Barbara Bleis. Sie wohnt 80 Kilometer nördlich von Magdeburg. Im idyllischen, an der Elbe gelegenen, 2.000 Einwohner großen Ort Schönhausen.
    Rote Klinkerbauten prägen das Bild, auf einer Anhöhe thront die gotische Patronatskirche St. Willibrord. Ein typisch altmärkisches Dorf. Doch es ist mehr als das, denn Schönhausen ist der Geburtsort des späteren Reichskanzlers Otto von Bismarck. Weshalb sich anlässlich seines Geburtstages Anfang April alljährlich der sogenannte "Altmärkische Kreis der Bismarckfreunde" trifft, ein rechtsextremer Sympathisantenkreis des NPD-Kreisverbandes Altmark.
    "Ich war erstaunt, wer an so einem Marsch aus dem Dorf teilnimmt, den man kennt. Mit dem man auch zu tun hat. Da war ich doch überrascht, was die für eine Gesinnung haben."
    Einer der Gründe, warum sich Barbara Bleis – die Mutter zweier Teenager – vor zwei Jahren entschloss, Demokratieberaterin zu werden. Das Thema Demokratie liege ihr am Herzen, sagt sie. Alexandra Tinneberg nickt. Auch sie ist als Demokratieberaterin unterwegs:
    "Uns geht es um die kleinen Alltagssituationen. Wir wollen den Leuten einen kleinen Anschubser geben: Überleg doch mal, was Du gerade gesagt hast. Ist das wirklich deine Meinung?"
    "Frauenpower bringt Demokratie aufs Land" nennt sich das Projekt des Landfrauenverbandes Sachsen-Anhalt. Gefördert wird es durch das Bundesinnenministerium. Ziel ist es, den Blick der Frauen für extremistische, demokratiefeindliche Tendenzen in ländlichen Gegenden zu schärfen.
    Demokratieberaterinnen lernen über die Strategien der Neonazis
    Man will den Demokratieberaterinnen die aktuellen Strategien der Neonazis nahebringen, die gerade im dörflichen Raum versuchen, Fuß zu fassen beziehungsweise neue Netzwerke knüpfen, erläutert Soziologe Alexander Kutz. 2014 hat er die Idee mit auf den Weg gebracht:
    "So die ländlichen Vereine, ob das der Schützenverein ist, der Heimatverein, man verbindet mit Themen, die so einen rechten Unterton haben. Selbst der Fußballverein, die freiwillige Feuerwehr. Wo man noch mit dem zweiten Auge drauf gucken muss. Da findet man schnell irgendwelche Parallelen."
    Es gehe um die kleinen Unterschiede zwischen herkömmlicher Traditionspflege und rechtsextremen Ideologien, unterstreicht Soziologe Kutz. Die Frauen erfahren, wie man Aktionen organisiert, die die Demokratie, das gemeinschaftliche Miteinander in einer offenen Gesellschaft fördern.
    "Es geht eben bis dahin, was mache ich, wenn in der Nachbarschaft rechte Musik gespielt wird. Und da wollen wir die Frauen jetzt nicht animieren, ich gehe da jetzt rüber und spiele Polizei. Sondern es geht auch, wenn ich sage, ich könnte das ja mal ansprechen im Dorf. Mit der Nachbarin drüber sprechen, vielleicht hat sie das auch gehört, was hält sie davon."
    Völkische Siedler rücken ins Visier
    Derzeit rücken die sogenannten völkischen Siedler zunehmend ins Visier. Nach außen wirken sie wie achtsame Ökobauern, begeistern sich für Handarbeit. Aber eigentlich pflegen sie Bilder von der sogenannten "deutschen Volksgemeinschaft". Der Pluralismus von Lebensentwürfen, die Gleichberechtigung aller Menschen, Toleranz und Weltoffenheit haben da keinen Platz. Rassistische Tendenzen, für die die Demokratieberaterinnen sensibilisieren wollen.
    "Da geht man nicht rein. Da klärt man auf, mit Vorträgen und Referaten, direkt rein geht man nicht."
    Davor warnt Politologin Beate Keune auch, sie ist die Betreuerin der Demokratieberaterinnen.
    "Es ist ein langwieriger Prozess, bis man an die Leute herankommt. Oft herrscht ja auch eine Furcht vor dem Thema. Gerade im ländlichen Raum, wo jeder jeden kennt. Und gerade da ist es schwierig, aufzuklären."
    16 Demokratieberaterinnen gibt es im Land, die besonders im Norden Sachsen-Anhalts unterwegs sind. Schwierig ist es, Demokratieberaterinnen im Süden zu finden. Dort, wo die AfD besonders erfolgreich ist, dort wo Ressentiments schnell auf fruchtbaren Boden fallen, erzählt Beate Keune noch.
    Der Alltagsrassismus gegenüber Andersdenkenden, der abfällige Unterton in gewöhnlichen Gesprächen: Demokratieberaterin Barbara Bleis will es einfach nicht mehr ertragen. Schließlich gehe es auch um ihre Lebensqualität, sagt sie.
    "Ja, ein bisschen Mut braucht das schon. Gerade in dieser Szene, da mal zu sagen: Halt stopp, so geht das nicht."
    1992 ist die Pferdezüchterin Barbara Bleis aus Bremerhaven nach Sachsen-Anhalt gezogen. In den letzten 20 Jahren hat sie zusammen mit ihrem Mann – dem sein Gehöft rückübertragen wurde – in Schönhausen einen mittelständischen Landwirtschaftsbetrieb aus der Erde gestampft. Jetzt bewirtschaften sie 700 Hektar Ackerland, im Stall stehen 220 Milchkühe, nebenbei verkauft man noch Solarstrom.
    Barbara Bleis liegt Vielfalt und Toleranz im Dorf am Herzen. Stichwort demografischer Wandel. Denn man könne nicht um junge Leute buhlen, sagt sie, wenn gleichzeitig an der Supermarktkasse oder in der Kirchengemeinde unterschwellige rechte Argumente völlig selbstverständlich seien.
    "Nein, weggucken geht schwer. Geht eigentlich gar nicht."